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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Die Natur hat hier einen äußerst sinnreichen Apparat geschaffen, indem diesen Schließzellen die Eigenschaft zukommt, sich unter dem Einfluß des Lichtes zu öffnen und zu schließen. Sobald nun die Kohlensäure durch die Spaltöffnungen in das Blattgewebe eingetreten ist, so trifft sie auf ein lockeres Gewebe, aus Zellen bestehend, welche reichlich wasserreiches Protoplasma und grüne Chlorophyllkörner enthalten. Es ist dies das sogenannte „Schwammgewebe“, welches das nun in Wasser gelöste Kohlelisäuregas aufnimmt und einem dichteren, oberhalb desselben liegenden, noch dichter erfüllten Zellgewebe, dem „Pallisadengewebe“, zuführt, in welchem hauptsächlich die Verarbeitung zu festen Nährstoffen, nämlich zu Stärke und Zucker, vor sich geht. Wir könnten deshalb das lockere Schwammgewebe des Blattes annähernd als Lunge und das dichtere Pallisadengewebe als Leber der Pflanze bezeichnen.

Eine weitere wichtige Aufgabe in der Ernährung der Pflanze ist dem Blatte zugetheilt durch die hier hauptsächlich stattfindende Verdunstung des Wasserdampfes (Transpiration), welche sowohl an der ganzen Außenfläche (Epidermis) desselben als auch durch die Spaltöffnungen sich vollzieht. Diese Verdunstung des Wassers aus dem Blattfleisch dient wesentlich mit zur Regelung des aufsteigenden Saftstromes, der Bewegung der von den Wurzeln angesaugten Flüssigkeit nach den Orten des Verbrauches hin. Dieser aufsteigende Saftstrom, welcher die mit dem Wasser aus dem Erdboden aufgenommenen und gelösten anorganischen Salze mit sich führt, hat seinen Weg vorwiegend im Holze des Stammes. Letzteres bildet einen Bestandtheil der Gefäßbündel, eines zusammenhängenden Systems in der ganzen Pflanze, welches, von allen feinsten Wurzelverzweigungen beginnend, durch Hauptwurzel, Stamm und Aeste in alle Blätter (hier die Rippen und Nerven darstellend) führt.

In der Pflanze sind mehrere Kräfte thätig, welche diese Bewegung des Wassers nach oben veranlassen.

Querschnitt eines Buchenblattes.
380 mal vergrößert.
a. Obere Epidermis. b. Pallisssadengewebe. c. Schwammgewebe. d. Untere Epidermis. e. Spaltöffnungen. f. Krystalldrusen. g. Gefäßbündel (Nerven).

Erstens der sogenannte „Wurzeldruck“; die Wurzel mit ihren zahlreichen kleinen Wurzelfasern saugt nämlich mit solcher Kraft das Wasser auf, daß sie selbst es schon auf eine beträchtliche Strecke in der Pflanze emporzutreiben vermag. Wir können dies beobachten bei manchen Bäumen, besonders bei der Birke, der Hainbuche, oder bei dem Weinstock vor der Belaubung im Frühling, wo beim Einschneiden in den Stamm der Saft lange Zeit aus der Wunde fließt.

Zweitens wirken umgekehrt die Blätter durch den Wasserverlust bei der Verdunstung, welcher Ersatz desselben von unten her nöthig macht, saugend auf die unter ihnen befindliche Wassersäule im Stamme. Durch diese Wasserbewegung und Verdunstung findet auch innerhalb der Pflanze eine gewisse Abkühlung statt, welche eine allzu große Erhitzung verhütet.

Wie nun schon oben erwähnt, findet die Verarbeitung der rohen Nährstoffe zu den organischen unmittelbaren Bestandtheilen der Pflanze, die sogenannte „Assimilation“, in den grünen Pflanzentheilen und vorzugsweise in den Blättern statt. Von den Blättern aus wandern die assimilierten Nährstoffe in die Zweige und weiter nach den Früchten und im Stamme abwärts nach den Wurzeln, überhaupt nach allen Organen, welche Nahrung bedürfen. Dies ist der sogenannte „absteigende Saftstrom“.

Hierfür genügt jedoch das Holz allein nicht, der absteigende Strom nimmt vielmehr seinen Weg zum größten Theile durch Bast und Rinde; namentlich finden sich in den weichen dünnwandigen Theilen des Bastes eigenthümliche Gefäße, die Siebröhren, welche durch eine besondere Wucherung ihrer durchlöcherten Querwände, den sogenannten Callus, wahrscheinlich ventilartige Wirkung zur Abwärtsleitung besitzen.

In Pflanzentheilen, welche im Wachsthum begriffen sind, werden nun diese frischgebildeten Nährstoffe zur Schaffung neuer Organe verwendet, in solchen dagegen, welche in einen Ruhezustand übergehen, werden sie in verschiedener chemischer Form in den Zellen als sogenannte Reserve-Nährstoffe aufgespeichert, hauptsächlich in den Samen, bald als Oel (z. B. beim Leinsamen), bald als Stärke (z. B. im Getreidekorn), in den Knollen, Wurzeln (Kartoffeln), ferner im Holze der Bäume und Sträucher, wo während des Winters das Mark und die Markstrahlen etc. reichlich mit Stärkemehl erfüllt sind. Mit dem Wiedererwachen der Vegetation vor dem Knospentrieb oder bei der Keimung des Samens verschwinden diese Reservenährstoffe wieder aus ihren Speicherräumen, indem sie zu dieser Zeit, in welcher die noch blattlose Pflanze ihre Nahrungsstoffe nicht selbst zubereiten kann, zur ersten Ernährung der neu sich bildenden Organe, der Knospen, verwendet werden.

Wir haben nun gesehen, welch’ wichtige Rolle die Blätter, beziehungsweise die mit Spaltöffnungen versehenen grünen Theile eines Baumes oder Strauches für die Ernährung des einzelnen Individuums spielen, und es ist daher leicht einzusehen, daß ein Baum, welcher aller oder des weitaus größten Theiles seiner Blätter in der für das Wachsthum wichtigsten Zeit beraubt wird, nicht mehr imstande ist, die für seine Ernährung nothwendige Menge organischer Substanz zu bilden, und auch durch die empfindliche Störung des regelmäßigen Verlaufs des Saftstromes verhindert wird, vorhandene Nährstoffe rasch an diejenigen Stellen der Pflanze hinzuführen, welche jener zur Neubildung einzelner Organe bedürfen. Zugleich wird infolge der mangelnden Abkühlung durch den auf- und absteigenden Saftstrom die Erhitzung durch die unmittelbare und mittelbare Bestrahlung der Sonne eine so große, daß eine Vertrocknung der sekundären Rindenschicht, welche für das Wachsthum von besonderer Bedeutung ist, wesentlich befördert wird.

Wie im komplizierten Baue eines mechanischen Triebwerkes das Fehlen eines Radzahnes Stillstand hervorbringt, so geräth hier die wunderbare Maschinerie des Pflanzenlebens ins Stocken, der Baum ist krank. Nur das Auftreten neuer Blätter könnte ihn retten und den Lebensstrom nach und nach wieder in seinen alten Gang bringen. Aber dazu fehlt eben die genügende Menge der zur Neubildung der Knospen und deren weiterer Ernährung bis zur selbständigen Assimilation nothwendigen Reservenährstoffe, denn der seiner Blätter oder Nadeln beraubte Baum war ja nicht imstande, solche zu bilden und für Nothfälle aufzuspeichern.

Während wir nun bei allen Laubbäumen beobachten, daß die Blätter im Herbste gelb werden und abfallen, der Baum selbst während der nun folgenden kalten Jahreszeit einen Ruhezustand durchmacht und gewissermaßen einen Winterschlaf hält, wissen wir von fast allen Nadelhölzern das Gegentheil. Diese behalten ihre harten, spitzen, nadelähnlichen Blätter auch während der strengsten Winterszeit, sie sind immergrüne Gewächse. Sie erfreuen das Auge des Wanderers durch ihr dunkles Grün in einer Zeit, in welcher die übrige Natur öde und still ein betrübendes Bild von der Vergänglichkeit alles Schönen auf Erden bietet.

Diese Eigenschaft des „ewigen Grünens^, welche die Nadelhölzer anszeichnet, hat nun in neuerer Zeit vielfach Veranlassung gegeben, die schlanken Kinder des Waldes als Zierde der städtischen Anlagen und Gärten zu verwenden, wo sie im Sommer zwischen dem hellgrünen Laube der Birken und Linden, dem dunkelrothen der Blutbuche entzückende Schattierungen hervorbringen. Und selbst wenn Schnee und Eis alles Leben in der Natur scheinbar ertötet haben, verweilt das Auge des Spaziergängers gern auf den oft groteske Figuren bildenden, schwer mit Schnee beladenen Zweigen des Fichten- und Föhrenbaumes.

Aber dem aufmerksamen Beobachter wird eines nicht entgehen: je dichter die Häuser emporsteigen um die grünen Oasen der Großstädte, je weiter hinaus die Stadt ihre Arme ausstreckt, und je mehr Reihen von Miethkasernen entstehen, umso spärlicher werden die Nadelbäume in den straßenumsäumten Anlagen, in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 798. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_798.jpg&oldid=- (Version vom 16.5.2023)