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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

wieder neu zu fragen hatte, der würde sich gewundert haben, daß die drei Leutchen überhaupt nur fertig wurden.

Aber schließlich stand er da, ein Prachtbaum unter allen Weihnachtsbäumen – darauf hielt der Rechtsanwalt von jeher – flimmernd im Strahl seiner hundert Lichter vom breitverzweigten unteren Geäste bis zu dem Weihnachtsengel auf der Spitze, der scheinbar aus der hohen Decke niederschwebte. Fast blendend schimmerte die lange Tafel in dem schneeigen Damastgedeck, dem Stolz der Hausfrau. Und darauf blinkte, blitzte, strahlte im Glanz der Neuheit, was von den Träumen dreier Kinderseelen Wirklichkeit geworden war. Hier Puppen, Puppenwagen, Puppenstube – Wunderwerke für die Phantasie der Kleinen, eine farbenbunte kleine Schönheitswelt für sich; dort das Ideal des Knaben: Manneswaffen! Wie er funkelte, der „Damascener“-Säbel! Wie der Beschlag der Armbrust blitzte! Wie prächtig die schwarz-weiß-rothe Fahne sich entfaltete inmitten der in einem Palmenhaine aufgestellten weißen Zeltstadt! Wie stramm die schwarze Kompagnie dort exerzierte!

Und jetzt – jetzt war er da, der athemraubende, der große, heißersehnte Augenblick! Die Flügelthüre, der Eingang in den Himmel, that sich auf, und drinnen war der Himmel – der halberstickte Laut der Ueberraschung, dem ein plötzliches Verstummen folgte, kündete das Uebermaß der Seligkeit. Die Kinder, vorwärts stürzend, standen wieder, vom der großen Lichtwelle geblendet, die so unvermuthet auf sie eindrang, wortlos nach den Herrlichkeiten starrend, bis der Bann des ersten überwältigenden Eindrucks sich löste, um jenem grenzenlosen Jubel Platz zu machen, der für Eltern die herrlichste Musik auf dieser Erde ist. Und nun ein Trippeln, Hüpfen, Tanzen kleiner Füße, ein Aufflattern der kleinen Arme am Hals des Vaters und der Mutter, ein Deuten, Zeigen, zitterndes Betasten und schließlich ein leidenschaftliches Herunterholen der Geschenke – ein Rufen, Fragen, Durcheinanderreden – – kein Wunder, daß die Eltern nur noch Augen und Ohren für die glückliche kleine Schar hatten.

Ihre beiden Gäste hätten sich jetzt ihretwegen ebensogut auf irgend einem ausgebrannten Mondkrater begegnen können, anstatt daß sie sich plötzlich hier im Glanz und Jubel einer deutschen Weihnacht gegenüberstanden.

Ein Wiedersehen nach fünf Jahren!

Da stand sie, hoch und schlank, eine gewinnende liebliche Erscheinung in dem lichtgrauen Kleid, das sich in weichen Falten um sie schmiegte. In der offenen Thüre vor dem dunklen Hintergrund des Nebenzimmers stehend, vom vollen Licht des Christbaums angestrahlt, war Serena in ihrer plötzlichen Bewegungslosigkeit wie ein eigenartig schönes Bild zu sehen.

Aber nein! sie war es selbst, die Nievergessene, nur schöner noch in ihrer tiefen Blässe, aus der die dunklen Augen erschrocken, fragend, zweifelnd nach ihm hinstarrten, bis sie erst in jäher seliger Gewißheit aufleuchteten und sich dann verwirrt zu Boden senkten.

Freudestrahlend, in übermächtiger Bewegung eilte er mit ausgestreckten Händen auf sie zu, aber – mit stummer Abwehr, die kein Folgen zuließ, trat sie in die Tiefe des dunklen Raumes hinter sich zurück.

Serenas erster Gedanke war Flucht, in ihrem Herzen hämmerte es wild, jeder Nerv zitterte noch von dem tödlich süßen Schrecken dieser Ueberraschung.

Er – hier! Wie kam er her? Weshalb? Bloß um des Freundes willen? Gewiß! gewiß! was sollte er noch von ihr wollen? Er, der sich wohl schon längst getröstet hatte, wenn – ja wenn er wirklich einmal, wie Lucie meinte – sie glaubte es ja nicht – des Trostes bedürftig gewesen, war!

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„Serena!“       „Tante!“       „Tante S’ena!“

Man rief nach ihr, man suchte. Sie wurde aus dem Dunkel in das Licht gezogen und von allen Seiten umdrängt. Frau Lucie schloß sie in eine feurige vielsagende Umarmung, der Rechtsanwalt zerdrückte ihr erregt die Hand, von den Kindern wollte ihr jedes zuerst das Schönste zeigen. Sie mußte sich vom kleinen Hans dem großen Hans zuführen lassen, der natürlich nur als Extra-Christgeschenk für seinen Pathen aus Afrika gekommen war, mußte Seite an Seite mit ihm stehend, die famose schwarze Truppe mustern, den Lebkuchen, den Marzipan versuchen, sich freuen, lächeln, lachen – –

Und Serena freute sich, sie lächelte, sie lachte; sie bewunderte das kleine dicke Wickelkind von Elli, das so schön schreien, und den kleinen dicken Täufling von Nelli, der sogar die Augen schließen konnte, und sie beging nur den für die Kleinen freilich unbegreiflichen Verstoß, daß sie das Schreikind mit dem Schlafkindchen verwechselte und das anziehende Paar in die falschen Wiegen legte.

Dann folgte sie der Hausfrau an den Flügel. Sie sollte spielen, singen. „Stille Nacht, heilige Nacht“ – nein, mit dem Singen ging es trotz des besten Willens nicht, und der Rechtsanwalt mußte durch seine Stimme das Lied zu retten suchen, bis Hans ihn vom Flügel fortholte. Wie seltsam ernst dieser dabei aussah!

An der kleinen Abendtafel ging es, nachdem die Kinder zu Bett gebracht waren, laut, fast überlaut her. Der Hausherr, gar nicht wiederzuerkennen, schlug fast beständig an sein Glas, und die Reden sprudelten ihm nur so vom Munde, so daß seine Frau vor Staunen und vor Stolz auf ihren Fritz dazwischen hinein kaum einmal zu Worte kam – was viel sagen wollte!

Dann hatte man zusammen angestoßen und wieder angestoßen, auf Freundschaft und Vaterland, auf deutsche Treue, auf jeden einzelnen unter den Tischgenossen, und schließlich hatte sich Serena fortgestohlen in das Schlafzimmer der kleinen Mädchen, neben deren Betten die Wiegen mit den beiden Puppen standen. Hier war Friede – stille Nacht, heilige Nacht.

Wie ein Traum lag das Erlebte hinter ihr, ein Traum, aus dessen Schleiern nur immer wieder sein Gesicht auftauchte, seine Gestalt hervortrat, seine Stimme vorklang … so wenig er auch gesprochen hatte – mit ihr nur einmal, als er ihr über den Tisch hinüber zutrank: „Auf die Erfüllung meines Weihnachtswunsches!“

Welches Wunsches, das hatte er nicht gesagt, aber so gut und bittend dabei ausgesehen, daß sie sich fast – vergessen hätte. Kühl bleiben, nur nicht selber sich verrathen – es war auf die Länge schwer geworden, um so schwerer, je mehr sich aus dem Neuen, Veränderten seines Wesens die alte kindliche Treuherzigkeit herausgeschält. Wie er die Kleinen auf die Knie klettern, in seinem Barte hatte zausen lassen; wie er den kleinen Hans, der sonst auf keine Weise von ihm fort zu nehmen war, selbst zu Bett gebracht hatte!

„Das hätten seine Schwarzen sehen sollen!“ hatte der Rechtsanwalt lachend gerufen, und ihr selber war ein Lächeln über die ernsten Züge gehuscht.

*  *  *

Frau Lucie hatte die Freundin mit sanfter Gewalt aus dem Schlafzimmer der Kinder fortgeholt, und nun, nachdem die laute Lust verrauscht, der Glanz des Weihnachtsbaumes bis auf das letzte Lichtstümpfchen erloschen war, nun saß man sich im „Boudoir“ der Hausfrau an dem gemüthlichsten aller Eck- und Plaudertische gegenüber. Man sprach von dem und jenem, bis plötzlich Frau Lucie sich erhob und hinausging, um „von nebenan etwas zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 812. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_812.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2023)