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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

übel ausgetrieben. Bei einem richtigen Protzenbauern sind ja selbst Gedanken nicht zollfrei, denken dürfen bloß Leute, die ’was haben. Der Flori war bescheiden genug, den Abstand nicht zu vergessen, der zwischen ihm und dem reichen Huberer lag, und so unterließ er jede Annäherung, wiewohl das Benehmen der Bauerntochter durchaus nicht abweisend war.

Warum er jetzt so jäh auf sie losstürzte, wußte er wirklich selber nicht, es mußte eine innere Gewalt sein, die ihn herauftrieb.

Anfänglich erstaunt über das Ungestüm des Burschen, mußte Liesel doch lächeln, als der Flori in höchster Verlegenheit vor ihr stand und kein Wort sagen konnte, wie wenn er den Mund voll Krapfen hätte. „Es hat Dir wohl die Red’ verschlagen,“ meinte sie ermunternd.

„Ja!“ Das war alles, was der Flori herausbrachte. Dann standen beide schweigend beieinander, das Mädel in leichter Verwirrung, der Bursche verlegen und ärgerlich, daß ihm just jetzt die Sprache fehlte. Aber plötzlich löste sich der Bann, und anfangs stotternd vor innerer Aufregung, bald aber übersprudelnd vor Eifer erzählte er dem Dirndl, wie er „’s Wisperl“ gehört habe am Allerheiligentage, und das bringe Glück. Und ’s Glück sei auch schon da, weil er d’ Liesi vor sich habe und sie so gar kein’ Stolz habe gegen ihn.

„Wüßt net, warum i an Stolz haben sollt’!“ entgegnete Liesel. „Du bist a braver Bua, sunst hättest Du ‚’s Wisperl‘ net g’hört.“

Da ward die Unterhaltung der beiden jäh durch den Bauern gestört, der nachschauen kam, wo denn seine Tochter so lange stecke. Mit einem Fluch stapfte er auf den Flori zu und hieß den „Haderlumpen“ weiter gehen. Schon hatte der Bursche eine scharfe Antwort auf der Zunge, aber er unterdrückte sie bei dem bittenden Blick des Mädchens. So meinte er nur, der Bauer solle aufpassen, daß er den „Haderlumpen“ nicht einmal nothwendig brauche.

„In dem Leben net,“ lautete die protzige Antwort, dann nahm der Bauer sein Mädel beim Arm und führte es in die heiße Wirthsstube zurück.

Rasch verflog die Zeit bei Tanz und Trank, der Abend brach früh herein, und der Huberer mußte aufbrechen, wenn er nicht in die Nacht hineinfahren wollte. So ward denn eingespannt, das Gesinde kletterte voll Uebermuth in den Wagen, der Bauer ergriff die Zügel, und in rasendem Galopp jagten die vier Gäule, von wuchtigen Peitschenhieben getrieben, das hügelige Sträßlein hinan. Dem Bauern schien es trotzdem noch zu langsam zu gehen, er gönnte den Thieren kein Verschnaufen, und wie der „Moar“ (Oberknecht) etwas Vorsicht empfahl, weil der Weg abschüssig werde und der Lienhardswagen keine Schleifen (Bremse) habe, da hieb der erregte Bauer nur noch wüthender auf die Pferde ein und fluchte dabei ganz lästerlich. Und wieder ertönten grelle Pfiffe, daß die Eh’halten ganz erschrocken aufhorchten. Aber immer toller wird das Jagen durch die Nacht, kein Sternlein erhellt den dunklen wolkenverhängten Himmel, dumpf braust der Bergwind über das Land und ächzend biegen sich die Bäume an dem Sträßlein. Die Pferde werden immer unruhiger, das Zerren am Zügel macht sie völlig rebellisch, der Handgaul scheut, springt seitwärts, ihm nach die andern Gäule – ein Krach, der Wagen stürzt und kollert den Hang hinab, ein wüstes Durcheinander.

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Auf dem Hubererhof ist’s still geworden seit jener unheilvollen Nacht. Der Bauer liegt mit arg verschundenen Beinen zu Bett, mehrere der Eh’halten haben Verletzungen davongetragen, nur die Liefel ist mit leichten Schürfungen davongekommen. Von Tölz kommt der Bader zweimal die Woche heraus und sieht nach den Kranken. Von der Lienhardsnacht darf er aber bei Leibe nicht reden, da kann der Bauer ganz toll werden, zumal er keine Ausrede für sein Umwerfen findet.

Doch mit der Heilung wollte es gar nicht vorwärts gehen, und ein über das andere Mal schimpfte der Bauer den Bader einen schauerlichen „Patzer“, aber den Arzt ließ er trotzdem nicht holen. Der Bader hatte gethan, was er konnte, allein es fehlte an der richtigen Verschienung. Je näher es auf Weihnachten zuging, desto „schlechter“ wurde der Bauer, und das lange Krankenlager fing an, ihn mürbe zu machen. Dazu kam noch, daß unter seinen Pferden die Milbenräude ausbrach, was den Bauer bald noch mehr schmerzte als sein eigenes Krankenlager. Für sich ließ er den Arzt nicht holen, aber dem Rath, den Schmiedflori kommen zu lassen wegen der Pferde, zeigte er sich zugänglich.

Richtig kam der Flori auf den Hof und fing gleich mit seiner Salzwasserkur bei den Pferden an. Er blieb auch auf des Bauern Wunsch ganz auf dem Hof, und seinen Bemühungen gelang es, in nicht ganz drei Wochen die Pferde, die ein großes Kapital für den stolzen Bauern bedeuteten, wieder herzustellen. Das flößte Vertrauen ein, und wie die Liefel meinte, vielleicht könnte der Flori auch dem Vater helfen, überließ sich der Bauer wirklich der Behandlung des Kurschmiedes.

Flori merkte richtig, wo der Fehler saß, legte einen besseren Verband an und am Heiligen Abend konnte der hocherfreute Bauer zum ersten Mal wieder aus dem Bett.

Daß Flori und die Liesel sich einander genähert, hatte der Bauer von seinem Lager aus wohl beobachtet. Unter anderen Umständen wäre er mit einem gehörigen Donnerwetter dreingefahren, aber so hatte er still liegen müssen und dabei Zeit genug gehabt zum Sinnieren. So kam er denn zu dem Ergebniß, daß der Flori doch eigentlich ein recht geschickter Bursche sei, der seine Sach’ verstehe. Dazu war die heilige Weihnachtszeit da, die selbst den herbsten Bauersmann mit ihrem Zauber ergreift und milde stimmt.

So saß der Huberer am Heiligen Abend seelenvergnügt über die glückliche Menschen- und Pferdekur in der Wohnstube, das Pfeiflein schmeckte ihm wieder, die Weihnachtskrapfen auch, welche die Liesel so schön gelb gebacken hatte. Und da fragte er auf einmal ganz unvermuthet, ob der Flori wohl Lust hätte, ganz auf dem Hubererhof zu bleibeu und die Schmiede drüben zu verkaufen. Dem Flori ward ganz schwarz vor den Augen und wie am Lienhardstage bei der Liesel versagte ihm auch jetzt die Sprache. Aber um so resoluter war das Mädel, das kurzweg sagte: Ja, Vater, mit Verlaub – als Hochzeiter.“

Da schmunzelte der Bauer, während der Flori wie im Gebete flüsterte. „O Du mein liab’s ‚Wisperl‘!“

„Larifari!“ meinte der Huberer dazu. „Du wirst ein ordentlicher Bauer, und wennst mein Lieserl net ordentlich halt’st, nachher komm i Dir mit ’m Wisperl, aber mit einem hoanbuchenen.“

„Is net nöthig!“ rief der Flori, „denn wann i mei Weib net ordentlich halten wollt, hernach könnt aus dem ‚Wisperl‘ no ‚’s Pfeiferl‘ wern, und dös – na, Bauer, nur koa Angst!“

Zur Christmette ging das junge Paar durch die glitzernde heilige Nacht, als Verspruchsleute, und mit besonderer Andacht beteten sie: „Ehre sei Gott in der Höhe!“

Die Sage vom Wisperl ist ziemlich vergessen worden im Laufe der Zeit, die Jugend glaubt solche Sachen nimmer.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_703.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2023)