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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

sie ja ganz zufrieden mit dem, was er that. Ueberdies kannte ihn Stropp bereits als einen netten freundlichen Menschen, der seinen Fuß beim Vorüberwandeln auf die Straße und nicht auf harmlose Hundeschwänze setzte und dem es auf ein Stückchen Zucker nicht ankam. Und endlich erinnerte sich Stropp, auch seinen früheren Herrn schon einmal in ähnlicher Situation mit einem Mädchen gesehen zu haben, wonach sich derselbe auffällig lustig und freigebig gegen das „krummbeinige Wurm“ benommen hatte. Also abwarten und diskret sein!

„Wie lieb von Dir, Ulla, daß Du so pünktlich bist!“ sagte der Herr unter anderem.

„Ach ich – ich hab’ ja Zeit genug,“ erwiderte das Mädchen, „ich muß Dir danken, daß Du so pünktlich den weiten Weg herkommst, wo Du doch so viel in Deinem Museum zu thun hast, Du armer lieber Karl!“

„Und Du bist sicher, daß der Onkel nichts merkt?“

„Wie sollte er? Ich bin einfach spazieren gegangen …“

„Natürlich, und da hab’ ich Dich einfach hier gefunden, Du süßer Frühlingsstrahl, Du!“

Stropp der Hund bemerkte, daß diese Reden keineswegs dicht aufeinander folgten. Vielmehr waren sie stets unterbrochen von allerlei merkwürdigen, anscheinend nicht unfreundlichen Gebärden und Handlungen. „Ungefähr wie draußen die Blumen zwischen dem grünen Klee stehen,“ dachte Stropp, der allmählich in eine poetische Stimmung gerathen war.

„Und Du willst jetzt öfters hierher kommen, Ulla? Gelt, Du thust es?“

„Ich wollte ja gern, aber sieh, Karl, nun kommen immer mehr Leute hierher …“

„Liebster Schatz, wir brauchen uns ja nicht hier zu treffen, dort hinten am Berge liegt der schöne stille Busch –“

„Und wenn uns einer von den Studenten sieht, die dort nach der Dorfschenke durchziehen – wenn der Onkel –“

„Ach, dieser Onkel!“

Nach einer kleinen Weile begann das Mädchen etwas zaghaft, indes sie liebkosend mit den Fingern seiner Rechten spielte:

„Sag’ ’mal, Karl – aber bitte, sei mir nicht böse – willst Du gewiß nicht böse sein?“

„Ulla, ich Dir böse!“

Es dauert immer länger, bis sie wieder zum Reden kommen, dachte Stropp der Hund.

„Sieh’, Karl, könntest Du denn in Eurem wissenschaftlichen Streite dem Onkel nicht ein wenig entgegenkommen – er ist so eigen – ach, nun bist Du doch böse!“

„Nein, Schatz, nicht böse. Du willst ja nur mein Glück. Aber was Du da sagst, das geht nicht. Jene Frage geht nur die Wissenschaft an, da darf die Liebe nicht entscheiden wollen, und wider mein Gewissen kann ich nicht zugeben, daß die Flasche antik ist. Mein Gott, wie kann aber auch Dein Onkel so etwas so persönlich fassen –“

„Ach, Karl, Du weißt nicht, wie eigen er ist. Und doch wieder so gut.“

„Und hat eine so gute Nichte, und die wird ihn zuletzt doch noch erweichen! Wir müssen’s abwarten, Liebchen … Still, man kommt. Also nächstens – in acht Tagen – drüben am Berge den schmalen Weg –“

„Ja, ja, Karl – aber laß, man kommt!“

In der That, „man“ kam, nämlich Frau Schmitz mit sechs frischen Hühnereiern und einer sehr scharfen Bemerkung für Stropp, welchen sie beschuldigte, zwei weitere Eier ausgetrunken zu haben. Das freundliche Dazwischentreten der beiden Gäste verhinderte eine fühlbarere Strafe für den vierbeinigen Eiertrinker. Bald darauf erhob sich die junge Dame, um ihren Spaziergang fortzusetzen. Der junge Herr verneigte sich höflich, sie nickte dankend.

„Kennen Sie die Dame, Herr Doktor?“ fragte Frau Schmitz.

„Oberflächlich,“ war die Antwort. „Es ist doch die Nichte von dem alten Oberst zur Nieden?“

„Jawohl,“ bestätigte Frau Schmitz. „Ein sehr nettes liebes Mädchen.“

„Es scheint so,“ erwiderte der Doktor, der sich anscheinend in vorzüglicher Laune befand. Er drehte an seinem schwarzen Schnurrbart, blinzelte die alte Wirthin schalkhaft an und bemerkte: „Zu so netten Leuten wie Sie, Frau Schmitz, kommen natürlich auch nur nette Leute! Das Hotel Schmitz kommt immer mehr in Flor!“

„Ach, Herr Doktor,“ meinte die Alte seufzend, „Sie haben gut spotten. Uns geht’s schlecht. Lange werden Sie Ihr Glas Milch wohl nicht mehr bei uns trinken können. Sehen Sie, die Wirthschaft trägt sich nicht mehr aus. Drunten in der Vorstadt das neumodische Café, das nimmt uns unser bißchen Verdienst ganz weg. Und dann will der Fiskus schon wieder mehr Pacht, und alles wird theurer. Wir sind um die Erlaubniß eingekommen, einen leichten guten Wein und ein leichtes Bier schenken zu dürfen – es ist ja weit und breit kein Wirthshaus hier oben, und wir hätten es ja bequem durch unseren Sohn, der ist in einer Weinhandlung und könnte uns dann auch hier helfen. Aber das wollen sie uns nicht bewilligen. Da werden wir denn wohl nächstens in die Stadt hinunterziehen. Und der da, der macht uns auch Sorge. Der neue Oberförster sagt, der Hund sehe ganz aus, als ob er wildere. Der arme Kerl, der ist ja zu fett und zu faul, um einen Regenwurm zu jagen, gelt, Ströppchen? Aber in der Stadt können wir ihn nicht halten. Wir müssen den Stropp abschaffen.“

Da war es, und jetzt ganz deutlich! Stropp der Hund zuckte auf; allein er bezwang sich und lauschte mit ängstlicher Spannung.

„Ach, das wäre aber schade,“ bemerkte jetzt der Herr, indem er Stropp mitleidig ansah, „schade für Sie und für den drolligen Kerl da und schade auch um das hübsche Plätzchen hier! Warum will man Ihnen denn die Erlaubniß nicht geben?“

„Ja, die Herren sagen, es liege kein Bedürfniß vor … Sie sagen, wir müßten Beweise …“

„Was, Beweise?“ rief der Doktor, indem er wie elektrisiert aufsprang, „na warten Sie, Frau Schmitz, die schaffen wir Ihnen. Heute abend, wenn Ihr Mann in die Stadt kommt, lassen Sie ihn bei mir ein Heft abholen, da werde ich hinein schreiben lassen, daß eine kleine Wein- und Bierschenke hier oben dem dringenden Wunsche aller Unterzeichneten entspreche. Das legen Sie hier auf. Und dann schicke ich Ihnen die Studenten her – die Mitglieder meiner Verbindung, meine Zuhörer, jegliches durstige Gebein, das ich kenne – und die sämmtlichen Herren von unserem Docententisch an der Spitze, die lasse ich gleich heute unterschreiben. Wir wollen doch sehen, ob hier kein Bedürfniß vorliegt. Und wenn erst ein Dutzend Studenten den Weg hierher gefunden hat, so kommen die anderen auch, die jetzt alle durch den Busch drüben zur Dorfschenke ziehen. Und dann bist Du auch geborgen, Stropp, alter Kerl, gelt?“

Der alte Milchmeier kam jetzt eben recht, um seinen Dank für das freundliche Anerbieten des Herrn Doktors mit dem seiner Frau zu vereinigen. Er war ein stiller, anscheinend etwas zur Beschaulichkeit neigender Mann, der sich auch diesmal willig der Ansicht seiner stärkeren Hälfte fügte.

Am Abend dieses schönen Frühlingstages trug Stropp der Hund folgende Thatsachen in das Buch seines Gedächtnisses ein: Die Alten wollen mich wirklich abschaffen, was ihnen aber natürlich selber sehr leid thut. Der freundliche Herr mit dem schwarzen Schnurrbart und den Gläsern vor den Augen will machen, daß ich hier bleibe. Er ist also ein guter Mensch, künftig als Stammgast erster Klasse und als werthvoller Beschützer zu behandeln. Er unterhält sich sehr vertraulich mit der jungen netten Dame, die auch freundlich gegen mich ist, sie verheimlichen es aber vor den anderen Menschen. Also wollen diese die Freundschaft zwischen beiden abschaffen. Man muß den beiden zu helfen suchen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 888. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_888.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2024)