Seite:Die Gartenlaube (1892) 869.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

einen sehr fruchtbaren Boden für Erfindungen und Verbesserungen bildete“. Und noch etwas war es, was Werner Siemens stützend und hebend zur Seite stand: seine Brüder! Wie glücklich und anregend das Verhältniß insbesondere zwischen Werner, Wilhelm und Karl war, das bildet einen der schönsten Züge in den „Lebenserinnerungen“, die Werner während der letzten Jahre in der Stille seines Sommersitzes zu Harzburg aufgezeichnet hat.

Werner Siemens stammt aus einer sehr kinderreichen Familie. Schon sein Vater war der jüngste von fünfzehn Sprößlingen, und aus seiner Ehe mit Eleonore Deichmann gingen zehn Kinder hervor, von denen Werner der älteste, am 13. Dezember 1816 geborene Sohn war. Den Elterb ging es nicht gut mit ihrer Landwirthschaft, die sie erst zu Lenthe bei Hannover, dann zu Menzendorf in dem zu Mecklenburg-Strelitz gehörigen Fürstenthum Ratzeburg betrieben. Strapazen, Kummer und Sorgen rieben erst der heißgeliebten Mutter Kräfte auf. Sie starb im Juli 1839, und als ihr der Vater ein halbes Jahr darauf nachfolgte, da sah sich Werner vor die Aufgabe gestellt, im wesentlichen die Sorge für seine jüngeren Brüder zu übernehmen. Und er that dies mit der ganzen zielbewußten Thatkraft seines Wesens; diese Sorge ist ihm zum mächtigen Sporn geworden und sie hat ihm wiederum das Glüeksgefühl einer treu erfüllten Pfticht bereitet. Diese Sorge war auch der stärkste Grund, der ihn im Jahre 1849 zum Abschied aus dem von ihm hochgeschätzten Militärdienst veranlaßte. Er mußte Geld verdienen. In vierzehn Jahren hatte er es „eben über die Hälfte des Sekondelieutenants“ gebracht; er wurde mit dem Charakter eines Premierlieutenants verabschiedet. Im Laufe der Zeit sind fast alle Brüder in den großartigen Unternehmungen Werners zur Thätigkeit gekommen oder durch ihn zu selbständigen Stellungen gelangt.

Siemens war ein deutscher Patriot von edelster Gesinnung. Wie ihn einst die Schmach des zerrissenen Vaterlands, wie ihn insbesondere die Schmach Preußens im Jahre 1850 tief verdroß, so hat ihm auch der neue Glanz des geeinigten Vaterlandes in der Seele wohlgethan. Er giebt seinen Empfindungen einmal in seinen „Lebenserinnerungen“ einen sehr kräftigen Ausdruck. Siemens befand sich in Spanien, als 1864 die preußische Kriegserklärung an Dänemark erfolgte. Darob große Wuth in den englischen und französischen Zeitungen über die „eroberungssüchtigen“, „kriegslustigen“, ja „blutdurstigen“ Deutschen. „Ich muß gestehen,“ sagt er, „daß mir dies keinen Verdruß, sondern große Freude bereitete. Meine Selbstachtung als Deutscher stieg bei jedem dieser Ausdrücke bedeutend.“ Der Ehre der deutschen Industrie im In- und Ausland galt der wesentlichste Theil seiner politischen Thätigkeit – er war der Leiter der Bewegung für ein deutsches Patentgesetz und jahrelang Mitglied des Patentamtes. Der Ehre der deutschen Industrie suchte er vor allem selbst durch tadellose Fabrikate zu dienen. Und auch wo ihm selbst Vortheille zuflossen, kam seine Arbeit dem Gemeinwohl zu gut.

Eine Weinachtsbescherung für Cholera-Waisen in Hamburg.
Originalzeichnung von Karl Müller.

Er war zweimal verheirathet, das erste Mal mit Mathilde, der Tochter des Königsberger Geschichtsprofessors Drumann, die ihm nach dreizehnjsähriger glücklicher Gemeinschaft im Jahre 1865 entrissen wurde. Zwei Söhne und zwei Töchter entstammen dieser Ehe. Im Jahre 1869 führte er Antonie Siemens, eine entfernte Verwandte, als zweite Gattin heim, und unter den aufsteigenden Wetterwolken des großen Kriegs wurde ihm eine Tochter geboren, der später noch ein Sohn folgte.

Mit Frau und jüngster Tochter hatte Werner im Winter 1891 bis 1892 den Süden aufgesucht, um sich von einem Influenzaanfall zu erholen. Anfang Mai kehrte er in die Heimath zurück, und nachdem er noch zweimal heftige Fieberanfälle überwunden hatte, hielt er selbst die „Krankheitsperiode seines Alters“ für beendet und hoffte, daß ihm noch ein ruhiger und heiterer Lebensabend beschieden sein werde. Es ist anders gekommen. Noch beendete er seine schönen „Lebenserinnerungen“, die, mit dem von uns verkleinert wiedergegebenen Bildniß geschmückt, in seinen letzten Lebenstagen bei J. Springer in Berlin erschienen sind, da aber trat ihn ein neuer Anfall der Influenza und eine rasch verlaufende Lungenentzündung an, der er am 6. Dezember, nicht ganz 76 Jahre alt, erlegen ist. Und wehmüthig prophetisch klingen heute die Worte, mit denen er seine Erinnerungen schloß: „Mein Leben war schön, weil es wesentlich erfolgreiche Mühe und nützliche Arbeit war, und wenn ich schließlich der Trauer darüber Ausdruck gebe, daß es seinem Ende entgegengeht, so bewegt mich dazu der Schmerz, daß ich von meinen Lieben scheiden muß und daß es mir nicht vergönnt ist, an der vollen Entwicklung des naturwissenschaftlichen Zeitalters erfolgreich weiter zu arbeiten.“

Einsamer Posten. (Zu dem Bilde S. 857.) Robert Warthmüller, der Zeichner unseres stimmungsvollen Bildes, hat es sich zur besonderen Aufgabe gemacht, das militärische Leben zur Zeit Friedrichs des Großen in treuer fesselnder Darstellung zu schildern, und er ist der Mann dazu, diese Aufgabe zu lösen. Wie echt muthet uns dieser „einsame Posten“ an, wie trefflich stimmt der landschaftliche Hintergrund zu der Zeit, in die uns die kraftvolle kecke Gestalt des Soldaten versetzt! Sicherlich führt der verschneite Parkweg zu irgend einem kokett versteckten Rokoko-Schlößchen, wo sich vielleicht „Serenissimus“ die Langeweile des trüben Wintertages mit allerlei Festlichkeiten vertreibt, wo vielleicht auch große Entschlüsse der hohen Politik erwogen werden – der Maler überläßt es unserer Phantasie, das bewegte Leben sich auszudenken, das sich hinter dieser Einsamkeit verbirgt.

Das Perchtenlaufen. (Zu dem Bilde S. 841) Perchtha, Berchtha oder Bertha war in der Vorstellung der alten Germanen die Gemahlin Wodans, an dessen wilder Jagd sie theilnahm, die Göttin, die Sonnenschein und Regen spendete und ebensowohl heiter und gnadenreich wie furchtbar sein konnte. Selbst Spinnerin, überwachte sie das Spinnen und Weben der Frauen, lohnte die fleißigen, strafte die trägen.

Als die Spinnerin blieb sie den nachfolgenden Geschlechtern christlichen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 869. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_869.jpg&oldid=- (Version vom 22.5.2023)