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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Es ist nun anzunehmen, daß die Ränder der angekohlten Bücher in dem geheimnißvollen amerikanischen Fall wie frische Holzkohle gewirkt und eine Selbstentzündung herbeigeführt haben.

Uebrigens sind verbrannte Papiere, verkohlte Urkunden u. dgl. nicht immer verloren, denn man kann auch auf dem verkohlten Blatt die Schrift noch lesen. Eine Massenentzifferung solcher Schriften wurde seinerzeit in Paris vorgenommen. Während des Kommuneaufstandes war nämlich eine große Anzahl wichtiger Akten des Pariser Gerichtshofes verbrannt, und zwar waren sie so lange der Einwirkung der Hitze ausgesetzt gewesen, daß die einzelnen Bände verkohlten Holzblöcken glichen; die Blätter waren fest aneinander geklebt, wollte man sie aber selbst mit der größten Vorsicht voneinander trennen, so zerfielen sie in Staub und Asche. Einem Beamten des Pariser Gerichtshofes Namens Rathelot gelang es jedoch, diese Schriftstücke zum großen Theil zu retten. Er nahm einen solchen Band und schnitt zunächst den Rücken durch, so daß die Bogen nunmehr einzelne Blätter ohne Zusammenhang bildeten; dann tauchte er den ganzen verkohlten Band ins Wasser und nahm ihn, nachdem er sich vollgesogen, wieder heraus. Hierauf wurde die Masse an der Oeffnung eines Luftheizungsofens der Einwirkung einer starken Hitze ausgesetzt. Das Wasser in den Poren verdampfte rasch und der Dampfdruck löste die einzelnen Blätter voneinander, sodaß sie unter Anwendung der nöthigen Vorsicht getrennt werden konnten. Das Lesen der Schrift war durchaus nicht schwierig, denn das verbrannte Papier sah glänzend schwarz, die Schrift aber matt aus, und das Ganze hatte das Aussehen von Sammetverzierungen auf schwarzem Atlasgrunde. Selbstverständlich wurden die einzelnen Blätter sofort abgeschrieben, die Abschriften von anwesenden Beamten beglaubigt und auf diese Weise gegen 70 000 Schriftstücke gerettet.

Uebrigens ist es nicht gleichgültig, mit welcher Tinte solche Papiere beschrieben sind. An verkohlten Schriften, die aus tagelang durchglühten Kassenschränken herausgenommen wurden, hat man die Erfahrung gemacht, daß die alte Galläpfeltinte sich im Nothfall durch verschiedene chemische Lösungen wieder sichtbar machen ließ, während dies bei den Anilintinten weniger oder gar nicht gelingen wollte. Diese Wahrnehmungen haben zur Herstellung sogenannter feuerfester Tinten geführt. Eine derselben besteht aus folgender Mischung: 82 g fein gemahlenem und fein gesiebtem Graphit, 0,75 g Kopallack, 7,5 g Eisenvitriol, 30 g Galläpfeltinktur und Indigokarmin.

Man fertigt auch „feuersicheres“ Papier aus einer Mischung von vegetabilischen Fasern, Asbest, Borax und Alaun; es ist aber nicht feuerfest, sondern nur sehr schwer entzündlich. Wirklich unverbrennbar ist nur Asbestpapier, allein dieses eignet sich nicht zur Einführung im großen, und es ist uns auch nicht bekannt, ob es im Handel zu beziehen ist. In Amerika hat man viel darüber geschrieben, jetzt ist es aber still geworden davon. Vermuthlich haben sich die Versuche nicht bewährt, und der wir[k]samste Schutz für den Geschäftsmann, der seine Bücher und Papiere vor dem Brande sichern will, ist immer noch ein guter feuerfester Schrank. St. J.     


Altamerikanische Kulturbilder.

Von Paul Schellhas.
I.

Wenn sich gegenwärtig, eben in den Tagen, da der kühne Genuese zum ersten Male seinen Fuß auf den Boden der Insel Guanahani setzte, die Gedanken des alten Europa mehr als sonst mit der Neuen Welt beschäftigen, so hat das seinen guten Grund. Denn ein solcher Augenblick bietet einen ganz besonderen Anlaß, der eigenartigen Entwicklung zu gedenken, welche die amerikanischen Verhältnisse seit der Einwanderung der Europäer genommen haben, und unzweifelhaft gewährt es ein hohes kulturgeschichtliches Interesse, dem Gange dieser Entwicklung zu folgen. Merkwürdiger aber und reizvoller noch ist für den Forscher diejenige Entwicklung, welche die einheimische Kultur Amerikas vor seiner Entdeckung durch Kolumbus genommen hat, diejenige geistige und materielle Arbeit, die der amerikanische Mensch in seiner Absonderung aus eigenen Mitteln und mit seinen eigenen Kräften geleistet hat. Und auch die Leser der „Gartenlaube“ werden gerne einmal einen Blick werfen in jene fernen Zeiten vor der Ankunft des weißen Mannes, als noch untergegangene und verschollene Völker, deren Namen vielleicht nicht einmal erhalten sind, sich mühten, in friedlicher Arbeit „den Menschen zum Menschen zu gesellen“.

Von den neueren Forschungen auf diesem Gebiet ist in weiteren Kreisen wenig bekannt. Sie sind zu entlegen und fremdartig. Man meint, so fernliegende Dinge wie die Vorzeit Amerikas könnten für die Allgemeinheit nichts Anziehendes haben, weil zwischen ihnen und unserer Gegenwart gar keine Verbindungen bestehen und gar keine gemeinsamen Gesichtspunkte erkennbar seien. Und doch liegt eben gerade darin das allgemein und menschlich Bedeutsame der altamerikanischen Zustände! Denn sämmtliche Kulturgebiete der alten Erdtheile (Australien besitzt Spuren alter Kultur von einiger Bedeutung überhaupt nicht) stehen in näherer oder fernerer Beziehung zu einander, entweder unmittelbar oder durch Zwischenglieder; nur Amerika stand allein. Die ganze Alte Welt umschlingt ein gemeinsames Band, die wechselseitigen Einflüsse sind zum größten Theile geschichtlich bekannt; ganz anders ist es mit dem alten Amerika. Zur Zeit der Entdeckung der Neuen Welt hat in Centralamerika, in Mexiko[,] Yucatan, Guatemala etc., eine hohe Civilisation bestanden, die eine viele Jahrhunderte lange Entwicklung voraussetzt. Und diese Kultur ist entsprossen, diese Entwicklung ist vor sich gegangen auf einem Gebiet, das, so viel wir wissen, von allen uns bekannten Einflüssen abgeschlossen war. Wenn wir uns denken, es würde heute am Nordpol ein Erdtheil mit gemäßigtem Klima entdeckt und man fände dort Völker mit einer hohen Gesittung, so wäre das gewiß ein Gegenstand von größter allgemein menschlicher Bedeutung. Und eine ähnliche Bedeutung besitzt das alte Amerika. Es gestattet uns, Beobachtungen zu machen zu der hochwichtigen Frage: welche Errungenschaften der Gesittung sind ein gemeinsames Erbtheil der Menschheit? Kommt der Menschengeist auch unabhängig von den uns bekannten Einflüssen und unter ganz eigenartigen Bedingungen zu denselben oder ähnlichen Ergebnissen wie anderswo? –

Als die Spanier nach Mittelamerika kamen, fanden sie dort Völker, die wohlgeordnete Staaten bildeten, von Königen regiert wurden, in großen Städten mit gewaltigen Tempel- und Palastgebäuden wohnten, eine kunstvolle Zeitrechnung, eine gute Kenntniß der Astronomie, eine hoch entwickelte Technik und eine einheimische, nationale Kunst besaßen. Einer der mächtigsten dieser Staaten, das Reich des Aztekenkaisers Montezuma, ist aus der Geschichte der Eroberung durch Cortez bekannt. Aber noch weiter nach dem schmalen Centralamerika zu, südlich und östlich von Mexiko, hat die amerikanische Kultur ihre höchste Blüthe entwickelt, und von dort scheint sie auch ihren Ausgang genommen zu haben. Es sind dies die Halbinsel Yucatan und die Gegenden, die südlich und südwestlich daran angrenzen, Theile des heutigen Mexiko und von Guatemala. In diesen Ländern sitzen Völker des Mayastammes, der, obgleich heute wie alle eingeborenen Völker Amerikas durch die jahrhundertelange Unterdrückung und Mißhandlung verkommen und entartet, einstmals geistig besonders begabt und der Träger der alten Gesittung gewesen ist, ein amerikanisches Seitenstück zu den entarteten Nachkommen der Urbevölkerung des heutigen Aegypten.

Aus dem Leben dieser Völker sei hier einiges geschildert, was die neueste Forschung enthüllt hat. Denn die Kenntniß des alten Amerika hat fast vierhundert Jahre geschlafen, alles, was damit zusammenhing, galt höchstens als eine Kuriosität. Erst seit wenigen Jahrzehnten, seitdem wir eine wissenschaftliche Völkerkunde haben und seitdem die Kulturgeschichte ihren Gesichtskreis erweitert hat, fängt man an, auch diesen fernen Gebieten die verdiente Aufmerksamkeit zu widmen, und wo es hier gelungen ist, den dunklen Schleier ein wenig zu lüften, da sind das alles die Ergebnisse neuerer und neuester Forschungen und Entdeckungen.

Francisco Hernandez de Cordova war es, der zuerst, im Jahre 1517, die Küste von Yucatan besuchte. Eine zweite Expedition unter Juan de Grijalva ging ein Jahr später dorthin, und seitdem kamen auch die ersten Nachrichten über die hohe Kultur in jenen Gegenden nach Europa. Aber damit war auch zugleich das Schicksal dieser Kultur entschieden: sie mußte zu Grunde gehen unter den Tritten der spanischen Eroberer, ein vielleicht Jahrtausende altes Stück menschlicher Entwicklungsgeschichte war abgeschlossen. Man erfuhr, daß dort wie in Mexiko keine „Wilden“ wohnten, sondern gesittete Völker in zahlreichen großen Städten, daß dort Staatswesen bestanden, in denen Handel und Industrie, Technik und Kunst gepflegt wurden. Die Tempel- und Palastbauten in Yucatan waren nach der Ansicht der Spanier das Großartigste, was die Neue Welt aufzuweisen hatte. Ja,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_696.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2024)