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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Wann's aber in See fallt,“ sagte der, „ich bin nit schuld!“ und legte das Schreiben auf das Ruder. Girgel jedoch war ungeschickt und warf das Schreiben in den See statt in sein Schiff. Indessen das Papier schwamm, und so hatte er’s sofort wieder herausgefischt. Und als er nun das Gerichtssiegel erbrach, stand in dem Schreiben, daß ein Vetter, der nach Rußland ausgewandert war, dem Girgel Söllhuber achtzehntausend Gulden vermacht habe und daß das Geld auch schon beim Landgericht hinterlegt sei.

Achtzehntausend Gulden waren damals ein großes Vermögen. Der Girgel dachte nichts anderes, als daß er sich nunmehr ein Anwesen kaufen, das Liesei heirathen und ein solider Mensch werden wollte. Wie er aber das Geld in Händen hatte, führte ihn sein Unstern nach München, und man hörte ein halbes Jahr laug in seinem Heimathsdorf nichts mehr von ihm. Das Liesei weinte bitterlich ihre letzten Thränen um den Menschen. Dann nahm sie sich tapfer zusammen und wenn jemand sie nach dem Girgel fragte, gab sie kurz zur Antwort: „Hab’ mir’s lang schon denkt! Er wird halt ganz verkommen sein!“

Ein halbes Jahr darauf erschien der Girgel wieder am See, und zwar sehr stolz. Er kam in einem mit zwei Schimmeln bespannten Wagen, an seiner Seite aber saß eine Dame im Federhut, die er als seine Frau bezeichnete. Er selber war städtisch gekleidet. Es stand ihm herzlich schlecht, allein er fühlte es nicht.

Eine Stunde lang saßen die beiden unter der Linde des Brauhauses und schauten in den See hinaus, das Frauenzimmer faul und gelangweilt, der Girgel trüb und nachdenklich. Ein paar von den Dorfbewohnern kamen zu ihrem Nachmittagstrunk; er begrüßte sie mit prahlerischer Herablassung, dann ließ er wieder einspannen.

Das Liesei ließ sich nicht sehen.

Als das Paar wieder abgefahren war, sagte der alte Braumeister: „Für zwei Jahrl’n langt’s vielleicht; hernach ist er fertig!“

Und er hatte recht. Nach zwei Jahren waren die achtzehntausend Gulden des Girgel dahin und seine „Frau“ desgleichen. Nun erschien er wieder im Seedorfe, schob sein altes Schiff wieder ins Wasser und fing an, wo er vor zwei Jahren aufgehört hatte. Als er zum ersten Male ins Brauhaus kam, brachte ihm der Braumeister ein kleines Paket.

„Vom Liesei!“ sagte er trocken.

Girgel schlug das Papier auseinander und fand ein rothseidenes Tüchelchen, das noch nie getragen war. Schweigend steckte er’s in die Tasche seines zerschlissenen Rockes. Und als er aufstand, sah man, daß er ein altes Männchen geworden war in den zwei Jahren, obwohl er vielleicht erst vierzig zählte.

Der Girgel wollte nun wieder „Marteln“ malen. Aber die Kundschaft hatte sich verlaufen, kaum daß er hie und da ein Grabkreuz anstreichen durfte. Er mußte ein kümmerlicher Tagelöhner werden, dessen man sich auch nur bediente, wenn gerade kein besserer zu haben war. Als der Frühling kam und mit ihm der Fremdenzug nach dem schönen See, fing der Girgel an, sein Brot als Ueberführer zu verdienen. Da fiel doch manchmal eine Kleinigkeit ab.

Indessen nahm auch das ein schlimmes Ende.

Das alte Schiff des Girgel war schon unter seinem Vorgänger recht schlecht gewesen, und der Girgel hatte es nicht jünger gemacht. Es war eine wacklige Ruine geworden, trotz der immer noch sichtbaren schönen Verzierung am Schnabel. Risse klafften darin, breiter als ein Messerrücken; und es half nur wenig, daß Girgel Moos hineinstopfte und Eisenklammern hineinschlug. Als nun eines Tages der Herr Landrichter mit seinem Schreiber herüberkam zur Schiffsvisitation, ward das Fahrzeug des Girgel als das schlechteste am ganzen See befunden und der Landrichter sagte in ernstem Tone: „Girgel, Du thust mir leid! Wenn Du selber in Deinem Schiffe ersaufen willst, kann ich nichts dagegen haben. Aber Fremde darfst Du mir in diesem Schiffe nicht mehr fahren, sonst laß’ ich einen Zimmermann kommen und es zerschlagen.“

Schweigend hörte der Girgel das an; als aber der Landrichter fortgefahren war, nahm er aus seinem dürftigen Werkzeug eine Axt und aus der Truhe, in der er seine wenigen Habseligkeiten barg, ein rothseidenes Tuch. Die Axt legte er in sein Schiff; das Tüchlein band er an einen Stecken und steckte denselben als Fähnchen auf den Bug des Fahrzeugs. So sahen ihn ein paar Fischer in den See hinausfahren.

Es war das letzte Mal, daß man ihn überhaupt sah. Viele Mouate später fand man an einem ganz entlegenen Waldufer, wo der Seegrund jach in seine größte Tiefe abstürzt, etliche Reste eines zerschlagenen Schiffes. Sie waren offenbar mit Absicht zerstreut und das Meiste in den See geworfen worden, wo das schwere alte Eichenholz sogleich versunken war. Nur an einem Reste des Schiffsschnabels erkannte man eine verblaßte Malerei; es war das Einzige, was vom Fahrzeug des Tuifelmalers Zeugniß gab.

Neben diesem Wrackstück steckte ein Stab im Uferkies, an dem ein von Wind und Wetter übel zugerichteter Seidenfetzen hing.

Das war der Abschiedsgruß, welchen Girgel der Welt zurückließ. Für seine Heimath blieb er fortan ein Verschollener, ein abgerissener Faden. Ob er, nachdem er sein Schiff zerschlagen, in den See gesprungen oder in die weite Welt gegangen sei – darüber hat man nie wieder Zuverlässiges vernommen. Rach Jahren brachte ein Viehhändler die Kunde, drüben im Oesterreichischen, am Attersee, hause ein berühmter Marterlkünstler, der kennte das Fegfeuer malen wie sonst niemand in der Welt, so daß man meine, es brenne einen schon.

Es ist nicht unmöglich, daß dieser Künstler unser Tuifelmaler war.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 867. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_867.jpg&oldid=- (Version vom 22.5.2023)