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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Natur. Therese gab am Nachmittag ihren letzten Mädchenkaffee. Julia hatte abgesagt, sie war mit Einpacken beschäftigt; in diesem Augenblick saß sie noch droben in ihrem kleinen Dachstübchen und malte. Die letzten Pinselstriche galt es an einem großen Majolikateller, den sie als Hochzeitsgeschenk darbringen wollte.

Um sie her verrieth schon nichts mehr, daß sie hier die wenigen lichten Stunden ihres Lebens verbracht hatte; jedes kleine Zeichen hatte sie zu verwischen gestrebt. Wenn sie jetzt noch Farben und Palette zu dem übrigen Malgeräthe in die Kiste packte, so blieb keine Spur von ihr – hätte sie nur ebenso die Spuren verwischen können, die sich ihr hier eingeprägt hatten an einem ebenso sonnigen Maitag – im vorigen Jahre.

Nun legte sie den Pinsel fort und betrachtete ihre Arbeit. Auf die gelblich feingetönte Platte des Tellers war ein knorriger Zweig gemalt mit absterbenden Blättern, er lag da, als könnte man ihn fortnehmen, als sei er Wirklichkeit; darunter war – skizzenhaft nur – Wasser angedeutet, weite unbegrenzte Fluth, hinter der die Sonne versinkt und über der ein Schwarm Wandervögel dahinzieht, dem Winter entfliehend. Das war alles, und doch lag in diesem Wenigen die Sehnsucht eines Herzens, das Sonne und Liebe sucht wie die gefiederte Schar das wärmere Land.

Es war ihr so unbewußt gelungen, sie hatte an weiter nichts gedacht als nur daran, ihm nichts zu malen, das ihren Kummer, ihre Liebe verrathen könnte, und nun sprach das kleine Werk doch deutlich genug.

Sie erhob sich und verließ, ihr Werk behutsam tragend, das Stübchen; sie wußte eine Stelle dafür in dem Eßzimmer des jungen Paares und wollte es dort als letzten stummen Gruß an der Wand befestigen. Die eleganten Räume würden jetzt ganz verlassen sein, sie glaubte dessen sicher sein zu dürfen, denn es war die Zeit des Mittagsschlafes. Den Schlüssel zur Flurthür hatte sie heimlich aus dem Schlüsselkorb der Tante Minna genommen, die augenblicklich noch die Hüterin dieser Herrlichkeit war, und so trat sie ein in die Gemächer, die in Kürze ein junges goldenes Menschenglück bergen sollten.

Sie hielt sich nicht dabei auf, die Pracht der Wohnung näher anzuschauen, sondern ging sofort in das Eßzimmer, um ihrer Gabe dort einen Platz anzuweisen. Es war dasselbe Gemach, in dem einst der kleine Frieder Adami gewohnt hatte; es war wie geschaffen zu einem traulichen Speiseraum mit seiner Balkendecke, seinen holzgetäfelten Wänden und den tiefen Fensternischen, jetzt freilich so wenig wiederzuerkennen wie der alte Hausflur drunten. Das Getäfel war reich verziert worden, den ungetäfelten Theil der Wände bedeckte eine kostbare Ledertapete, und der riesige baufällige Kachelofen hatte einem Kamin nach altem Muster weichen müssen, vor dessen spielender Flamme es im Winter ein anheimelndes Sitzen sein mochte. In der Mitte des Raumes, wo einst der Arbeitstisch des Knaben gestanden hatte, prangte der massige schwere Eichenholztisch, von hochlehnigen Stühlen mit Lederbezug umringt. Und auf dem Gesims der Täfelung, auf der Platte des Kamins vor dem Riesenspiegel, der bis an die Decke reichte, stand allerhand üppiges und kostbares Prunkgeräth umher. Jedenfalls sah dieser Raum so vornehm aus, daß ein einfaches Mittagsgericht sich schämen mochte, hier aufgetragen und verspeist zu werden.

Julia zog einen Nagel mit Bronzeköpfchen und einen Hammer aus der Tasche ihres Schürzchens und befestigte das Geschenk über dem Serviertisch, dessen Majolikaplatten gut zu dem Teller paßten; nun noch ein bronziertes Palmblatt dahinter und die einfache Ausschmückung war beendet. Sie trat bis zum nächsten Fenster zurück, um sich von hier aus die Wirkung anzusehen; indeß ihre Blicke hafteten wohl auf dem Teller, aber sie hatten plötzlich etwas Leeres, Starres bekommen. Wie ermüdet ließ sie sich auf einem der truhenartigen Sitze in der tiefen Fensternische nieder. Es war so unheimlich still hier oben, selbst der Pendel der kostbaren Standuhr schwang sich spukhaft leise. Und da war es dem Mädchen plötzlich, als gingen die Gespenster der Zukunft um.

Wird das Glück hier wohnen – wird es – wird es? tickte die Uhr. Und Mamsell Unnütz schüttelte den Kopf und preßte die Hände zusammen – sie konnte es nicht glauhen. Und dann erblickte sie dicht neben sich in einer der kleinen Fensterscheiben, die der Dekorateur hier großmüthig belassen hatte, weil sie zu dem Charakter des Zimmers paßten, ein Herz, kunstlos eingeritzt, und darunter die Buchstaben F. A. – T. K.

Das mußte der Frieder gethan haben! Und in der Seele des Mädchens stieg eine grenzenlose Bitterkeit empor, ein Zorn, eine Verachtung ohnegleichen – nur einmal der Treulosen einen Spiegel vorhalten dürfen, der ihr das heuchlerische Gesicht deutlich zeigt!

Die schlanken Finger des Mädchens wischten mechanisch über das kleine Herz, als könnten sie es auslöschen auf dem Glase – umsonst, es war zu tief eingegraben.

„Du lieber Himmel!“ sprach plotzlich neben ihr eine helle klare Stimme, „da muß man ja auf den Tod erschrecken – wie kommst denn Du hierher?“

Julia erhob sich rasch.

„Entschuldige,“ sagte sie mühsam, „ich hatte eine Kleinigkeit hier zu thun.“

„Was hast Du denn da an die Scheibe gemalt?“ fragte Therese und beugte ihr blondes Köpfchen herunter; aber jäh fuhr sie zurück, und ihre Augen sahen zornig aus dem erblaßten Gesicht zu Julia auf.

Seitdem Therese wußte, daß das Geheimniß ihrer Verlobung mit dem Frieder von Julia behütet worden war, seitdem sie wußte, daß das Mädchen das Haus verlassen würde, war sie sorgloser geworden. Julia hatte die „Thorheit“ wohl selbst als Bagatelle betrachtet; von Frieders Anwesenheit damals und den damit verbundenen Vorgängen konnte sie ja nichts ahnen – was wollten jetzt auf einmal diese drohenden vorwurfsvollen Augen?

„Es war Frieders Zimmer,“ sagte Julia heiser.

Therese antwortete nicht.

„Und das Herz dort wird er eingeschnitten haben, als Ihr Euch verlobtet; nächstdem wird’s ein Jahr.“

„Was willst Du heute damit?“ fragte Therese trotzig. „Du hättest wohl Lust, die Sache als Polterabendscherz zu verwenden? Angesehen habe ich es Dir längst, daß Du etwas gegen mich im Schilde führst.“

„Ich – ich bin an Deinem Polterabend nicht mehr hier, das weißt Du, und als Scherz habe ich die traurige Geschichte nie aufgefaßt,“ antwortete Mamsell Unnütz ruhig. „Ich wünsche Dir im Gegentheil soviel Glück, als es nur giebt auf der Welt, denn Dein Glück ist fortan das Glück eines seltenen Mannes und Deine Ruhe die seine. Und wenn ich es erleben dürfte, daß Ihr wirklich glücklich würdet miteinander, ich glaube, dann – dann könnte ich Dir manches vergeben.“

In das Gesicht des schönen Mädchens kehrte die Farbe zurück. Nein, diese Mamsell Unnütz würde die dumme Verlobungsgeschichte nie erzählen, aus Rücksicht für ihn. Dieses bettelstolze Ding war ja, wie die Räthin verrathen hatte, bis über die Ohren vernarrt in den Doktor! Und Therese lächelte wie der Maitag draußen.

„Laß sein Glück doch, bitte, meine Sorge sein, wenn ich auch das, was man Glück nennt, etwas anders auffasse als Du. Glaube mir nur, er wird nicht schlecht dabei wegkommen, wir werden uns vertragen, auch ohne Deinen Segen! Wann reist Du denn eigentlich?"

„Morgen!“ klang es kurz zurück.

„Nun, dann werden wir uns vielleicht nicht mehr sehen. Leb’ wohl! Ich wünsche Dir ebenso aufrichtig Glück für Dein künftiges Leben wie Du mir.“

„Leb’ wohl, Therese; ich hoffe, daß wir uns in späteren Lebensjahren als Freundinnen wiedersehen.“

„Nun,“ sagte diese etwas ironisch, „ich wüßte wahrlich nicht, was mich zu Deiner Feindin machen könnte.“

Julia schwieg. „Ich glaube, ich könnte furchtbar hassen,“ sagte sie dann leise, und ihre Augen irrten wieder zu der Fensterscheibe hinüber.

Da fühlte sie sich mit einem Ruck zur Seite geschoben, und im nächsten Augenblick klirrten drunten auf dem Pflaster des Hofes die Scherben der zertrümmerten Scheibe. „So?“ fragte Theresens bebende Stimme, „bist Du nun beruhigt?“

Julia zuckte die Schultern ein wenig. „Was liegt an dem unschuldigen Glase? Ja, wenn man das andere auch so leicht aus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 774. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_774.jpg&oldid=- (Version vom 16.8.2022)