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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Anders der mit harten Nadeln an Stelle von Blättern bewehrte Zapfenträger. Seine durch eine dicke Epidermis geschützten Nadeln vermögen den Winterfrost unseres Klimas wohl zu ertragen, und nur sein Stoffwechsel wird infolge der geringeren Sonnenwärme ein langsamerer, die Farbe seines Grüns infolgedessen dunkler. Betrachten wir z. B. die Nadel einer Fichte (Pinus excelsa Lk.) mit einem guten Vergrößerungsglase, so bemerken wir ringsum an derselben in unregelmäßigen Zwischenräumen zahlreiche kleine, weiße Punkte. Es sind dies die Spaltöffnungen, in ihrer ovalen Gestalt deutlich zu erkennen, sobald man mit einem scharfen Rasiermesser ein kleines Flächenstückchen von der Nadel abhebt und unter das Mikroskop bringt. Ist nun im Winter der Zweig dicht mit Schnee bedeckt, so nimmt letzterer vermöge seiner oben erläuterten Ansaugungsfähigkeit die schweflige Säure der Verbrennungsgase aus der Luft auf, bildet mit derselben, wie gezeigt, Schwefelsäure und übermittelt sie mittels der Spaltöffnungen unmittelbar den Innenräumen des Nadelblattfleisches. Hier durchdringt sie die zarten Zellwände und tötet den Inhalt der einzelnen Zellen – das Protoplasma. Mit der Lebensfähigkeit des Zellinhalts hört auch seine Assimilationsfähigkeit auf, der Baum kränkelt und geht nach und nach zu Grunde, er stirbt an Vergiftung.

Querschnitt durch eine Fichtennadel.
180 mal vergrößert.
a. Verdickte Epidermis, b. Zellen des Blattfleisches, c. Harzgang, d. Gefäßbündel (Mittelnerv).

Wenn man sich eine Lösung von Schwefelsäure mit der oben angegebenen Stärke, z. B. 90 Milligramm auf 1 Liter Wasser, bereitet und in dieselbe einige Nadeln einer Fichte oder Föhre einlegt, so kann man das Zerstörungswerk des ätzenden Giftes genau verfolgen. Schon nach 24 Stunden zeigt ein dünner Querschnitt der betreffenden Nadel unter dem Mikroskop eine Verkohlung seines Zellinhalts, welcher jetzt anstatt des schön leuchtenden Grüns eine schmutzig braune Farbe angenommen hat, er ist getötet.

Wir besitzen daher in unseren Nadelhölzern gewissermaßen einen Gradmesser für die größere oder geringere Verunreinigung der Luft in Städten oder Stadttheilen, einen Gradmesser, der freilich sein gefährliches Amt mit einem langsamen Sterben bezahlen muß.



Blätter und Blüthen.


Die Einweihung der Schloßkirche zu Wittenberg. (Zu dem Bilde S. 789) Eine wechselvolle Geschichte, reich an Mißgeschick, war es, welche die dreieinhalb Jahrhunderte seit Luthers Tod der Stadt seines Wirkens, der Wiege der Reformation gebracht haben. Fast jeder der großen Kriegsstürme, die über Deutschland hereinbrachen, hat seine Wolken auch über Wittenberg entladen – im Schmalkaldischen, im Dreißigjährigen und Siebenjährigen Kriege, in den napoleonischen Kämpfen haben die Kugeln der Kanonen die stattliche Festung an der Elbe bedroht. Und nicht zum wenigsten hat unter diesen Unbilden die Schloßkirche mitgelitten, an deren Thür der kühne Augustinermönch am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen angeschlagen, bei einer Beschießung der Stadt am 13. Oktober 1760 wurde sie in Brand geschossen, so daß fast nur die nackten Mauern stehen blieben; wieder ausgebaut, erfuhr sie neues Unheil in den Jahren 1813 und 1814, in denen sie eine Zeitlang als Magazin benutzt wurde: in der Nacht vom 27. zum 28. September 1813 bei einem fürchterlichen Bombardement, fing der schöne Kirchthurm Feuer, und bloß das untere Gemäuer desselben konnte gerettet werden. Seitdem waren die großen Erinnerungsfeste an die Reformation zugleich der Anlaß zur Erneuerung des ehrwürdigen Baues. Nachdem das Jahr 1815 die bis dahin sächsische Stadt an die preußische Krone gebracht hatte, wurde die Schloßkirche durch die Fürsorge König Friedrich Wilhelms III. einer gründlichen Reparatur unterworfen, so daß sie bei der dreihundertsten Wiederkehr des Thesenanschlags wenigstens keinen unwürdigen Mittelpunkt der Feier bildete. Allein es that je länger je mehr eine Erneuerung im großen Stile noth, und der Entschluß dazu entstand in jenen festlichen Tagen, welche das alte Wittenberg 1883 aus Anlaß von Luthers vierhundertjährigem Geburtstag erlebte. Besonders der damalige Kronprinz des Deutschen Reiches, der spätere Kaiser Friedrich, hat diesem Werke der Pietät bis an seinen allzufrühen Tod eine lebhafte Theilnahme zugewandt, und Kaiser Wilhelm II. hat die Vollendung des Angefangenen als ein willkommenes Vermächtniß übernommen. So konnte denn am 31. Oktober dieses Jahres der in neuer Schönheit, aber in der alten gothischen Gestalt wiederhergestellte Bau in feierlicher Weise eingeweiht werden. Der Kaiser selbst, an der Spitze der protestantischen Fürsten Deutschlands, war herbeigeeilt, das Fest mit zu begehen, und es war ein glänzendes Bild, als sich der farbenreiche Zug, den Kaiser in der Mitte, über den ehrwürdigen Marktplatz hinweg zur Kirche in Bewegung setzte. In den Nachmittagsstunden schloß sich dann dem ernsteren Theile der Feier ein Festzug an, der in charakteristischen Gestalten und künstlerisch angeordneten Abtheilungen den Beschauer im Fluge durch die letzten sieben Jahrhunderte führte. Unser Bild giebt aus dem Zuge die Figuren des sächsischen Kurfürsten Friedrich des Weisen und des Schwedenkönigs Gustav Adolf wieder, sowie die Gruppe, welche im Kostüm des 12. Jahrhunderts den Reigen eröffnete. –

Ein goldiger Herbsttag leuchtete dem Feste, und es waren gewaltige Eindrücke, welche dort in Wittenberg am 31. Oktober wachgerufen wurden inmitten der stummen Zeugen jener Geistesthat, aus der ein neues Völkerleben entsprossen ist.

Wie kann man die Sonne belauschen? Die menschliche Stimme reicht bekanntlich nicht weit; wir wissen, wie schwer es z. B. ist, über einen nur einigermaßen breiten Strom hinüber den Fährmann durch Zuruf zu erreichen. Der Befehlshaber eines Seeschiffes ist schon bei etwas bewegter Luft darauf angewiesen, seine Stimme durch das Sprachrohr zu verstärken, um sich dem Schiffsvolk vernehmlich zu machen.

Die Erfindung des Telefons hat dies von Grund auf geändert. Sie ermöglichte es, die Unterhaltung auf eine Entfernung von mehreren hundert Kilometern zu führen, ohne eine größere Anstrengung als das gewöhnliche Sprechen erfordert. So beträgt z. B. die durch das Telefon beherrschte Strecke zwischen München und Berlin 720 Kilometer, zwischen Paris und Marseille 1000 Kilometer. Sogar durch das Meer hindurch, wie auf der Strecke Paris-London, sind direkte Telephonlinien angelegt, und es haben sich auch hier der Uebertragung der menschlichen Stimme keine nennenswerthen Schwierigkeiten entgegengestellt.

Freilich ist die Art der Uebertragung beim Telephon eine ganz andere als bei der gewöhnlichen Uebertragung des Schalles. Sollte der Schall den Weg von Berlin nach München in der gewöhnlichen Fortpflanzungsweise der Töne zurücklegen, so würde – die Möglichkeit vorausgesetzt – nach dem Aufgeben des Gespräches ein Zeitraum von etwa 36 Minuten verstreichen, bis der erste Laut in München angelangt wäre. Der Berliner könnte dann mit Muße wieder an seine Arbeit gehen; denn wenn ihm München sofort antwortete, so könnte er doch erst nach Ablauf von einer Stunde und zwölf Minuten die Antwort erwarten.

Bei unserem jetzigen Fernsprechen aber setzen sich die zu übertragenden Tonwellen im Telephon in eine andere Energieform um, sie verwandeln sich in elektrische Schwingungen, und diese legen die weite Reise in der ganz unmerklich kurzen Zeit eines geringen Bruchtheiles einer Sekunde zurück.

Mit dieser Errungenschaft sind aber die Elektriker noch nicht zufrieden. Sie sagen sich, daß es doch recht fatal sei, von einem solch materiellen Drahte abhängig zu sein; es gilt, diesen überflüssig zu machen, frei soll die Bahn sein, nicht an Irdisches gebunden, so wie auf freier Bahn der Lichtstrahl durch das Weltall dringt. Und in der That hat man den Lichtstrahl zum Vermittler gewählt.

Schon seit längerer Zelt ist bekannt, daß das Licht eigenthümliche elektrische Erscheinungen hervorrufen kann. Als mit Hilfe des Mikrophones Preece es dahin gebracht hatte, das Laufen einer Fliege so laut vernehmbar zu machen, daß es dem Trampeln eines Pferdes auf einer Brücke glich, wurde er durch Smith weit übertroffen, der behauptete: „Ich kann etwas noch viel Wunderbareres erzählen, nämlich, daß ich mit Hilfe des Telephons einen Lichtstrahl auf eine Metallplatte fallen hörte.“

Diese äußerst merkwürdige Erscheinung wurde mit Hilfe einer Selenplatte wahrgenommen, und man benutzte dazu die eigenthümliche Fähigkeit des Selens, Lichtschwingungen in elektrische Schwingungen umwandeln zu können. Da die elektrischen Schwingungen sich aber unserem Gehör bemerkbar machen, so war die Grundlage der neuen Erfindung gegeben.

Vor etwa zwölf Jahren brachte Bell sein Photophon – eine Art Telephon, jedoch mit Selenplatte – von Amerika zu uns und machte schon damals darauf aufmerksam, daß jede Helligkeitsänderung sein Photophon zum Tönen bringe. Da er nun, sobald die Sonne auf das Photophon schien, in diesem Töne wahrnahm, die er sich durch irdischen Einfluß nicht erklären konnte, so nahm er an, daß die Veränderungen, die im Lichte der Sonne stattfinden, diese Töne hervorbringen müßten. Fortgesetzte Beobachtungen bestätigten die Vermuthung und machten den Zusammenhang der Töne mit den Sonnenflecken immer wahrscheinlicher.

Jetzt will Edison der Sache auf den Grund gehen und versuchen, die Sonnengeräusche deutlicher vernehmbar zu machen, die sich auf der Sonne abwickelnden großartigen Vorgänge zu verfolgen und somit die Sonne aus zwanzig Millionen Meilen Entfernung zu belauschen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 800. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_800.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2024)