Seite:Die Gartenlaube (1892) 720.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Na, nun weine nur nicht mehr, als sei Dir das größte Unrecht geschehen – hörst wohl?“ polterte er. „Nimm Dir eine Lehre daraus! Deine Mutter hätte so etwas nicht gethan, die war so schlicht und so rechtlich – – Werde ernst, Kind, werde ernst, und . . . sapperlot, höre auf zu zittern, wirst sonst krank; am Ende wär’s gut, wir holten den Doktor, daß er Dir –“

Da fuhr sie abermals empor. „Nicht den Doktor!“

„Nun – nein, nein!“ beruhigte er. „Da, trink’ Zuckerwasser und geh’ zur Ruh’; ich will mich nachher an Dein Bett setzen, bis Du eingeschlafen bist, das Julchen hilft, Dich auskleiden; möchte nicht, daß Deine Jungfer sieht, wie aufgeregt Du bist.“

Julia brachte das noch immer bebende Mädchen zu Bett, dann kam der alte Mann wieder, setzte sich neben seinen Liebling und schickte sich an, Wacht zu halten wie eine Mutter.

Mamsell Unnnütz ging. Sie hatte feuchte Augen, als sie noch einmal zurückschaute auf die Halbschlummernde, die so liebevoll behütet war. Sie wußte nicht, was geschehen war, aber wäre es auch das Herbste, Schwerste gewesen – wer solche Liebe besaß, der war beneidenswerth.

„Glückliche Therese, die einen Vater hat und einen Liebsten!“

Und da unterdrückte sie mühsam einen Freudenschrei. Ach, sie hatte ja auch ein Glück! Dort an der Pforte vor Krautners Garten stand er und wartete auf ihr Kommen! Gewiß hatte ihm seine Mutter gesagt, daß sie noch einmal ausgegangen sei.

„Nun?“ fragte er, neben ihr herschreitend, „wie geht’s denn da drüben, Unnütz?“

„Gut!“ antwortete sie leise. „Sie schläft.“

Er nickte befriedigt. Dann gingen sie stumm nach Hause. Es war unsagbar schön, dieses Stückchen Weg.

„Schlaf wohl, Kleine,“ sagte er im Hausflur, müde, mit unterdrücktem Gähnen. Dann nickte er ihr zu und verschwand in seiner Thür.

„Gute Nacht!“ murmelte sie und stieg die Treppe empor.

(Fortsetzung folgt.)

Die Cholera-Waisen.

Innere und äußere Ansicht der am Hansabrunnen errichteten
Volksküche.

„Cholera-Waisen" – ein Wort von schrecklichem Klange! Noch vor wenigen Wochen kannte man es nirgends; ungeahnt rasch hat sich die Neubildung vollzogen. Blitzschnell flog sie hinaus aus Hamburgs Mauern, die Kunde von dem Unglück so vieler, und mit ihr jenes düstere Wort, das sich erst in der schwer betroffenen Hansestadt selbst und nach wenigen Tagen überall im Vaterland ein leidiges Bürgerrecht erwarb. Schon wurden mit der Bezeichnung „Für die Cholera-Waisen“ Gaben eingesandt von nah und fern; ein oder zwei Cholera-Waisen an Kindesstatt anzunehmen, dazu erboten sich kinderlose Ehepaare in verschiedenen deutschen Städten. Auch die „Gartenlaube“ will unter denen sein, die für die Cholera-Waisen Hamburgs eintreten und sammeln.

Als der Brief anlangte, in dem mir von der Redaktion die Aufgabe gestellt wurde, diese Sammlung einzuleiten durch eine Schilderung der Noth, die Hilfe fordere, da brauchte ich nur noch eine einzige Erkundigung einzuziehen, in allen anderen Punkten hatte ich in den entsetzlichen jüngsten vier Wochen selbst erlebt und selbst erfahren, was zu sagen war. Nur die Ziffer der schon vorhandenen Cholera-Waisen fehlte mir. Ich wandte mich an einen sicheren Gewährsmann.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_720.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2022)