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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Mißwirtschaft. Während der Indianer der Vereinigten Staaten unaufhaltsam vor der europäischen Civilisation dahinstirbt, ist davon in Yucatan keine Rede.

Tempel zu Zayi.
Nach Stephens.

Der Eingeborene ist noch immer der eigentliche Herr des Landes. Ein Blick auf eine Karte Yucatans zeigt, daß fast alle Ortsnamen der Mayasprache angehören, und der Europäer, der sich im Lande niederläßt, sieht sich gezwungen, die Sprache der Eingeborenen zu lernen; der Plantagenbesitzer, der Farmer muß mit seinen Leuten „Maya“ reden. Ob die heutige Sprache dieselbe ist, in der die Tempel-Inschriften und die Handschriften abgefaßt sind, ist natürlich sehr zweifelhaft.

Viele Aufschlüsse über das merkwürdige Leben in Yucatan giebt uns aus der Zeit der Spanier besonders der schon erwähnte Bericht des Bischofs von Merida, Diego de Lauda. Das Mayareich war einst eine mächtige Monarchie, von dem alten Königsgeschlechte der Tutul Xin regiert, die ihre Residenz in Mayapan, einige Stunden südöstlich von der heutigen Hauptstadt Merida, hatten. Aber die Vasallenfürsten in den Provinzen wurden mit der Zeit immer unabhängiger, und etwa hundert Jahre vor der Ankunft der Spanier empörten sie sich gegen den König und zerstörten Mayapan. Noch heute findet man in der Gegend, wo die alte Hauptstadt des Landes gelegen hat, die Spuren von Gebäuden im Umkreise von drei Meilen. Seitdem wurde das Land von Bürgerkriegen verwüstet, und als die Spanier kamen, gelang es ihnen leicht, die kleinen, sich untereinander befehdenden Herrscher zu überwältigen.

Die Staatseinrichtungen der Mayas waren ähnlich denen der Azteken. Der Monarch war mit der Machtfülle und dem Pomp orientalischer Fürsten bekleidet, und neben ihm bestand eine mächtige Priesterschaft, der die Pflege der geistigen Kultur, die höhere Erziehung der Jugend, die Wissenschaften, die Zeitrechnung und das Kalenderwesen besonders oblagen.

Die Religion der Mayavölker weist manche höchst wunderbare Züge auf, die zu den abenteuerlichsten Vermuthungen Anlaß gegeben haben, nämlich Anklänge an christliche Ideen, wie sie übrigens auch bei anderen Kulturvölkern Amerikas vorkommen. Die Mayas verehrten das Kreuz als religiöses Symbol; in einem der großen Tempel zu Palenque sieht man es dargestellt, und als Cortez im Jahre 1519 die Insel Cozumel an der Ostküste Yucatans besuchte, fand er dort ein steinernes Kreuz, das die Eingeborenen anbeteten. Aber kein uraltes Christenthum liegt hier vor, auch kein „Spott des Teufels“, wie die Mönche glaubten, sondern das Kreuz war den Mayas das Sinnbild der vier Weltgegenden, die Windrose, in ihren Beziehungen zum Wetter, zum Regen und zur Fruchtbarkeit des Landes. Auch die Azteken verehrten eine kreuzähnliche Figur, die sie den „Baum des Lebens“ nannten.

Ebenso wunderbar ist die Thatsache, daß die Mayas die – Kindertaufe übten! Sie verbanden damit eine völlig christliche Vorstellung, denn sie hielten die Taufe für eine Befreiung von der angeborenen Sünde, eine symbolische Reinigung, und machten sie deshalb zur religiösen Pflicht; niemand durfte über sein zwölftes Jahr hinaus ungetauft bleiben. Dazu kommt noch, daß sie den Akt mit einem Namen bezeichneten, der wörtlich bedeutet: „Von neuem geboren worden!“ Die Gebräuche bei dieser Taufe waren bei den Völkern Mittelamerikas sehr verschieden, und sie weisen mitunter recht ansprechende Züge auf; so wurde bei einem Stamm dem Kinde Staub aufs Haupt gestreut mit den Worten: „O du kleines Wesen, du bist auf diese Welt gekommen, um zu leiden – leide und schweig’! Du lebst, aber du mußt sterben; viel Schmerz und Angst wird über dich kommen, bis du wieder Staub geworden bist wie dieser Staub!“ Die Tauffeierlichkeiten der Mayas werden uns von dem Bischof Landa ziemlich eingehend beschrieben. Der Taufe ging eine Beichte der Kinder voraus, und unter Gebeten wurden die Täuflinge von dem Priester mit Wasser benetzt. Sogar Taufpathen gab es, und sie spielten bei der Handlung eine ähnliche Rolle wie bei uns. Ein Schmaus schloß die Feierlichkeit. In einer der Mayahandschriften finden wir eine Scene dargestellt, die offenbar nichts anderes ist als ein Taufakt; unsere Abbildung giebt diese höchst merkwürdige Darstellung aus der Madrider Mayahandschrift wieder, ein seltsames Bild altamerikanischen Kulturlebens, dem gegenüber man es wohl begreift, wenn die spanischen Mönche hinter dergleichen Dingen den Hohn des Teufels witterten, dem sie am wirksamsten durch gründliche Vernichtung der alten Handschriften zu begegnen glaubten.

Wenn man das heutige Yucatan mit dem alten Mayareich vergleicht, so fällt der Vergleich keineswegs zu Gunsten des modernen Landes aus. Yucatan war in der alten Zeit mehr bevölkert als heutzutage – wie auch die Hauptstadt des Aztekenreiches größer und volkreicher war als das heutige Mexiko und wo heute ärmliche Dörfer stehen, erhoben sich damals große und reiche Städte. Handel und Verkehr standen dementsprechend in hoher Blüthe. Es klingt wie ein Märchen, wenn man hört, daß im alten Yucatan breite, gepflasterte Kunststraßen das Land durchzogen, wo heute die „camino real“ („Königlicher Weg“) genannten Straßen sich trotz ihres stolzen Namens meist nur als erbärmliche Maulthierpfade darstellen – wenn überhaupt ein Weg vorhanden ist.

Kaufleute, die im alten Amerika besonderes Ansehen genossen, durchzogen in internationalem Handelsverkehr Mittelamerika von Mexiko bis Honduras, und als Zahlmittel dienten an Stelle des Geldes Kakaobohnen, Kupfer und Edelsteine. Die Volksnahrungsmittel, wie z. B. der Mais, wurden zu amtlich festgesetzten Preisen verkauft, und die spanischen Schriftsteller berichten uns ausdrücklich, daß jede Verpflichtung streng eingehalten und die Erfüllung von Verträgen sorgfältig überwacht wurde. Die Justizpflege war wohlgeordnet und lag besonderen Beamten ob; in jedem Orte befand sich ein Richter, der unter Zuziehung von Beisitzern Recht sprach, und ein königlicher Kommissar reiste im Lande umher und prüfte die Thätigkeit der Gerichte.

Das Jahr theilten die Mayas in achtzehn Monate zu je zwanzig Tagen und fünf Schalttage, nebenher ging eine Zählung von Wochen zu je dreizehn Tagen. Jeder Tag erhielt daher eine Doppelbezeichnung, einen der zwanzig Tagesnamen und eine der Zahlen bis dreizehn, wodurch sich ein sehr geschicktes Kombinationssystem ergab, bei dem erst nach langen Zeiträumen wieder ein Tag denselben Namen und dieselbe Zahl bekam. Gerade auf dem Gebiete der Zeitrechnung zeigten die Mayas eine besondere Begabung. Die Zeitrechnung und der Kalender spielten denn auch im Leben des Volkes eine große Rolle, es giebt fast kein einziges Ueberbleibsel in Mayahieroglyphen, wo sich nicht unter den Schriftzeichen Zahlen und Tages- oder Monatshieroglyphen vorfänden.

Der Charakter der alten Mayas wird uns von den spanischen Schriftstellern sehr günstig geschildert, namentlich die Frauen werden als Gattinnen und Mütter außerordentlich gelobt.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_751.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2023)