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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

die Handlung, an sich einfach und ruhig verlaufend, ist reich an interessanten Episoden. – „Hermann Ifinger“, der neueste Roman des geistreichen Adolf Wilbrandt, wurde infolge äußerer Ereignisse schon viel genannt. Das Aufsehen, welches die gegen eine Stelle des Werkes in Oesterreich erhobene verfehlte Anklage hervorrief, darf seinen wahren Ruhm nicht in Schatten stellen. Es ist eine echte Dichterarbeit, voll tiefer Gedanken und von erquickender Schönheit der Sprache.

Eine fesselnde, in ihrer Besonderheit geistvolle Novelle – „Löwenblut“ – hat Wilhelm Lauser aus dem Nachlaß des Dichters Ferdinand Kürnberger herausgegeben (Leipzig, H. Minden). – Fritz Anders behandelt in seinen vortrefflichen „Skizzen aus unserem heutigen Volksleben“ Fragen und Mißstände unseres öffentlichen Lebens in einer Form, die im leichten Gewande des Humors den tiefsten Ernst verbirgt und hoffentlich bei recht vielen ein nützliches Nachdenken weckt; Charlotte Niese entfaltet in ihren reizenden Bildern „Aus dänischer Zeit“ eine unverkennbare Begabung für Kleinmalerei. Beide Bändchen sind bei Grunow in Leipzig erschienen. – Ernstes und Heiteres aus dem Wiener Volksleben erzählt der auch unsern Lesern wohlbekannte Plauderer V. Chiavacci in seinem Buche „Klein-Bürger von Groß-Wien“ (Stuttgart, Bonz). Wolfgang Kirchbach erweist sich in seiner Novellensammlung, „Miniaturen“ (Stuttgart, Cotta) als ein Talent, das geistvollen Humor mit einem naiven Ton zu verbinden weiß, darin an Gottfried Keller erinnernd.

Wir fügen noch einige Werke an, die an sich nicht neu sind, aber durch ein neues, oft festlich prächtiges Gewand sich ein Anrecht erwerben, auf einem Weihnachtsbüchertisch vertreten zu sein. Von Ottilie Wildermuths Gesammelten Werken und von Berthold Auerbachs Schriften haben wir schon an anderer Stelle gesprochen. Ferner ist Hackländers zweibändiger Roman „Eugen Stillfried“ in einer von A. Langhammer hübsch illustrierten Ausgabe (bei Krabbe in Stuttgart) erschienen, Ernst v. Wolzogens Romancyklus „Blau Blut“, in welchem „Die Kinder der Excellenz“, „Die tolle Komteß“ und „Der Thronfolger“ begriffen sind, liegt in der geschmackvoll ausgestatteten Salonausgabe von „Engelhorns Allgemeiner Romanbibliothek“ vor, und der reizenden Erzählung von Jeanne Schultz „Was der heilige Josef vermag“, ebenfalls ursprünglich einem Bestandtheil der genannten Romanbibliothek, ist sogar die Ehre einer illustrierten Prachtausgabe zu theil geworden, zu welcher der gerade durch seine Romanillustrationen berühmte französische Zeichner E. Bayard die Bilder geliefert hat.

An der Spitze der poetischen Litteratur haben wir die zweite umgearbeitete Auflage von Hermann Linggs machtvollem Epos „Die Völkerwanderung“ (Stuttgart, Cotta) zu nennen, weiter den Cotta’schen Musenalmanach für das Jahr 1893; wir werden über den wiederum überaus reichhaltigen und fein ausgestatteten Band noch Genaueres mittheilen. – Ernst Scherenbergs patriotische Dichtungen haben bei unserem deutschen Volke immer guten Anklang gefunden. In der neuesten (3.) Auflage seiner „Gedichte“ ist der Inhalt seiner früheren Sammlung mit neuen Gesängen vereinigt, die im Laufe des letzten Jahrzehnts entstanden sind. Auch durch Anton OhornsOrdensmeister“ (Berlin, Grote), einen Heldensang aus den Kämpfen des Deutschordens gegen die Polen, weht ein warmer patriotischer Hauch.

Esaias TegnérsFrithjofssage“ hat von jeher die deutschen Uebersetzer gelockt – ist es doch eine dankbare Aufgabe, den Wohllaut und die poetische Kraft der Verse des schwedischen Dichters in unserer Muttersprache wiederzugeben. Den älteren Uebersetzungen hat sich eine neue von Fr. Ohnesorge angereiht (Leipzig, Th. Knaur), die sich durch Treue gegen das Original auszeichnet und sich gut liest. – Feines Formgefühl und stilistische Gewandtheit zeigt Ludwig Fulda in seiner Uebersetzung von Molières Meisterwerken. Der Band umfaßt „Tartüff“, „Misanthrop“, „Gelehrte Frauen“ und „Der Geizige“ (Stuttgart, Cotta).

Seit Hebel und Fritz Reuter in so klassischer Weise der Dialektdichtung eine Bahn gebrochen haben, sind die mundartlichen Erzählungen und Gedichte häufig geworden. Wer gerne deutsche Stammeseigenart in diesen Spiegelbildern schaut, wird an den schwäbischen Gedichten von Eduard Hiller, „Naive Welt“ (Stuttgart, Lutz), seine helle Freude haben, und nicht weniger an den frischen „Gedichten in westricher (westpfälzischer) Mundart“ von Ludwig Schandein (Stuttgart, Cotta).


Gechichte. 0 Kulturgeschichte. 0 Biographie.

Als ein vortreffliches Hausbuch ist längst bekannt K. F. Beckers Weltgeschichte. Professor Wilhelm Müller hat sie noch vor seinem kürzlich erfolgten Tode zum drittenmal neu bearbeitet und bis auf die Gegenwart fortgeführt. Auch der Abbildungsstoff ist in der neuesten Auflage wesentlich bereichert.

Für unsere strebsamen Gymnasiasten bildet ein schönes Weihnachtsgeschenk das Buch von Hermann BenderRom und römisches Leben im Alterthum“ (Tübingen, Laupp). Es erscheint eben in einer neuen, den Fortschritten unserer Kenntnisse von der alten Weltbeherrscherin Rechnung tragenden Ausgabe. – Anziehend geschrieben ist das Werk von Alwin Schultz „Deutsches Leben im 14. und 15. Jahrhundert“ (F. Tempsky in Prag). Aus einer Fülle von Einzelzügen ist hier ein charakteristisches Gesammtbild deutscher Sitte und Kultur am Ausgang des Mittelalters zusammengestellt, ein Bild, das um so lebendiger wirkt, als eine reiche Illustration die Schilderung unterstützt und das Fremdartige unserem Empfinden nahebringt. Das Werk ist in einer besonderen Familienausgabe erschienen, die unbedenklich jedem in die Hand gegeben werden kann. – Rudolf von GottschallsNationallitteratur des neunzehnten Jahrhunderts“ (Breslau, Trewendt) ist jetzt in sechster Auflage erschienen. Schon darin liegt ein Gradmesser für die Brauchbarkeit dieses Werkes, das in vier Bänden eine Fülle von Stoff, eine annähernd vollständige Uebersicht über die Entwicklung der deutschen Litteratur in diesem Jahrhundert bis herab zur jüngsten Zeit bietet. Wer daher Ueberblick und Urtheil über unser litterarisches Leben vor allem in der Gegenwart sucht, wird an dem Buche Gottschalls nicht vorübergehen können. – „Das junge Deutschland“ von Joh. Prölß, welches das Werden von Gutzkow und Laube schildert, ist schon früher hier angezeigt worden. – Eine stets neu untersuchte Frage der Litteraturgeschichte, die nach der innersten Bedeutung von Shakespeares Hamlet-Figur, hat durch Richard Löning in seinem Buche „Die Hamlet-Tragödie Shakespeares“ (Stuttgart, Cotta) eine durch Einfachheit überraschende und überzeugende Beantwortung erfahren.

Hermann Lüders ist als Maler oft und viel mit dabei gewesen, wenn wichtige Begebnisse im Vaterland sich abspielten. Seine von ihm mit Zeichen- und Schreibfeder beschriebenen Malerfahrten „Unter drei Kaisern“ (Berlin, Grote) sind eine Art Blüthenlese aus der Geschichte der letzten vier Jahrzehnte.

Auf dem Felde der Biographie ragt hervor die prächtige Schrift des Altmeisters W. H. Riehl, „Kulturgeschichtliche Charakterköpfe“, wahre Kabinettsstücke scharfer, plastischer Darstellung. Sie liegen bereits in zweiter Auflage vor.


Prachtwerke.

Zu den hervorragendsten Erscheinungen auf dem Gebiet der Prachtwerke zählen dieses Jahr unstreitig die neue Prachtausgabe von Uhlands Gedichten und die Allerssche Bismarck-Mappe, aus denen wir bereits in Halbheft 23 und 25 verschiedene Proben gegeben haben. Am nächsten steht ihnen wohl die Mappe von C. Röchling, „Unser Heer“ (Breslau, C. T. Wiskott). Röchling ist einer unserer besten Militärmaler, der unsere Jungens im bunten Rock mit einer geradezu verblüffenden Realistik darzustellen weiß und insbesondere für die gemüthlich-humorvolle Seite des Soldatenlebens im Frieden einen trefflichen Blick hat. Diese beiden Eigenschaften des Künstlers kommen denn auch in den Blättern von „Unser Heer“ zu glücklichem Ausdruck. Die – verkleinerte – Probe auf S. 837 stellt eine mit Gewehrreinigen beschäftigte Gruppe dar.

Wie Röchling seine Musketiere, so kennt René Reinicke seine – Backfische. Das hat er mit seinem „Album für Backfische“ (Leipzig, Ad. Titze), aus dem wir Seite 829 eine Probe geben, aufs neue bewiesen. Wie reizend sind diese halb erschlossenen Mädchenblüthen, die es doch verstehen, sich schon ganz damenhaft zu geben! Und wie unterhaltsam die Typen der jungen Herren, vom steifen Anfänger bis zum weltgewandten Salonhelden, wie belustigend der Klavierspieler, welcher im Schweiße seines Angesichts auf die Tasten hämmert! Die hübsche Blondine im Mittelgrund scheint schon recht tief versunken zu sein in die neue Lust des Tanzes mit einem Herrn, denn vergeblich sucht der Tanzmeister ihre Aufmerksamkeit für seine Ausstellungen zu gewinnen. Ja ja, in der „ersten Tanzstunde mit Herren“ wird eben das Tanzenlernen Nebensache!

In ernsthaftere Regionen führt uns ein Werk, das recht eigentlich „einem Bedürfniß unserer Zeit entgegenkommt“. Seit langer Zeit war bei uns Deutschen die Neigung, Denkmale zu errichten, nicht so lebhaft entwickelt, wie dies gegenwärtig der Fall ist. Unserer Generation mußte darum auch ein Werk erwünscht sein, welches wie „Die deutschen Bildsäulendenkmale des XIX. Jahrhunderts“ von Hermann Maertens (Stuttgart, Jul. Hoffmann) die mustergiltigen Leistungen des laufenden Jahrhunderts zusammenstellt und so nicht bloß dem Laien eine Uebersicht, sondern auch dem Künstler Vorbild und Anregung giebt. Auf die Bedürfnisse des Fachmanns ist im Text noch besonders Rücksicht genommen.

Vom Fels zum Meer führen uns zwei landschaftliche Prachtwerke. „Alpenglühen“ nennt sich das eine (Stuttgart, Union). Es bietet Naturansichten und Wanderbilder aus den weiten Gebiete der Alpen von den Gestaden der „Riviera di Ponente“ bis hinüber zu den Geheimnissen des Karst. Der Text stammt aus der Feder eines vortrefflichen Kenners der Gebirgswelt, des Frhrn. A. von Schweiger-Lerchenfeld. Das Werk erscheint eben jetzt in zweiwöchentlichen Lieferungen. – Das andere ist ein bescheidenes, aber recht hübsch ausgestattetes Bändchen, eine Beschreibung der Insel und des Badelebens von Helgoland (Leipzig, Titze). Adolf Lipsius ist der Verfasser des lebendig und einnehmend geschriebenen Textes, die Abbildungen sind nach Photographien gemacht.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 836. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_836.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2024)