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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Stropp der Hund.

Erzählung von Ernst Lenbach.
Mit Zeichnungen von C. Reichert.

Stropp der Hund saß unter der Hecke am Wege, fest auf die kräftigen krummen Vorderbeine gestemmt, und dachte nach. Ueber ihm blühte und duftete der Flieder, der grüne Wegsaum war mit lieblichen blauen, weißrothen und goldenen Blumen übersät. Die Buchfinken, diese leichtsinnigen Junggesellen, flatterten von Baum zu Baum und überboten einander in höchst bedenklichen Einladungen an die Jungfrauen ihres Volkes: „Zi – Zi – Zillichen, wellste met en’t Withshus gohn?“. Oben im Wipfel der Kastanie, entfernt vom Gewühle der Welt, wie es der Künstlerin ziemt, saß die Drossel und übte ihre große Frühlingsarie. Aber all dies rührte Stropp den Hund heute nicht. Kaum daß er dann und wann die runden Augen und das Krokodilmaul zugleich weit aufriß und mit einer hastigen Kopfbewegung nach irgend einem vorwitzigen Brummer schnappte, der es gewagt hatte, seine ernsten Betrachtungen mit einem leichtfertigen Liebesliedchen zu stören.

Von drinnen, aus dem kleinen weißen Häuschen, erklang das Klirren von Tellern und Gläsern, dazwischen langsames, ernstes Sprechen von zwei schon etwas altersschwachen Menschenstimmen. Ab und zu hörte Stropp der Hund seinen eigenen Namen heraus, gar nicht mit jener aufmunternden oder liebkosenden Betonung, wie er ihn sonst zu hören gewohnt war. Alsdann wechselte er unmuthig das Stützbein, legte den langen spitzschnauzigen Kopf mit den zierlich gefransten Schlappohren auf die andere Seite und stieß einen tiefen Seufzer durch die Nase aus. Und jetzt hörte er wieder jenes häßliche Menschenwort, welches für ihn einen so traurigen Klang hatte: „abschaffen“.

Es war klar, daß dieses Wort etwas überaus Unangenehmes bedeuten mußte, unangenehm für Mensch und Thier. In verschiedenen Betonungen hatte es Stropp der Hund bei seinem früheren Herrn kennengelernt. Nach besonders schweren Vergehen bekam er es zu hören, begleitet von einer sehr ausdrucksvollen Handbewegung des Herrn: „Stropp, wenn du das noch einmal thust, so werde ich dich abschaffen!“ Und in den letzten Tagen ihres Beisammenseins, wie traurig hatte es da geklungen, wenn der Herr, auf dem gepackten Koffer sitzend, ihm unter sanftem Streicheln sagte: „Ja, armer Stropp, krummbeiniges Raubthier“ – oder „Fettwanst“ oder „gefräßiger Dackel“ oder wie sonst die zahlreichen Ehrennamen Stropps hießen – „ich muß dich jetzt abschaffen!“ Und dann hatte ihn der Herr eines Tages hierher gebracht zu den beiden alten Leutchen; er hatte ihm noch eine schöne Rede gehalten, die mit den Worten schloß: „Und wenn du walzenförmiger Kobold hier nicht gut thust, dann soll dir die Frau Schmitz dein rechtes Schlappohr abschneiden und knusprig braten!“ Dann war er gegangen, und Stropp hatte ihn nie wieder gesehen, den guten Doktor, der ihn von klein auf erzogen, frei nach Rousseaus „Emil“, ihn zur Perle der Redaktionshunde und zum Kenner jeglicher Sorte von Wurstschalen ausgebildet hatte. Und mit ihm hatte Stropp neben allem andern auch den Einzigen verloren, der über sämmtliche dunkle Stellen in Stropps Stammbaum hinwegsah und ihn hartnäckig für einen Vollblut-Dackel erklärte. O, es war hart! Lange Zeit brauchte das „gefräßige Ungeheuer“, die „wandelnde Ofenpfeife“, der „krummbeinige Don Juan“, bis er es verschmerzte, diese und andere mehr oder minder sinnvolle Bezeichnungen nicht mehr von redaktioneller Seite zu vernehmen. Aber die Zeit lindert alles, und im übrigen hatte Stropp der Hund es auch hier ganz gut gefunden. Eine Milchwirthschaft ist immer ein angenehmer Aufenthalt für einen häuslich denkenden Hund, der sich noch den Sinn für einfache und gesunde Nahrung bewahrt hat. Die neue Herrschaft behandelte ihn vortrefflich und hatte den schönen Vorzug, daß sie bedeutend weniger flink als Stropp war, was in Augenblicken des getrübten Einvernehmens zwischen beiden Parteien große Vortheile für Stropps körperliche Sicherheit bot. Die Lage des Häuschens war entschieden schöner als das etwas gar zu verräucherte Redaktionszimmer drunten in der Universitätsstadt. Es ließ sich herrlich traben und spielen auf der großen grünen Bergwiese, bis hinauf zu der Wallfahrtskirche und abwärts bis zur Landstraße. Der Maulkorbzwang reichte nicht hinauf in die freien Bergeslüfte, und die Wallfahrer und Spaziergänger aus der Stadt waren immerhin oft genug von Hunden begleitet, um Stropps gesellige Vorzüge, namentlich im Verkehr mit Damen, nicht ganz einschlafen zu lassen. Und dann im Winter, wie herrlich war es, die Bauernknaben auf ihren Stoßschlitten den glattgefrorenen Weg hinabsausen zu sehen, sie blitzenden Auges zu erwarten und dann mit fröhlichem Gebell hinterherzujagen, wobei sich eines von Stropps Ohren umklappte und seinem Kopfe etwas von dem kecken Aussehen eines Husarenczakos gab! Ja, er hatte sich recht eingewöhnt – und nun klang seit einigen Tagen wieder dieses häßliche „abschaffen“ in unverkennbarer Verbindung mit seinem Namen um ihn her und zwang seine Hundeseele, unholden Erinnerungen nachzugehen, eben jetzt, wo Frühlingsgefühle auch seine weißgefleckte Brust dehnen und seinem Gemüth einen höheren Schwung geben wollten!

Es war sehr ärgerlich. Auf alle Fälle hieß es jetzt, Augen und Ohren offen halten und sich allgemein von der besten Seite zeigen, um die Menschen, die nun leider einmal das Schicksal der Hunde spinnen und abschneiden, in möglichst guter Stimmung zu halten.

Während Stropp der Hund solchen ernsten Erwägungen nachhing, klang von unten den Weg herauf eintöniges Stimmengemurmel, erst leise und nun immer näher und lauter. Ein Trupp Wallfahrer zog zur Kirche hinauf, die Männer mit ungeheueren baumwollenen Regenschirmen und rothkattunenen Vorrathsbündeln, die Weiber mit Rosenkränzen und Gebetbüchern. Das waren Landleute, da fiel für Stropp jedenfalls nichts ab als höchstens ein Stoß mit dem Regenschirm. So stand er denn auf und wackelte nach mehrmaligem Dehnen und Gähnen ins Haus hinein, wo er in dem kleinen halb offenen Wirthszimmerchen das äußerste Ende einer blankgescheuerten Bank mit Beschlag belegte und wehmüthig den Duft von frischer Milch einsog.

Nicht lange nach ihm betrat eine unvergleichlich schönere Erscheinung das Zimmer, ein überaus hübsches junges Mädchen in feiner Stadtkleidung. Sie setzte sich auf einen der einfachen Holzstühle und bestellte bei der freundlichen grauhaarigen Frau Schmitz ein Glas Milch, worauf sich zwischen beiden das übliche Wettergespräch entspann. Dazu summten einige Fliegen, die Wanduhr ticktackte, und draußen zog langsam entschwindend das Gemurmel der Betenden vorüber.

Ein zweiter Gast erschien, diesmal ein Herr, und zwar ein noch junger Herr, ebenfalls in Stadtkleidung, mit einer Brille auf der Nase. Freundlich wie ein guter Bekannter begrüßte er die Wirthin, mit einer höflichen gemessenen Verbeugung die junge Dame, dann setzte er sich in ziemlicher Entfernung von dieser nieder und begann gleichfalls sich der Milchkur zu befleißigen. Stropp der Hund hatte ihn als halben Stammgast behandelt, das heißt, er hatte beim Eintritt des Herrn vier- bis fünfmal mit dem Schweif auf die Bank geklopft und war dafür mit einem Streicheln und einem „Na, alter Kerl?!“ belohnt worden. So weit versprach die Entwicklung der Dinge alltäglich zu bleiben.

Nun aber verließ Frau Schmitz das Zimmer, um nach ihren Hühnern zu sehen, und damit begannen die Verhältnisse einen spannenderen Charakter anzunehmen. Nämlich der junge Mann stand plötzlich auf, näherte sich nach einem vorsichtigen Rundblick mit bemerkenswerther Hast der jungen Dame, und im nächsten Augenblick sah Stropp der Hund, wie der Herr die Dame im Arme hielt und ungemein lebhaft küßte. Dazwischen redeten sie allerlei Worte, welche Stropp noch gar nicht in seinem Lexikon der Menschensprache besaß.

Stropp überlegte den Fall, während er als Mann von Welt sich den Anschein gab, völlig uninteressiert zu bleiben. Böses wollte der Herr dem Mädchen anscheinend nicht thun, auch schien

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 887. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_887.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2024)