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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Ein Spanier Namens Alonso Lopez de Avila, der im Kampfe eine Eingeborene von auffallender Schönheit gefangen genommen hatte, ließ dieselbe, wie uns der Bischof Landa erzählt – den Bluthunden vorwerfen, weil sie sich weigerte, ihrem Gatten untreu zu werden. Eine Schattenseite der Mayas war ihre Neigung zu Vergnügungen und berauschenden Getränken. Auch die abscheulichen Menschenopfer kamen in Yucatan vor; aber sie waren sehr viel seltener als in Mexiko, wo nach jedem Kriege Tausende von Gefangenen den Göttern geopfert wurden. Das häusliche Leben war ziemlich einfach, die Erziehung der Kinder sorgfältig und streng. Die Wohnhäuser, natürlich nicht entfernt so großartig wie die öffentlichen Gebäude, die Tempel und Paläste, waren, dem Klima angemessen, leicht und luftig, ebenso wie die Kleidung. Eine besondere Kunst der alten Centralamerikaner war die Verfertigung von kostbaren Geweben aus zahllosen bunten Vogelfedern, die sie zu einer Art von Mosaik verarbeiteten, eine Knust, die wie so manches andere mit der alten Kultur verloren gegangen ist. –

Eine Taufe bei den Mayas.
Aus der Madrider Mayahandschrift.

Diese kurzen Rückblicke auf die untergegangene Kulturwelt des alten Amerika, zu denen uns die 400jahrige Jubelfeier der Entdeckung der Neuen Welt die Veranlassung bot, liefern uns in gewissem Sinne die Schattenseiten der großen Ereignisse, deren Feier wir begangen haben, sie zeigen uns, daß die europäische Kultur für den amerikanischen Menschen ein Danaergeschenk gewesen ist. Wir feiern die Entdeckung Amerikas als die Träger der siegreichen Kultur, als die Nachkommen der Eroberer der Neuen Welt, als die Erben, denen die Vortheile der Kämpfe zugefallen sind. Es ziemt sich bei dieser Gelegenheit, daran zu erinnern, was auf seiten der Besiegten verloren gegangen ist, und dem Andenken der untergegangenen Welt sind dlese Zeilen gewidmet. Wer die heutigen Zustände in Mittelamerika mit denen der vorkolumbischen Zeit, wie sie hier skizziert sind, vergleicht, der muß mit Beschämung eingestehen, daß die europäische Kultur die einheimischen Völker Centralamerikas nicht beglückt, nicht gefördert, sondern zurückgeworfen hat.

Beinahe 400 Jahre hat die christlich-europäische Civilisation Zeit gehabt, den Schaden zu ersetzen, den die Eroberer dem Lande zugefügt haben, und noch heute steht Mittelnmerika auf einer in vielen Beziehungen niedrigeren Stufe als vor der Entdeckung. Die nationale Kunst, die lebendige Entwicklung der Technik, des Verkehrs, des Handels, der Wissenschaften, das alles ist erstorben und bis heute nicht wieder erwacht; statt dessen herrscht die Jahrhunderte alte Mißwirthschaft, die Vernachlässigung und die Halbkultur, unter welcher der Eingeborene verkommt: oberflächlich mit europäischer Civilisation übertünchte Barbarei. Wird ein einheimisches Kulturleben, wie es das untergegangene war, auf dem Boden Centralamerikas jemals wieder erblühen?


Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Gretchens Liebhaber.

Erzählung von Luise Westkirch.

 (1. Fortsetzung.)

Anton Röver war an einem Augustnachmittag in dem kleinen Arbeitszimmer des Prinzipals im ersten Stockwerk mit dem Ordnen der Bücher beschäftigt, einer Arbeit, die immer in der stillsten Zeit des Jahres vorgenommen wurde. Das Schreibpult war bedeckt mit Briefen, Anzeigen, Kursberichten, ein Wasserglas stand dazwischen, aus dem der eifrig Beschäftigte dann und wann nippte. Aufmerksam fügte der junge Mann Zahlenreihe unter Zahlenreihe, und in seinem Herzen war eitel Frieden und Freude. Der letzte Strahl der untergehenden Sonne brach sich, von einer Fensterscheibe gegenüber zurückgespiegelt, in dem Wasserglas und warf bunte Regenbogenstreifen über den Schreibtisch. Da trat Julius Meermann in das Zimmer, den Stock mit Elfenbeingriff in der Hand wirbelnd, eine Rose im Knopfloch, elegant, lächelnd und sehr aufgeräumt. Röver hatte im Eifer den Stundenschlag überhört.

„Donnerwetter – büffelt der Mensch noch! Wie lange wollen Sie denn fortmachen? Kommen Sie mit ins Tivoli!“

„Einen Augenblick Geduld,“ sagte Röver, freundlich aufschauend. „Ich erledige nur, was mit der Post fort muß. Dann komme ich mit Ihnem.“

„Was schaffen Sie denn eigentlich hier oben?“

„Ich vertrete gegenwärtig Herrn Franz.“

„Wetter noch einmal – eine mächtige Korrespondenz! Alles in Hüten, Spitzen und Federn, Franz und Kompagnie?“

„Nicht ganz. Unser Chef macht Geldgeschäfte auf eigene Hand. Dies hier zum Beispiel geht Franz und Kompagnie nichts an.“

„So, so! Na, also, ich warte. Sputen Sie sich!“

Julius lehnte sich an die Kante des Schreibpultes und starrte ins Leere. Er sah nicht gut aus; dunkle Ränder zogen sich um die unheimlich glänzenden Augen. Seiner Mutter war dies veränderte Aussehen nicht entgangen, und sie spann Pläne, wie er Urlaub nehmen und zur Kur eine ihrer Freundinnen besuchen sollte, die in einem Badeort wohnte. Aber Julius hatte grimmig gelacht zu solchen Vorschlägen. Er war so gesund wie nie, unverschämt gesnnd; seine Körperkraft hatte nicht nachgegeben in den letzten entsetzlichen Wochen. Was hatte er unterschrieben in jener unseligen Nacht? Eine Schuldverschreibung, wie er meinte, aber Habermann behauptete, es sei ein Wechsel gewesen, und was schlimmer war, er bewies es ihm schwarz auf weiß. Dreitausend Mark schuldete er dem heillosen Menschen, dreitausend Mark mußte er auftreiben. Woher? woher? Seine Mutter besaß nur ihr karges Witwengehalt und er selbst besaß gar nichts. Und doch hielt er noch den Kopf oben. In seinem Innern glaubte er eine Stimme zu hören, die ihn versicherte, daß die Summe sich finden werde, sich finden müsse, wenn auch in letzter Minute. Und das war ihm das Schicksal ja auch schuldig! Es konnte einen so netten, gutherzigen, talentvollen jungen Mann unmöglich in der Patsche sitzen lassen. Arme Teufel ohne Bildung und Schliff, ohne Feuer und Gewandtheit mochten in solchem Schiffbruch zu Grunde gehen – aber ein Mensch von seinen Gaben – das durfte nicht sein! Vorläufig galt es nur, keine Seele ahnen zu lassen, wie es um ihn stand, seine Angehörigen nicht, vor allen Dingen nicht seinen Prinzipal. So hoch ihn dieser schätzte, einem Spieler würde er unbarmherzig sein Geschäft verschlossen haben. Allein mußte er den Sturm bestehen, um sich dann freilich nie, nie wieder in einen ähnlichen zu wagen. Und unwillkürlich schloß er sich fester an Röver an, den ernstesten, gesetztesten seiner Bekannten. Rövers Gegenwart schützte ihn vor der Gesellschaft Habermanns, vor neuen Thorheiten. Im übrigen trug er den Kopf hoch, zeigte sich lustig, übermüthig, unternehmender als je. Doch bei jedem Scherzwort, das seine Hörer zu lautem Lachen brachte, dachte er an die dreitausend Mark, die er beschaffen mußte. Sie standen für ihn auf dem Vorhang, der sich zum Beginn der Operette hob, auf den Füßchen der Tänzerinnen, auf dem Grunde der Biergläser, er las sie in den Kattunmustern im Laden seines Prinzipales; und eben jetzt grinsten sie von dem Schreibpult vor ihm in riesigen Bnchstaben. „Dreitausend Mark, zahlbar am zehnten August.“ Man schrieb heute den achten – Teufel, das Feuer brannte ihm auf den Nägeln!

In diesem Augenblick ertönte im Hintergrund des Zimmers das Telephonzeichen. Der Kassierer setzte die drahtgeflochtene Kasse, der er eben drei Tausendmarkscheine entnommen hatte, sorgfältig in den Geldschrank zurück, schlug die Scheine in eine lange Berechnnug und schob sie mit dieser in einen auf dem Pulte liegenden, bereits adressierten Briefumschlag. Dann stand er auf und ging an den Apparat.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_752.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2023)