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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

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Distinktion, keine einzige Dame der vornehmen Gesellschaft; man sieht keine Toiletten mehr, man ißt viel schlechter, kurz – es ist gräßlich!“

„Armer Schatz!“ tröstete er lächelnd, „in Wahrheit, ich fürchte, daß uns diese beiden Kranken einen rechten Strich durch unsere Pläne machen.“

„Und das sagst Du so gelassen?“ fragte sie und schlang ein paar schwere graue Taillenbänder zur Schleife an dem seidenen Reisemantel, den er ihr umlegen half.

„Ja, was soll ich thun? Ich kann mir doch nicht die Haare ausraufen deshalb?“

„Es ist etwas Wahres daran, daß Ihr Aerzte Sklaven der menschlichen Gesellschaft seid,“ sprach sie sehr langsam, „und daß man – –“

„Wenn man einen geheirathet hat, mit eine Art Sklavin geworden ist,“ ergänzte er. „Nun, jedenfalls bist Du eine ganz entzückende kleine Sklavin, und mir thut es unbeschreiblich leid, daß möglicherweise diese wirklich allerliebste Toilette zufrieden sein muß, sich auf einem Rheindampfer der bewundernden Welt zu zeigen.“ Er seufzte komisch tief. „Ja, ehrlich, Frauchen, es steht schlecht um die beiden Leute; Gott weiß, wann wir die Reise antreten können.“

Sie sagte kein Wort; sie band ihre Schleife auf und zu und summte dabei leise vor sich hin. Endlich schien der Knoten gelungen; sie schnippte mit den schlanken Fingern ein Fäserchen fort, löste langsam die Schleife wieder auf, legte den Mantel ab, vertauschte ihr neues Kleid mit einer zierlichen Hausrobe, alles leise singend und ihm den Kuß wehrend, den er auf den schönen weißen Arm drücken wollte. Und als sie fertig war, sagte sie:

„Nun wollen wir frühstücken!“

„Du findest doch immer das Richtige!“ rief er.

Als sie sich im kühlen Eßzimmer gegenüber saßen, bemerkte sie: „Dir geht ja hier nichts ab, wenn ich mit Papa allein reise ... koste übrigens einmal dieses Hammelkotelett und diese pommes frites, sie hat sie ganz allein gekocht, die Susanne.“

Er legte Messer und Gabel hin und sah ehrlich verdutzt sein reizendes Gegenüber an.

„Du kannst ja dann nachkommen, wenn Du später Zeit hast,“ vollendete sie und schob ein goldbraunes Kartoffelstückchen zwischen die Lippen.

„Ist das Dein Ernst?“

„Ja natürlich! Sei Du Sklave, soviel Du willst, ich danke dafür! Was gehen mich die fremden Leute an mit ihrem Typhus!“

„Es wird uns sehr einsam hier sein, dem Buben und mir,“ sagte er endlich.

„Aber, ums Himmelswillen, Fritz, glaubst Du, ich werde das Kind hier lassen? Nein, der Bube geht mit seiner Frau Doris ebenfalls nach Ostende.“

„Nein, Herz, der Bube bleibt mit seiner Doris im Lande und nährt sich redlich weiter mit der Milch der schwarzbraunen Kuh, die extra für ihn auf dem ,Gelben Hofe’ gefüttert wird.“

Jetzt legte Frau Therese Messer und Gabel hin und starrte ihren Gatten ob des ungewohnten Widerspruchs erstaunt und neugierig an. „In Ostende giebt’s die herrlichste Milch“ sagte sie dann trocken; „außerdem, wir haben den neuen Kochapparat bei uns, mittels dessen die gesundheitsschädliche Milch gesundheitszuträglich zu machen ist. Alle Mütter nehmen ihre Kleinen mit – und ich will nicht ohne das Kind reisen!“

„Dazu wirst Du Dich dennoch entschließen müssen, wenn Du nicht hier bleiben willst, denn ich gestatte auf keinen Fall, daß Du das Kind den Gefahren aussetzt, die eine ganz veränderte Lebensweise für so ein junges Geschöpf mit sich bringt.“

„Aber, bester Schatz, Du thust, als gehörte Dir der Bube allein“ erwiderte sie in größter Ruhe. „Besinne Dich nur, zunächst haben die Mütter ein Anrecht auf ihre Kleinen! Was soll denn aus ihm werden ohne mich?“

Er mußte wider Willen lachen. „Du thust, als ob Du den Bengel für gewöhnlich nicht eine Minute lang aus den Armen ließest, und dabei besorgt ihn doch Doris so ziemlich ganz allein. Außerdem bin ich zur Aufsicht hier und ich brauche wahrhaftig nicht zu versichern, daß ich während Deiner Abwesenheit meine Hände doppelt über ihn breiten werde.“

„Und wenn Du nun mitgereist wärst?“

„Nun, dann sind ja hier noch drei erwachsene Frauenzimmer im Hause,“ erwiderte er, immer noch zwischen Aerger und Lachen. „Da ist erstlich die Großmutter,“ fuhr er fort, „die sich so wie so schon die Schuhsohlen abläuft, um den kleinen Burschen so oft wie möglich zu sehen –“

„Sehen mag ihn Deine Mutter, so oft sie will, aber ich wünsche nicht, daß sie sich um seine Erziehung bekümmert oder Doris in seine Pflege hineinspricht, wie sie das so gern thut und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 777. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_777.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)