Seite:Die Gartenlaube (1892) 730.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

war als der rechte, stolz ablehnend durch die Luft. „Zum Kuckuck mit den Geschäften! Werden doch Spaß verstehen! Seien Sie kein ängstlicher Philister! Ich bin kein solcher Judas, daß ich einen braven Kerl ausziehe just in dem Augenblick, da er sich einen vergnügten Abend machen will. Und im übrigen habe ich Ihre Handschrift, das genügt.“

Julius dachte an Rövers Warnung und blieb standhaft. „Nehmen Sie Ihr Geld, wir sind nachher um so vergnügter!“

Allein zu dem, was ihm nicht paßte, brachte man Habermann nicht so leicht. Er erfand tausend Possen, um die Abrechnung hinauszuschieben. Am Thurmhahn der Martinskirche wolle er seine Schuld einkassieren, versicherte er zuletzt ernsthaft.

Julius wurde ungeduldig. „Unsinn, Habermann! Nehmen Sie Ihr Geld! Ich bin bloß deshalb noch einmal hergekommen, um Sie zu befriedigen. Die Rücksicht auf meine Mutter, auf meinen Prinzipal, der mir sein volles Vertrauen schenkt, erfordert gebieterisch, daß ich wenigstens vorläufig etwas solider werde. Also hier – nehmen Sie und geben Sie mir Quittung!“

„Am Thurmhahn der Martinskirche, sag’ ich Ihnen, oder gar nicht. Was geht mich Ihr Bekehrungsdusel an!"

„Und was mich Ihr verrückter Spaß mit dem Thurmhahn, zu dem ja kein Mensch hinaufkann!“

„Nicht kann? Oho, Freundchen! Was geben Sie mir, wenn ich dem Hahn auf den Schwanz tret?“

„Nun lassen Sie aber die Geschichte!“

„Wetten wir? Zehn Mark, wenn ich’s fertig bringe, gegen zwanzig, wenn’s mißlingt. Einverstanden? Die Herren sind Zeugen.“

„Es wäre die reine Tollheit, und wenn Sie das Genick brechen . . .“

„Was geht mein Genick Sie an! Es gehört mir, ist mir vererbt von Vater und Mutter – leider auch so ziemlich das Einzige, was sie mir vererbt haben. Gilt’s also?“

„Nun denn, meinetwegen.“

Sie schlugen die Richtung nach der Martinskirche ein. Habermann führte sie durch ein Nebengäßchen auf einen Hofraum, wo ein kleiner, der Gemeinde gehöriger Schuppen stand, der zur Aufbewahrung von allerlei Gerümpel diente. In den Lichtstrahlen der gegenüber stehenden Straßenlaterne schimmerte ein goldiger Gegenstand aus der halb offenstehenden Thür hervor. Habermann stieß die Thür vollends auf, kletterte über die hohe Schwelle und löste den goldglänzenden Gegenstand aus dem ihn umgebenden Dunkel.

„Der Thurmhahn der Martinskirche. Bitte, meine Herren, überzeugen Sie sich! Ich habe die Ehre, ihm hiermit auf den Schwanz zu treten. Es war, wie Sie sich erinnern werden, keineswegs ausbedungen, daß er sich dabei oben auf dem Thurmknauf befinden müsse.“

Man hatte den Hahn gestern abend zum Zwecke einer Ausbesserung herabgenommen, und der Schalk wußte zufällig darum. Diejenigen, welche der Handel kein Geld kostete, lachten von Herzen darüber, während Habermann triumphierend den Hahn an seine Stelle zurückbrachte. Nachlässig den Staub von seinen Kleidern klopfend, kehrte er wieder.

„Also, Meermann, Sie schulden mir zehn Mark; ich schreib’s zu dem Uebrigen.“ Und wirklich trug er im Scheine der Laterne die neue Schuld des Freundes neben die alten in sein Buch ein, und Julius war so verblüfft und gereizt durch die Uebertölpelung, daß er ganz vergaß, auf sein Verlangen von vorhin zurückzukommen. In mühsam verhaltenem Grolle folgte er den Kameraden, die es jetzt eilig hatten, das ausgemachte Schanklokal zu erreichen. Dort entwickelte sich bald eine ausgelassene Lustigkeit; Meermann, der seine Empfindlichkeit nicht überwinden konnte und doch auch nicht zeigen wollte, wurde aufgeregt; er sprach mehr als sonst und lauter, trank hastig, lachte ohne Aufhören. Und dann kamen die Karten auf den Tisch, harmlose Skatkarten. Der Wirth, ein fettiges rundes Männchen, duldete kein Glücksspiel in seinem Hause – man kann aber auch im Skat recht nett verlieren, besonders wenn ein verborgener Zorn in einem kocht und zu unmöglichen Spielen reizt. Und wie die Nacht vorrückte, wurde der tugendhafte Wirth müde, grausam müde! Erst nickte er hinter seinem Schenktisch ein und zuletzt schnarchte er ganz laut, was kein Gesetz der Welt einem Wirthe verbietet. Auch war es gewiß nicht die Schuld des Schlafenden, wenn hinterlistige Menschen die kurze Zeit seiner beschaulichen Ruhe dazu benutzten, die ehrsamen Skatkarten, welche er geliefert hatten zu frevelhaftem Tempelspiel zu mißbrauchen. Er sah es ja nicht, seine Augen waren geschlossen, und Julius Meermann, welcher die seinigen weit offen hatte, beachtete es kaum: blieb doch auch hier die Moglichkeit, zu gewinnen. Aber er verlor.

Endlich, als das graue Tageslicht sich mit dem rothbrennenden Gaslicht und dem gelblichen Staub und Qualm der Stube zu einer traurigen Mißfarbe mischte, fuhr er, wie aus schwerem Traume erwachend, mit dem zerknitterten Batisttaschentuch über sein bleiches Gesicht und murmelte: „Sie wissen, ich bin ein ehrlicher Mann, Habermann, ich halte Wort. – Sie werden mich nicht drängen.“

Und Habermann nickte, stieß dazu einen undeutlichen Laut aus, der ebensogut heißen konnte. „Behüte!“ wie: „Das wird sich finden!“ und schrieb mit hübschen runden Ziffern eine vierstellige Zahl auf ein Blatt Papier, das er seinem Taschenbuch entnahm.

„Unterschreiben Sie wenigstens! Das ist der ganze Bettel auf einmal. Ich streiche die einzelnen Posten. Sehen Sie, hier!“ –

Dann wankte Julius seiner Wohnung zu, und ihm war, als könne das alles nicht wirklich sein, was er erlebt hatte. War er nicht weggegangen, um sich von Habermann zu lösen, womöglich für immer? Und nun! O über diese fluchwürdige Verkettung des Schicksals, das ihn gerade jetzt nur noch enger an den Menschen gefesselt hatte. Abscheuliche Einrichtung der Welt – sowie man in seiner harmlosen Lebenslust den Fuß vorsetzt, sich seiner Jugend zu freuen, gleich müssen ringsum Fußeisen liegen, in denen man sich fängt! Und doch – Kopf hoch! Andere waren auch in solchen Nöthen gewesen und mit heiler Haut wieder herausgekommen. Daß nur die Mutter nichts von seinem Unstern erfuhr! Leise schloß er das Haus auf, schlich auf den Zehen die Treppe hinauf und öffnete vorsichtig und langsam die Kammerthür. Gott sei Dank, sie knarrte nicht, Grete hatte vorgesorgt!

*  *  *

In dem Putz- und Modewarengeschäft von Franz und Kompagnie in der Breiten Straße herrschte die beschauliche Ruhe der Nachsaison. Schweigen, nachmittägliche Schwüle erfüllten den schmalen langgestreckten Ladenraum, in dem vor einigen Wochen Scharen ungeduldiger Menschen sich gedrängt hatten, aussuchend, feilschend, bittend, scheltend – dessen Wände widergehallt hatten von den Anpreisungen der Verkäuferinnen, den Bedenken vorsichtiger Kunden, dem Klappern der auf das Zahlbrett geworfenen Münzen. Jetzt lag der Sonnenschein in breitem Streifen auf dem Asphaltpflaster vor der offenen Thür, Fliegen summten herein und hinaus, die Modellhüte auf ihren hohen Gestellen schienen zu schlafen, träumerisch hingen die Spitzengewinde im Schaufenster herab; die ausgelegten Frühlingsblumen sahen müde und gelangweilt aus, wie verdrießlich darüber, daß sie noch immer weiterblühen sollten, da doch ihre Zeit längst um war und kein Käufer sich ihrer Pracht freute. Auf den Stühlen, die für die Kunden aufgestellt waren, dehnten und reckten sich Verkäufer und Verkäuferinnen oder schlossen sich zu gemüthlichem Klatsch zusammen. Herr Franz hatte die tote Zeit benutzt, um auf Reisen zu gehen, das erhöhte nicht wenig das Behagen, mit dem alles nach den Wochen der Ueberarbeitung die Ruhe genoß.

Grete saß still in einer Ecke. Sie war es gewohnt, hohen Werth auf die Meinung des Bruders zu legen; daß er ihr Verhalten dem Kassierer gegenüber so wenig billigte, gab ihr doch zu denken. Dazu kam, daß Röver wie umgewandelt schien. Seit sie ihm gesagt hatte, daß seine Huldigung sie lächerlich mache, hatte er nie wieder das Wort an sie gerichtet. Nur seine Augen ertappte sie hier und da, wie sie mit finsterem Ernste ihren Bewegungen folgten; aber sie wandten sich eilig ab, sobald er sich beobachtet sah. Es war also möglich, diesen hartnäckigen aufdringlichen Menschen in seine Schranken zu bannen! Ja, wenn sie’s genau betrachtete, so war es sogar recht leicht gewesen; fast ärgerte sie sich darüber, wie leicht! Und lhre Gefährtinnen merkten die Wandlung sofort. Sie beglückwünschten die Freundin spöttisch zu ihrem Erfolg, und Frida Meier schien gar nicht abgeneigt, den Verlassenen für den erlittenen Verlust zu trösten. Also war es wirklich so, wie Julius behauptet hatte, daß aus dem Spotte

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_730.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2023)