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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Er wollte, ich sollte heimlich mit ihm fortgehen, und das kann ich doch nicht!“ unterbrach ihn weinend das Mädchen.

„Nein, nein, allerdings, das kannst Du nicht,“ sagte Herr Krautner kalt. „Aber nun laß mich los; Schwerenoth, das kommt von solchem Getreibe hinter meinem Rücken! Trink’ ein Glas Wasser und flenne allein weiter! Sie, mein Herr Lieutenant, gehen vielleicht, in Ermanglung der Tochter, mit dem Vater davon, vorläufig zwar nur bis in mein Zimmer, wenn’s gefällig ist! Hier ist die Thür – bitte, bitte, nach Ihnen.“

Und die kugelrunde kleine Gestalt ließ den blassen jungen Mann vorangehen, mit einer regelrechten Verbeugung, die zu jeder anderen Zeit unendlich heiter gewirkt haben würde; heute hatte keiner von den beiden Zuschauern Sinn für die grimmige Komik des Herrn Alois Krautner. Im Flure schritt der beleibte Hausherr so rasch und gewandt voran, als habe er unsichtbare Sprungfedern unter den Sohlen; er öffnete die Thür seines Zimmers. „Ich bitte, gedulden Sie sich einen Augenblick, ich habe nur mit meiner Tochter ein paar Worte unter vier Augen zu reden.“ Damit schraubte er eine altmodische Oellampe etwas höher und verließ dann den Raum, um sofort wieder in Theresens Boudoir zurückzukehren. Das Mädchen wollte sich ihm an die Brust werfen, aber er löste ihre Arme so wenig freundlich wie noch nie.

„Bitte, bitte, jetzt ist keine Zeit zu Zärtlichkeiten; ich will nur ein paar klare Antworten auf die Fragen, die ich stellen werde – setze Dich dorthin! So! Also, Nummer eins – hast Du Dich, trotz meines Verbots, im Frühjahr mit Lieutenant Adami verlobt?“

Eine lange Pause, dann Schluchzen.

„Ja oder Nein?“

„Ja, aber ich – –“

„Bitte, keine Entschuldigung! Hast Du Briefe mit ihm gewechselt?“

„Ja – ja – aber ich – – schon –“

„Hast Du gelobt, ihm treu bleiben zu wollen?“

„Ja – aber –“

„Ruhig! Und nun bist Du anderen Sinnes geworden?“

„Ja!“

„Weshalb?“

„Ach, lieber Papa,“ schluchzte Therese, die jetzt eine Gelegenheit sah, des erzürnten Vaters Herz zu rühren, „lieber Papa, weil ich es nicht mehr ertragen konnte, Dich zu hintergehen, weil ich verstehen lernte, daß Du nur mein Bestes willst.“

„Schon gut, schon gut, darüber sprechen wir später.“ Er schob sich zur Thür hinaus unb kehrte zum Lieutenant Adami zurück.


In der eleganten Villa gab es ein Zimmer, das wundersam abstach gegen die übrigen Prunkräume. Es lag abgeschlossen von allen anderen, nach der Straße zu, hatte zwei mittelgroße Fenster ohne modische Gardinen, nur oben hing an einem Querbrett ein einfach mit Bällchenfransen verzierter Stoff. Die Dielen waren blenbend weiß gescheuerte Tannenbretter, der Ofen ein gelblicher Kachelofen von ungemein häßlicher Form. Hier stand ein altmodisches, mit schwarzem Wachstuch bezogenes Kanapee, davor ein alter plumper wachstuchbenagelter Tisch; hier hing an der Wand in schwarzem ovalen Rahmen der Schattenriß einer Frau, die ein Kind auf dem Schoße hielt; hier prangte ein Pfeifenbrett in der einen Ecke, in der anderen ein Schreibsekretär aus Birkenholz, und hier stand der Ohrenstuhl, in dem Herr Alois Krautner sein Mittagsschläfchen gehalten, seit er mit seinem Hannchen als junger Meister den kleinen Haushalt gegründet hatte. Mit einem Worte, es war das Privatzimmer des Hausherrn, das einzige, in dem er sich wohl fühlte, in dem er sommers in Hemdsärweln und winters in Schlafrock und Zipfelmütze sich wie „zu Hause“ vorkam; wo er alle Tage daran erinnert wurde, wie er doch aus einem einfachen Maurergesellen ein hochangesehener Bürger geworden sei. Diese Stube war seine Kirche, in der er ganz absonderlichen Dankgottesdienst hielt; sein Tempel der Erinnerung, denn jedes Stückchen der Einrichtung hatte seine gute Selige mit ihm vereint benutzt. An dem Tische hatten sie als junge Eheleute ihr erstes Mittagsmahl verzehrt und auf dem Sofa am Feierabend gesessen, wenn er müde und abgearbeitet nach Hause gekehrt war. Und in den Schrank waren von ihm die ersten ersparten Thaler mit einer Glückseligkeit gelegt worden, gegen die das Bewußtsein des späteren Reichthums wie ein Schatten verblich.

Und in dieser Stube saß Lieutenant Adami auf dem Sofa. Ganz klar war ihm die Sachlage nicht. In seinem Herzen wollte sich noch eine Hoffnung regen – wenn sich der Vater doch noch erweichen ließe? Daß ihm Therese wirklich untreu geworden, das konnte sein selbstbewußter Kopf nicht fassen. Ihre Weigerung war sicher nur Schrecken über sein unvermuthetes Erscheinen und seine leidenschaftliche Hast gewesen. Sie mußte ihn ja noch lieben, es war ja nicht anders möglich! War dem nicht so, dann – – ja dann war er zu Ende mit allem überhaupt, dann sah er in ein bodenloses Nichts hinein, und deshalb durfte diese Sache nicht schlecht verlaufen, sie durfte nicht!

Er fuhr empor, als Herr Krautner wieder eintrat, und sank dann wie gebrochen zusammen – in dem runden Gesicht des alten Herrn war nichts Gutes zu lesen. Herr Krautner nahm einen Stuhl, setzte sich seinem Gaste gegenüber, trommelte mit den runden kurzen Fingern auf dem grüngemusterten Wachstuch und begann endlich, sich räuspernd:

„Mein Mädel hat unrecht gegen Sie gehandelt; Therese hat Sie, wie man so sagt, an der Nase herumgeführt. Es thut mir weh, sie auf solchen Schlichen zu finden, hab’ immer gemeint, sie sei wie ihre Mutter so schlicht und recht und treu gesinnt. Nun, die Heutigen sind anders, und irren kann jeder Mensch einmal. Hätte sie Ihnen, als sie zur Einsicht kam, geschrieben: ‚Mein Herr, ich sehe ein, der Vater hat recht, wir taugen nicht zusammen,‘ so hätt’s eine Art gehabt; so aber, muß ich sagen, ist sie im Unrecht. Ich weiß es in diesem Augenblick gewiß, daß es ein Unglück gegeben hätte, wäret Ihr zusammengekommen. Sie müssen ihr verzeihen, Herr Lieutenant. Nun – bitte, bitte, bleiben Sie nur sitzen,“ setzte er beschwichtigend hinzu, als Friedrich Adami sich erheben wollte mit erdfahlem Gesicht, „wir sind noch nicht fertig, ich muß Ihnen da noch etwas sagen.“

Der Offizier war wieder zurückgesunken; der alte Mann schwieg, ein wunderliches Zucken ging durch sein Gesicht.

„Ich kenne Sie besser, als Sie glauben, Herr Lieutenant,“ fuhr er fort. „Erstlich verstehe ich ein wenig in den Gesichtern der Menschen zu lesen und zweitens habe ich in Berlin seiner Zeit jemand – nun sagen wir, einen guten Freund von mir – gebeten, mir dann und wann einmal etwas mitzutheilen über Ihr Thun und Lassen – verstehen Sie? Ich habe, obgleich ich Sie schroff abwies, immer mit der Möglichkeit gerechnet, daß das Mädel dennoch auf Ihnen besteht. Ich kann nach all dem nur sagen, es ist mir lieb, daß Therese von einer Heirath mit Ihnen durchaus nichts mehr wissen will, denn – die Nachrichten über Sie lauteten für den künftigen Gatten meiner Tochter nicht gerade einnehmend – was Ihr Privatleben anlangt! Mit vollster Hochachtung aber sprach man von den Leistungen in Ihrem Beruf, und es ist schade um jeden schneidigen Offizier, der Schulden halber den Dienst quittieren muß. Sie stehen vor diesem Schritte, Herr Lieutenant.“

Adami sprang empor. „Mein Herr, was geht Sie das an!“ rief er mit bebender Stimme und griff nach seinem Hute, der vor ihm auf dem Tisch lag.

„Wollen Sie mich nicht ausreden lassen? Also, ich wollte sagen: wir, das heißt das Thereschen, hat Ihnen ein schweres Unrecht angethan. Nun ist mir aber nichts schrecklicher und lästiger, als mit dem Bewußtsein einer Schuld gegen jemand in der Welt umherzugehen – das wird mir meinen Schoppen nicht schmecken lassen, es wird mir meinen Mittagsschlaf stören und die Freude an meinem Kinde erst recht. Da möchte ich Sie nun bitten, Vertrauen zu mir zu haben und mir klaren Wein einzuschenken, kurz gesagt, mir einmal ganz ehrlich zu gestehen, wie hoch sich die Summe Ihrer Schulden beläuft.“

Abermals sprang Lieutenant Adami auf, mit denselben Worten wie vorhin: „Mein Herr, was geht Sie das an?“

Und abermals drückte Herr Krautner den jungen Mann, der sich mit zitternder Hand den Schweiß von der blassen Stirn wischte, in die Sofaecke zurück.

„Sie werden die Summe nicht auswendig wissen, natürlich nicht; ich bitte Sie also, schreiben Sie mir den Betrag und nennen Sie mir die Gläubiger! Ich werde selbst nach Berlin kommen und die Sache ordnen – so, das wäre abgemacht. Jetzt aber habe ich eine Gegenbedingung: das Mädel da drüben ist für Sie nicht mehr vorhanden in der Welt – verstanden? Dafür muß ich um Ihr Ehrenwort bitten. Ferner muß ich darauf bestehen, daß Sie nach Ordnung Ihrer Angelegenheiten ein anderes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 718. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_718.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2022)