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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Da war die erregte Frau schon an ihrer Seite. „Lieber Gott, bist Du denn ganz und gar mit dem Verstand zu kurz gekommen? Oder thust Du nur so, als merktest Du nicht, wie das Glück Dich überschütten will?“ Sie faßte das Mädchen an der Hand und schob die Willenlose durch die Schlafstubenthür von Tante Riekchen. Dann rief sie mit in die Seite gestemmten Armen ihrer erschrockenen Schwester zu:

„Nein, Riekchen, nun sieh sie Dir an, sieh Dir nur das da an! Nein, das hätten wir alle beide nicht gedacht – ach, du lieber Himmel, ich muß mich setzen!“

Die nervöse Kranke war jäh im Bette emporgefahren. „Was ist denn?“ stieß sie mühsam hervor, und ihre Augen flogen wahrhaft entsetzt zu dem blassen Mädchen, dem jetzt eine unbestimmte Ahnung aufstieg, daß es sich um die Zukunft ihrer Person handle.

Brauchst nicht zu erschrecken, bist Deine Sorgen mit einem Male los, Riekchen! So denk’ doch nur, dieses dumme Gänschen da hat ein Glück wie kein anderes Mädchen in der Stadt – einen Heirathsantrag, einen, der aber nicht von Pappe ist – was meinst, Riekchen? Der Alphons Norban will sie!“

Ein leiser banger Aufschrei war durch das Gemach geflogen zugleich mit den letzten Worten der Frau. Dann ward es totenstill. Die beiden Schwestern hingen mit ihren Augen an Mamsell Unnütz, die noch auf demselben Flecke stand, hochaufgerichtet, den Kopf zutückgeworfen und leichenblaß. Nur ein leises Schütteln ging durch ihren Körper.

„Das ist nicht wahr!“ brach es endlich von den zitternden Lippen.

„Nicht wahr? Nun ja, schwer zu glauben ist’s, aber wahr ist’s doch! Seine Mutter hat mich ausdrücklich beauftragt, mit Deiner Tante darüber zu reden.“

„Aber Minna, er ist ja – er ist ja –“

„Geh’ hinaus!“ unterbrach die Räthin, zu Julia gewandt, ihre Schwester. „Und Du, Riekchen, schweig’ still mit den sentimentalen Redensarten! Freilich ist’s ein kränklicher Mensch – soll er darum keine Frau bekommen?“

„Aber nicht mich!“ kam es jetzt von Julias Lippen. Sie war stehen geblieben und hatte ruhig und besonnen gesprochen. „Nicht mich!“ wiederholte sie noch einmal.

„Das wirst Du Dir doch wohl noch überlegen,“ erklärte unbeirrt die Räthin, „erst will ich aber mit Dir reden, Riekchen; geh’ hinaus, Julia!“

„Ich möchte hier bleiben!“

„Laß sie hier,“ sagte auch die Kranke und legte sich seufzend in die Kissen zurück, „es ist doch ihre Sache, und ich will nicht, daß sie denkt, ich mischte mich in etwas, was sie allein zu entscheiden hat.“

„Mit Euch red’ der Kuckuck! Ihr wartet wohl auf den Großmogul? Als ob die Gelegenheit wiederkäme, so ein Fräulein von Habenichts auch nur annähernd zu versorgen! So denk’ doch nur ums Himmelswillen, Kind, in was für Verhältnisse Du heirathest! In ein wahres Feen-Nestchen setzen sie Dich; der arme Mensch ist rein weg von Dir, und was dem gefällt, gefällt seiner Mutter erst recht. Jetzt denk’ ’mal, wie sorglos Du da leben kannst als geachtete Frau. Du kannst Reisen machen, die Welt sehen, hast Dein reizendes Haus, die Theaterloge in Wiesbaden und die Equipage; Du bist versorgt und geschützt und gepflegt wie ein Prinzeßchen; keine Noth des Lebens kann an Dich heran, während sie sonst allerwegen auf Dich lauert. Oder denkst Du Dir’s so leicht, als armes Mädchen durch die Welt zu ziehen, von einer Stellung in die andere getrieben zu werden? Denn das kannst Du Dir doch nicht verhehlen, daß es hier nicht lange mehr geht. An Deiner Stelle hätt’ ich’s schon längst nicht mehr mit ansehen können, wie Deine arme Tante im Gram um Deine unversorgte Zukunft vergeht. Auf die Knie müßtest Du fallen und Gott danken, daß er einen Ausweg schickt aus all dem Wirrsal und Dir Gelegenheit geben will, dem armen Thierchen da“ – sie wies auf die Kranke – „das ein wenig zu vergelten, was sie für Euch gethan hat. Betrachte es nur ’mal von dieser Seite, dann wirst Du anders denken!“

Mamsell Unnütz hatte während dieser Rede mehr und mehr den Kopf gesenkt, die Arme hingen ihr schlaff herunter, es wirbelte ihr vor den Augen; ihr war, als ob eine eiskalte Hand sie zurückdränge, immer weiter zurück aus hellem friedlichen Sonnenschein in einen blumenlosen trüben Wintertag; und sie wollte doch nicht. Sie umfaßte das, was ihr Halt gewesen, und klammerte sich fest daran mit ihrem geängstigten Herzen.

„Ach, ich will alles thun um der Tante zu helfen nur das nicht, das nicht!“

„Alles thun? Das sind Redensarten!“ eiferte die Räthin. „Was willst Du denn thun? Etwa eine Stelle suchen? Davon wirst Du allein kaum satt, für andere fällt nichts ab. Und was willst Du denn werden. Bezahlte Krankenpflegerin etwa? Da thätest Du besser, Deinen eigenen Mann zu versorgen, dann weißt Du was Du hast.“

„Aber ich will nicht!“ rief das Mädchen plötzlich, „hör’ auf, Tante, ich will nicht!“

„Und warum denn nicht?“

„Weil ich ihn nicht lieb haben kann!“

„Na, verlangt ja auch keiner. Ist das der ganze Grund? Weißt Du, der ist aus der Mode, das ist lächerlich, wenigstens in Deiner Lage sehr lächerlich.“

Mamsell Unnütz wandte langsam ihre empörten Augen zu Tante Riekchen hinüber. Die mußte sich ja ihrer annehmen, mußte sie verstehen, denn sie war ja auch dem Geliebten treu geblieben und hatte jeden anderen abgewiesen, selbst dann noch, als jener sich von ihr gewandt. „Hilf’ Du mir!“ heischten ihre Blicke. Aber rasch senkten sich ihre Wimpern; aus den weit geöffneten glänzenden Augen der Fieberkranken war eine Bitte an ihr Herz gedrungen, eine angsterfüllte heiße Bitte. „Wenn Du Dich entschließen könntest!“ stand darin so deutlich, ach so deutlich!

Da wandte sich das Mädchen mit einer schier verachtungsvollen Gebärde ab und ging hinaus. Und nun saß sie in ihrem engen Stübchen, die Hände im Schoße gefaltet. Was werden solle, war ihr nicht ganz klar, nur das eine wußte sie, er würde ihr helfen, er würde endlich, endlich sagen: „Laßt das Quälen – sie ist mein, mein für immer!“ Wenn er nur erst käme, er blieb heute gar so lange!

Die Stimme der Räthin drang gedämpft bis hierher; sie mußte sehr laut und sehr eifrig reden. An das Mittagessen dachte sie heute nicht. Diese Brautwerbung hatte gewirkt wie ein Blitzschlag und alle gewohnte Ordnung umgestoßen.

Jetzt ward nebenan die Thüre zugeschlagen und die Räthin huschte über den Flur; ihre Tritte hörte man nicht, wohl aber ihr ärgerliches Gemurmel. Dann ward es ganz still.

Das junge Mädchen erinnerte sich endlich, daß die Kranke ihre Suppe noch nicht bekommen habe, und eilte, sie ihr zu bringen. Tante Riekchen lag mit heißem schmerzenden Kopfe in ihren Kissen und wollte nicht essen; sie wehrte unwillig der Hand, welche die ihrige ergriff. „Geh’ nur, geh’,“ sagte sie, „ich mag nichts sehen und hören von all den Geschichten, ich habe nur noch einen Wunsch – ich wollte, ich wäre tot!“

Mamsell Unnütz wagte nicht, ein beruhigendes Wort zu sprechen; sie wußte nun, auch hier zürnte man ihr, weil sie nicht die erste beste Gelegenheit ergriff, um das Haus von ihrer lästigen Gegenwart zu befreien. Sie schlich davon und schaute aus dem Flurfenster über den Hof, ob er noch immer nicht komme, der sie schützen sollte. Aber der verschneite Hof lag einsam da und im ganzen Hause war es totenstill. Die Räthin mochte wohl versuchen von den Aufregungen des Vormittags auszuruhen. Julia erinnerte sich nicht, jemals die Frau so aufgeregt, so geärgert gesehen zu haben. Was konnte ihr nur so groß daran liegen, ob sie, Julia, reich würde oder nicht? – Dann stieg vor den Augen des Mädchens das blasse eingefallene Gesicht des Mannes auf, der sie zur Frau begehrte. Diese Züge, so aschfahl, so durchsichtig, so sterbenskrank, und ein Frösteln überlief sie, ein Widerwille, der sich bis zum körperlichen Unbehagen steigerte. – Käme er doch erst!

Und auf einmal hörte sie drunten die Klingel, ganz leise; er pflegte so zu kommen, wenn er vermuthete, daß seine Mutter schlief. Im nächsten Augenblick war sie auf der Treppe und lief durch den Flur in das Wartezimmer. Er zog eben den Ueberzieher aus und sah kaum auf Mamsell Unnütz, die ihm mit blassem Antlitz und fest ineinander gepreßten Händen entgegenschritt.

„Fritz,“ begann sie, und jetzt, wo sie sich geborgen glaubte, verlor sie ihre mühsam bewahrte Ruhe, „Fritz, Du hast mir gesagt, im Sommer war’s, wenn man mir etwas thun wolle – bei Dir fände ich Schutz. Nun bitte ich Dich, hilf mir!“

„Komm, Julia, hier ist’s kalt,“ antwortete er ruhig und ging voran in sein Wohnzimmer. „Gewiß helfe ich Dir, wenn Du Hilfe nöthig hast. Was ist denn geschehen? Hast Du armes kleines Ding wieder Schelte bekommen, hast Du etwas vom alten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 743. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_743.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2022)