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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

übers Meer hinüber sei. Gieb Dich also zufrieden, Tantchen – Dein Frieder ist ein Spaßvogel!“

„Julia sagt das auch; aber sonst ist er doch so ernst,“ seufzte Fräulein Riekchen, „und mir will er nicht Rede stehen.“

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Der Karneval zog ins Land. Bunt und lustig wie immer am Rheine, füllte er die Luft mit Schellenklang, Pritschenschlag und Musik und blendete die Augen durch leuchtende Farben.

Therese erschien plötzlich wie ausgewechselt. War sie vordem allzu still und gereizt gewesen, so hatte sich ihrer jetzt ein wahrer Uebermuth bemächtigt. „Das echte rheinische Mädchenblut,“ meinte lachend der Doktor, als sie in einem kurzen Kostüm aus hellblauem mit weißen Rosen durchwirkten Atlas, mit Puderfrisur und hohen Stöckelschuhen im Salon umherlief und sich von ihm haschen lassen wollte.

„Drunten wartet der Wagen,“ mahnte er dann, ihr nacheilend, „und was noch schlimmer ist, die Mutter. Komm, laß Dir den Mantel umhängen!“ Aber sie floh von einer Ecke in die andere, und zuletzt sprang sie auf das Sofa, alles mit einem sonderbaren Lachen, das er noch nie von ihr gehört hatte. Und als er, auf den Scherz eingehend, den Tisch dicht heran schob, um sie zu fangen, da sprang sie gar auf den Tisch, und er nahm sie glückselig auf den Arm, wie er es mit seinem Jungen zu thun pflegte.

Nun musterte sie ihn plötzlich von oben herab mit kalten Augen und verändertem Gesicht. „Dieses altdeutsche Barett kleidet Dich entsetzlich!“ sagte sie.

„Du siehst um so reizender aus, Therese.“

„Bitte, laß mich los!“ forderte sie.

„Ja, unter einer Bedingung.“

„O, ich weiß schon!“ Und sie hatte sich blitzschnell hinuntergebeugt und ihn in die Wange gebissen, daß die Spur ihrer kleinen Zähne dunkelroth darin zurückblieb. Ebenso rasch stand sie auf der Erde und sah ihn mit einem Blicke an, in dem sich Ekel mit Zorn mischten.

Er bemerkte ihn nicht. „Nun, das ging schon über den Spaß,“ sagte er ruhig und wischte mit dem Taschentuch die schmerzende Stelle ab.

„Du weißt doch, ich kann diese Albernheiten nicht leiden,“ erwiderte sie, und auf einmal begann sie zu schluchzen. „Ach, es ist ja alles so gräßlich dumm auf dieser Welt, alles, alles! Und heute ist – Karneval!“

Er schüttelte den Kopf.

„Weißt Du, Deine Nerven sind sehr angegriffen,“ sagte er, „und wärst Du meine Patientin, so müßtest Du hier bleiben.“

Ein Weilchen darauf lag das Haus still da, das junge Paar und die Frau Räthin waren zum Ball gefahren; das Kind schlief und ebenso drunten das alte Fräulein. Nur aus Julias Fenster schimmerte noch Licht; sie saß und sorgte sich um fremdes Glück und schalt sich selbst ob ihrer spukhaften Phantasie. Ihr reiner Mädchensinn sträubte sich heftig gegen das, was immer aufs neue ihr Mißtrauen wachrief. Hätte sie nur jenen Blick nicht gesehen, hätte sie nur nicht gewußt, daß Therese schon einmal die Treue gebrochen! – Aber das war keine Treue, die am Altar beschworen war, sagte sich das Mädchen, keine, die durch das Heiligste auf der Welt befestigt wurde. Und sie dachte an den blonden Buben droben in seinem Bettchen und wurde ruhiger. Lange blieb auch der Frieder nicht mehr hier, und dann würde Theresens oberflächliches Herz sich wieder auf sich selbst besinnen. Wenn er nur erst abgereist wäre! Schlecht ist Therese nicht, sicher nicht; sie läßt sich nur so hinreißen durch alles, was sie bewundern zu müssen glaubt – nein, schlecht ist sie nicht! – –

Am andern Tage gegen Abend kam der Doktor aus dem Hause seines Schwiegervaters, den er täglich zu besuchen pflegte. Auf der Freitreppe der Villa zögerte er, besann sich und beschloß durch den Garten zu gehen, anstatt am Rheine entlang. Die Ballnacht lag ihm noch in den Gliedern. Man war erst in der Morgenfrühe heimgekehrt, und als er kaum schlief hatte man ihn schon wieder herausgeklingelt, um einem Opfer des Karnevals die Wunde zu verbinden, die ihm das Bierseidel eines Nebenbuhlers geschlagen. Die unerquickliche Scene, die sich in einer Gesellenherberge abspielte, hatte ihm die ohnehin nicht rosige Stimmung vollends verdorben.

Therese war unbestritten Ballkönigin gewesen und hatte die Huldigungen der jungen Männerwelt hingenommen wie ein Mädchen, das noch über Herz und Hand verfügen darf. Und er hatte viertelstundenlang in irgend einer Ecke gestanden und sich geärgert, daß einer vernünftigen Frau solche Thorheiten Vergnügen machen konnten, hatte sich vorgenommen, ihr in aller Ruhe zu erklären, daß jetzt mit dem Besuch der Gesellschaften aufgehört werden müsse, denn sie sei ihm zu nervös und das Tanzen für sie ein Unding. Sie war in der That nach jedem Tanze bleicher geworden und ihre Augen immer fieberhafter.

Heute früh war er noch nicht dazu gekommen, mit ihr zu reden, denn sie hatte geschlafen, und bei Tisch hatte er zu seiner Ueberraschung die Mutter oben gefunden. Therese hatte sie eingeladen, ragout fin mitzuessen, das Lieblingsgericht der alten Dame. Und ehe noch der Nachtisch gekommen war, hatte sich die junge Frau abermals schlafen gelegt. Wenn er jetzt nach Hause kam, konnte er endlich wohl mit ihr reden.

Blaugrüne Dämmerung umgab ihn, zu dunkel, um die Gegenstände noch deutlich zu erkennen, doch hell genug, um gerade noch sehen zu können. Hie und da schimmerte ein Streifchen liegen gebliebenen Schnees am Rande der Rasenflächen, und seitwärts leuchteten die weiß angestrichenen Baumstämme des Obstgartens wie Gespenster durch das Dunkel. Er ging, seine Cigarre rauchend, nicht den nächsten Weg, sondern um das große Rasenrund herum und kam an dem Gartenhäuschen vorüber, das unmittelbar an der Mauer gegen den Rhein lag. Der alte Herr hatte, als er den Garten kaufte, das alterthümliche Ding wieder ausgebessert und möbliert, da es vom Fenster aus eine köstliche freie Aussicht über den Strom gewährte. Er weilte hier gern im Vorfrühling, wenn es noch nicht möglich war, im Freien zu sitzen oder im Spätherbst, wenn kalte Winde den Rhein heraufzogen. Zur Winterszeit war es verschlossen.

Fritz schritt gedankenvoll vorüber und stolperte fast über die breiten Sandsteinstufen, die sich kaum von dem Gartenweg abhoben. Dann verließ er den Garten und stand ein Weilchen vor der Thür des eigenen Grundstücks am nachtdunklen Strome. Da hörte er seitwärts ein scharfes kratzendes Geräusch und gewahrte einen Schatten, der unterhalb des Gartenhäuschens an der Mauer hinunterglitt; er mußte fast aus dem Fenster des Häuschens gekommen sein. Mit langen Schritten begann der Doktor dem Flüchtling zu folgen, allein Dunst und Nebel hatten dessen Gestalt im nächsten Augenblick verschlungen. So hielt er es für gerathener, umzukehren und nachzusehen, ob etwa in das Gartenhaus eingebrochen worden sei, um nöthigenfalls den Hausherrn zu benachrichtigen. Vielleicht hatte da auch ein Flößer ein komfortables Nachtquartier gesucht.

Der Garten lag jetzt finster und spukhaft einsam da, nur meinte er aus der Verbindungsthür mit dem eignen Garten etwas Lichtes huschen zu sehen – oder doch nicht? Er mußte sich wohl geirrt haben, denn als er eben wieder hinblickte, glaubte er bestimmt, den leuchtenden Birkenstamm neben der Pforte damit verwechselt zu haben, und schritt nun rasch nach dem Gartenhaus hinüber. Es überraschte ihn, die Thür, die in dieser Jahreszeit immer verschlossen zu sein pflegte, nur angelehnt zu finden.

Er zündete im Vorflur sein Taschenlaternchen an und betrat die winzige Stube.

Niemand hler.

Er öffnete den Wandschrank – der Gartenrock des alten Herrn hing da, der Strohhut darüber. Auf der anderen Seite standen Tassen, Fidibusbecher und ein altes Messingkohlenbecken in ungestörter Beschaulichkeit beieinander. Er leuchtete an die Fenster; sie waren geschlossen, nur ein Laden war nicht zugeriegelt und klaffte etwas. Er befestigte ihn vollends und sah dann weiter umher; der Fußteppich vor dem Sofa lag schief gerückt, sonst – –

Plötzlich richtete er sich empor und starrte wie gebannt auf einen Gegenstand zu seinen Füßen, dann bückte er sich und erfaßte ein leichtes weißes, mit Goldstickerei verziertes seidenes Gewebe.

„Julias Tuch,“ sagte er und wußte selbst nicht, warum ihn so jählings ein tiefer innerer Zorn packte. „Julias Tuch!“ wiederholte er und lachte kurz auf.

Er löschte das Licht in der Laterne und setzte sich auf das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 832. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_832.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2022)