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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Auch Wildenbruchs Stück ist bei allen Vorzügen nervenerregender Scenen und geschickter Steigerung nicht viel glücklicher gewesen. Man fand, daß die schwankende Charakterzeichnung wenig geeignet sei, für den Helden zu erwärmen, aber man zollte der in jeder Beziehung vortrefflichen Aufführung alle Anerkennung.

Nach dieser Eröffnungsfeier folgte in den nächsten Tagen das Eintreffen der zahlreichen hohen Gäste und Fürstlichkeiten. Weimar als klassischer Wallfahrtsort ist an den dauernden Fremdenstrom gewöhnt, aber einen so glänzenden Kranz von gekrönten Häuptern hat es wohl noch nie beherbergt. So ziemlich alle deutschen und Deutschland befreundeten Staaten waren vertreten, und die weitverzweigten Linien des Hauses Wettin waren selten so vollzählig versammelt wie diesmal. Die anmuthige Ilmstadt hatte mit Fahnen, Masten, Laubguirlanden und Blumengewinden ihr prächtigstes Gewand angelegt und entfaltete unter Mitwirkung der nahen Städte Erfurt, Apolda, Jena etc. ein wahrhaft großstädtisches Leben.

Das eigentliche Fest begann am Mittwoch den 5. Oktober mit dem Empfang der 30 bis 40 Abordnungen, für welche drei volle Tage angesetzt waren. Es würde des zehnfachen Raumes und eines besonderen Herolds bedürfen, um allen diesen interessanten Gruppen, welche Spenden und Adressen aller Art überbrachten, gerecht zu werden. Möge es vergönnt sein, hier nur der glänzendsten und der menschlich rührendsten zu gedenken!

In erster Linie stand die Abordnung des Landtags, welche den Betrag von 400 000 Mark – Ersparnisse an den im Laufe der Zeit von den Kammern bewilligten Summen – als Geschenk zu freier Verwendung überbrachte. Daran schloß sich am selben Tage zunächst die Ueberreichnng einer Landessammlung in der Höhe von 140 000 Mark zum Zwecke eines Stiftungsfonds für Gemeindepflege. Am zweiten Tage folgte eine weitere Spende von 27 300 Mark seitens der Goethe-Gesellschaft und der Freunde Weimars als Beitrag zum Bau eines neuen Goethe- und Schiller-Archivs. Eine vierte Gabe von 27 000 Gulden stammt von einem niederländischen Landeskomitee als Ergebniß der Beisteuer von 30 000 Holländern.

Beleuchtung des Theaterplatzes.

Weitaus die rührendste Deputation aber war die Gruppe von Ehejubilaren aus dem Großherzogthum, die unter Führung der Witwe des Staatsministers Stichling erschien – etwa zehn bis zwölf Personen, greise Ehepaare, Witwen und Witwer vom Lande, die ihre Glückwünsche überbrachten. Ich sah diese greisen Ebenbilder von Baucis und Philemon freudestrahlend an mir vorüberziehen; die Frauen waren mit goldenem Kranze, die Greise mit goldenem Sträußlein entlassen worden, und zwar zum Festmahl, das ihnen im Auftrag des Fürstenpaares im Gasthaus zum „Erbprinzen“ gegeben wurde.

Reichlich drei Tage hatten, wie bemerkt, die Abordnungen beansprucht. An den Abenden war selbst das Theater ausgefallen, nur am Vorabend des eigentlichen Hochzeitstages, am Freitag den 7. Oktober, hatte der Hof eine Serenade sämmtlicher neun Musikvereine, Liedertafeln etc. von Weimar unter der Leitung des Kapellmeisters Lassen angenommen. Der Haupttag selbst wurde mit einem Festkonzert nebst Festrede des Oberbürgermeisters auf dem Rathhaus eingeleitet. Die kirchliche Feier fand in der Hofkapelle statt. Unsere Leser werden keine Einzelbeschreibung des Zuges erwarten, der sich unter Vorantritt des Großen Dienstes durch die lange Flucht der Dichterzimmer bewegte, doch war das eindrucksvolle Gesammtbild dieses Gefolges von Fürsten, Herzögen, Königen bis zum Kaiser in dieser Umgebung von eigenartigem Zauber. Dem Jubelpaar schritten seine Kinder nebst sämmtlichen Enkeln voran. Die Großherzogin trug ein Kleid aus schwerem Goldbrokat, der Kaiser erschien in der Galauniform der Garde du Corps. Die Schloßkapelle selbst bot den Anblick eines Hains. Der Altar war mit hohen Blattpflanzen umgeben, selbst die Knieschemel für das Hochzeitspaar waren mit rothen und gelben Rosen umwunden. Der kirchlichen Feier folgte eine feierliche Defiliercour, die Hoftafel mit ihren offiziellen Trinksprüchen etc. In der Stadt aber, die sich mit einbrechender Dunkelheit zur Beleuchtung rüstete, wuchs allmählich die Menschenmenge fast zu bedrohlichen Mauern. Doch glücklicherweise entbehrte sie aller großstädtischen Radauelemente – es ging alles ohne Störung in musterhafter Ordnung, so daß die Festvorstellung im Hoftheater pünktlich um acht Uhr beginnen konnte.

Die Grundzüge wie die besondere Vertheilung der dramatischen Aufgaben für diesen Abend dürfen als das eigenste, sorgfältig vorbereitete Werk des hohen Jubelpaares betrachtet werden. Außer dem Prolog waren nach vorhandenen Bildern acht Scenen aus der Geschichte der Häuser Wettin und Oranien erwählt – lebende Bilder, deren dichterische Einleitung mehreren Verfassern zugetheilt worden war. Der Gesammteindruck dieser Bilder war ein überwältigender, zumal der Musik eine außerordentliche ausgiebige Mitwirkung eingeräumt war.

Die festliche Beleuchtung der Stadt erstreckte sich allerdings mehr auf die ausgedehnte via triumphalis des historischen Festzuges, der am letzten Tage die eigentliche Krone der Festwoche bildete. – Um die Großartigkeit, Vielseitigkeit und Vollendung desselben genügend zu würdigen, bedürfte es eines besonderen Berichtes. Nach monatelangen Vorbereitungen ward durch das Zusammenwirken der Kunstschule mit den Komitees aller Städte des Großherzogthums etwas erreicht, was an Farbenpracht, Gestaltenfülle und Einheitlichkeit den Vergleich mit dem Dresdener Wettinerfest nicht zu scheuen brauchte, ja in mancher Hinsicht jenes übertraf, namentlich in glücklicher Mischung des ernsten historischen Stils mit volksthümlichem Humor und ausgelassenen Genrescenen.

Der Zug, dessen Länge drei Kilometer betrug – waren es doch 60 Wagen, über 300 Pferde und 2000 bis 3000 Personen – wurde eingeleitet von 24 blasenden Postillonen und zerfiel in sechs große Hauptgruppen, die alle selbständig von besonderen Ausschüssen ausgestaltet waren: Die Wartburgzeit – die Reformation – der Dreißigjährige Krieg – die Blüthezeit der Niederlande – Carl Augusts Epoche – die Neuzeit.

Unser nebenstehendes Bild giebt eine Ansicht des Denkmals von Schiller und Goethe am Abend der Beleuchtung, das größere auf S. 749[WS 1] bringt eine Ansicht des Städtewagens, des letzten im Festzug. Voran schreitet eine Gruppe Jungfrauen mit Palmenzweigen, auf dem Wagen selbst unter einer stattlichen Feste befinden sich sechzehn Jungfrauen als Vertreterinnen von sechzehn Städten, die Bürgermeister derselben umgeben in Person den Wagen. Von ganz eigenartigem Reize waren ferner der Blumenwagen mit einer sich schaukelnden Elfe, der Glockenwagen Apoldas mit mächtigem dröhnenden Geläut, der Wartburgwagen – weiter der Wagen der klassischen Epoche, begleitet von einer Schwadron Pappenheimer und den sämmtlichen Hauptgestalten Goethes und Schillers. Der Letztere war übrigens persönlich mehrfach vertreten. Wäre ein Ausländer Zeuge gewesen, so würde er in seinem Bericht vielleicht sagen: „Die Deutschen haben zwei Nationalheilige, die sie bei jeder Gelegenheit wiederbringen, der eine ist Friedrich Schiller, der andere – Gambrinus,“ denn auch dieser, auf einem hohen Faß reitend, war mehrfach vertreten. Er würde aber auch weiter sagen können: „Im deutschen Volke ist seit zwanzig Jahren die Freude am eigenen Sein, an seiner eigenen Geschichte in sinnvoller, reicher Darstellung gewachsen. Die Nation geht einer neuen Entwicklung des Volkslebens entgegen!“ J.      


  1. Ist die Seitenangabe der Wochenausgabe. Im Halbheft hier: S. 763.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_764.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2024)