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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Ich hoffe, es geht Ihnen gut, Fräulein Meermann.“

„O gewiß – wie immer.“ In ihren grauen Augen lag keine Spur von Entgegenkommen und ihre Stimme klang eisig.

Der Kassierer fuhr sich über die Augen. „Der Spitzenstoff, den Sie zu kaufen wünschten, Fräulein Meermann – ich habe mit Herrn Franz geredet, er würde ihn seinem Personal zu zwei Dritteln des Ladenpreises ablassen.“

„Danke sehr; darüber können wir ja morgen im Geschäft sprechen. Aber meine Mutter legt ihre Arbeit zusammen, es wird Zeit zum Aufbruch.“

„Ja, es ist wahr, es dunkelt schon. Fräulein Meermann, vielleicht“ – er athmete schwer – „vielleicht erlaubt Ihre verehrte Frau Mutter, daß ich Sie nach Hause begleite?“

Frida tanzte beinahe vor Vergnügen, während Grete innerlich knirschte vor Zorn „Da müssen Sie eben meine Mutter selbst fragen, Herr Röver. Was mich angeht, ich möchte mir gern noch etwas Bewegung machen und mich meinen Freundinnen hier anschließen, wenn sie es erlauben. Entschuldigen Sie einen Augenblick, meine Damen!“

Röver ließ den Kopf hängen wie ein gescholtenes Kind, als jedoch Grete jetzt zu ihrem Tische zurückschritt, um sich von der Mutter zu verabschieden, war er mit zwei Schritten wieder an ihrer Seite. Die Menschenwellen schlugen hinter ihnen zusammen, in dem Gewühl waren sie allein.

„Fräulein Meermann, warum sind Sie so unfreundlich gegen mich?“

Sie antwortete nicht, sondern schritt weiter.

„Warum kränken Sie mich, wo Sie können? Ich habe Ihnen doch nichts zuleide gethan und habe nur den einen Wunsch, Ihnen Freude zu bereiten.“

„Wirklich?“ Sie blieb stehen und sah ihm zornig in die Augen. „Nun, dann bereiten Sie mir die Freude und lassen Sie mich meiner Wege gehen! Kennen Sie mich nicht, kümmern Sie sich nicht um mich!“

Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß ja, daß Sie mich nicht liebhaben können, und verlange auch so viel nicht. Aber warum wollen Sie mir das Glück nehmen, in Ihrer Nähe zu sein? Warum stoßen Sie mit solcher Grausamkeit einen Menschen von sich, der es von Herzen gut mit Ihnen meint?“

„Ihre freundlichen Gesinnungen gegen mich sind gewiß sehr dankenswerth,“ erwiderte Grete rauh, „nur bringen sie mir Schaden statt Nutzen.“

„Schaden? Wie sollte meine uneigennützige Verehrung Sie in Schaden bringen, Fräulein Meermann?“

„Nun denn,“ rief Grete, außer sich gebracht durch seine sanfte Hartnäckigkeit, „wenn ich einmal offen reden soll – begreifen Sie denn nicht, daß Sie mich lächerlich machen durch Ihre unaufhörlichen Huldigungen?“

„Lächerlich? O, Fräulein Grete, ich bin ja gewiß nicht von mir selbst eingenommen – aber daß meine ehrliche Neigung lächerlich machen könne, das – das habe ich freilich nicht gewußt . . . und das kann auch Ihr Ernst nicht sein. Nicht wahr, Sie haben das nicht so schlimm gemeint?“

Grete antwortete ihm nicht mehr – sie drehte ihm kurz den Rücken und trat zu ihrer Mutter. Was brauchte er solch jämmerlich weichen Ton anzuschlagen! Er hätte ihr grob antworten sollen auf ihre Grobheit, dann wären sie miteinander fertig gewesen, wie es das Beste war. Diese Widerstandslosigkeit war unausstehlich! Als Kind schon hatte sie ihre Katze nicht schlagen können, wenn die sich demüthig duckte, dem drohenden Strafgericht sich unterwerfend, es falle, wie es wolle. Und nun hatte dieser feige Mensch fast nicht anders vor ihr gestanden! Aber sie war nicht mehr das thörichte Kind, das sich durch sklavische Unterwerfung entwaffnen ließ – mochte er seine verdiente Strafe haben!

Röver stand mit seinem Hunde allein im Gewirr der Kommenden und Gehenden: die Menge drängte und stieß den Regungslosen, der sich jetzt mit dem Menschenstrom zum Ausgang des Gartens treiben ließ. „Lächerlich?“ murmelte er wehmüthig vor sich hin, „lächerlich?“ Und dabei starrten seine Augen mit einem Ausdruck in die Weite, als wollte er jemand erwürgen.

Am Ende des Gartens traf er mit Frau Meermann und deren Sohn zusammen. Der junge Mann war eben noch einen Augenblick aufgehalten worden. Jener Bursche, der vorhin das Manöver mit seiner Börse ausgeführt hatte, war ihm in den Weg getreten.

„Nun, wie wird’s, Meermann? Sieht man Sie diesen Abend bei Dachinger? Oder wird heute noch weiter guter Sohn gespielt?“

„Um Neun, wie gewöhnlich,“ hatte Julius geantwortet, unruhig umherblickend, und war hastig vorüber gegangen. Dieser überlästige Frager! Was brauchte er ihn jetzt und hier zu behelligen! Um Neun fing sein zweites Leben an – vorerst begleitete er als wohlerzogener Sohn die Mutter nach Hause. Die eine Hälfte seines Tages brauchte von der anderen nichts zu wissen.

Es war ihm nicht ganz genehm, daß Röver, den er von einem kaufmännischen Verein her kannte, sich ihnen anschloß. Die Gegenwart eines Fremden erschwerte es ihm, sich zeitig frei zu machen. Frau Meermann dagegen begrüßte den Kassierer äußerst höflich – keine Mutter verargt es im Grunde einem jungen Manne, wenn er ihre Tochter liebenswürdig findet.

„Ich hörte vorhin Ihren Namen, Herr Röver; Sie sind Kassierer in dem Geschäft, in dem auch meine Tochter angestellt ist, nicht wahr?“

Und dann sprach sie zu ihm von dieser Tochter, wie sie ihre Freude und ihr Stolz sei, früh selbständig geworden, sehr selbständig in allen Dingen, so daß sie sich nicht einmal von der Mutter in ihre Angelegenheiten dreinreden lasse. Während dieser Auseinandersetzungen ging Anton Röver mit den gemessenen Bewegungen, die großen schlanken Menschen eigen und kleidsam sind, gesenkten Hauptes neben der geschwätzigen Dame her, Waldmann, die Nase an den Fersen seines Herrn, wackelte geduldig hinterdrein, und einer war so stumm wie der andere.

Nur eiumal hob der Kassierer den Blick, als die Frau von der Geradheit ihres Mannes zu sprechen anfing und daß ihr die Freude geworden sei, ihre beiden Kinder in die Fußstapfen des Vaters treten zu sehen. Da sah er die glückliche Mutter mit seinen finsteren Augen so drohend an, daß sie erschrak und sich im stillen gestand, der junge Mensch, der ihr bisher in seiner Sanftmuth ganz wohl gefallen hatte, besitze freilich einen Blick, vor dem ein junges Mädchen sich fürchten könne.

An der Thür des Meermannschen Hauses verabschiedete sich Röver nicht, wie Julius gehofft hatte.

„Wenn es Ihnen recht ist, gehe ich einen Augenblick mit Ihnen hinauf, Herr Meermann; ich habe Ihnen etwas mitzutheilen, was sich nicht auf offener Straße abmachen läßt.“

„Aber selbstverständlich! Bitte!“

Frau Meermann bewohnte mit ihren Kindern ein kleines verwittertes Haus, das früher die Beamtenwohnung ihres Mannes gewesen war. In Anbetracht der guten Führung des Verstorbenen hatte man seine Witwe in Gnaden zu billigem Preise dort belassen. Das Haus, jedenfalls einige hundert Jahre alt, hatte einen ungeheuren Flur und eine breite Treppe mit schönem Eichengeländer. Im ersten und einzigen Stockwerk war, den Ansprüchen der Neuzeit entsprechend, mit Hilfe eines Lattenverschlags eine Art Vorplatz abgetheilt; die Küche freilich und die Kammer des Sohnes lagen außerhalb.

Die Kammer war ein halbdunkler Raum. Das einzige Fenster öffnete sich auf einen engen schmutzigen Hof, durch dessen breites offenstehendes Thor man einen ganzen Rattenkönig ähnlicher Höfchen erblicken konnte. Die Einrichtung des Junggesellenstübchens verrieth deutlich den grundverschiedemen Charakter der beiden Personen, durch deren Zusammenwirken sie zustande gekommen war. Das mit schneeweißer Decke verhüllte Bett, die helle saubere Tapete, der Waschtisch mit seinem weißen Oelfarbenanstrich statt der Marmorplatte, die duftigen Gardinen am Fenster – das alles verdankte seinen Ursprung sichtlich Frau Meermanns fleißigen Händen und ihrem klaren reinlichen Sinne. Den Schreibtisch am Fenster dagegen, der mit wenig Papieren, aber vielen zum Theile sehr „schneidigen“ Statuetten und mit Parfümfläschchen bedeckt war, hatte ohne Zweifel Julius hinzugefügt.

Als artiger Wirth bot er seinem Gaste einen Stuhl, während er zugleich die Manschetten losknöpfte und Anstalten traf, sich die Hände zu waschen und das Haar zu kämmen für den zweiten Ausgang heute abend. Er hatte nicht viel Zeit übrig, das mochte der andere sich gesagt sein lassen. Röver aber saß dickfellig auf seinem Stuhle, kraute Waldmanns Ohren, sah verteufelt ernst drein und schwieg.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 727. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_727.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2023)