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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

an ihrer linken Seite. – Die Sache wurde interessant. Stropp der Hund duckte sich unter den Grasmückenbusch und beobachtete.

Mit höflichem Gruße, den der Alte gemessen, die Dame mit leichtem Nicken erwiderte, schritt der Herr Doktor an den beiden vorüber. Diese nahmen auf einer Rasenbank unfern von Stropps Beobachtungsposten Platz.

„Muß einem gerade der den Spaziergang vergällen, wenn das Zipperlein einem ’mal Ruhe läßt!“ brummte der Alte.

„Aber Onkel,“ erwiderte die junge Dame mit ihrer sanften süßen Stimme, „früher hast Du den Herrn Doktor doch besser leiden mögen. Du fandest ihn ganz erträglich, als er in der Villa hinter uns einzog.“

Aha, der Onkel! dachte Stropp. Ungefähr so habe ich ihn mir auch vorgestellt.

„Ich habe mich eben getäuscht,“ antwortete der Alte mürrisch. „Damals wußte ich ja noch nicht, daß vom ihm jener infame Aufsatz ist, in dem er meine römische Glasflasche, das Kleinod meiner Sammlung, für gefälscht erklärt und mich – mich, den Oberst zur Nieden, unter die Fälscher wirft!“

„Onkel!“ rief Fräulein Ulla, „das hat der Doktor doch nicht gethan. Nur die Flasche, sagt er, sei falsch –“

„Was“, brauste der Alte auf, „und macht er damit nicht mich, der ich sie überall als echt hingestellt habe und noch hinstelle, zum Fälscher und Hehler? Willst Du einen alten Offizier Seiner Majestät über den Ehrenpunkt belehren, Mädchen? Himmeldonnerwetter, es kommt mir beinahe vor –“

„Ums Himmels willen, Onkel, ereifere Dich nicht,“ bat Fräulein Ulla. „Bedenke Deine Gesundheit! Wollen wir weiter gehen?“

Der Alte brummte noch einiges in den Bart, erhob sich schwerfällig, und sie schritten weiter. Dabei gewahrte Fräulein Ulla, was Stropp der Hund schon längst bemerkt hatte, daß der Herr Doktor in einiger Entfernung hinter einem Baume stand und mit ziemlich trübseligem Gesicht herüberguckte. Diese Wahrnehmung schien sie sehr zu erschrecken; denn sie ließ ihr Taschentuch fallen, das sie eben hervorgezogen. Als sie es wieder aufhob, blieb ein kleiner Brief auf dem Boden liegen.

Ganz wie damals bei meinem früheren Herrn und dem Fräulein Susanne, dachte Stropp der Hund. Aber was war denn das?

Nach dem Beispiel seines früheren Herrn mußte doch nun der Herr Doktor behutsam anrücken, das Briefchen aufheben, es mit Staub und allem an die Lippen führen und dann verschwinden! Anstatt dessen blieb das Briefchen liegen, wo es lag, und der kurzsichtige Herr Doktor guckte zum Himmel hinauf, als ob der – nach Stropps Anschauungsweise – voll von Würsten hinge. Anscheinend war er poetisch oder sonstwie verzückt. Und nun machte auch das Paar oben Halt, um umzukehren.

Da mußte eingeschritten werden. Mit einem kühnen Satze schwang sich Stropp der Hund aus seinem Versteck hervor, und im nächsten Augenblick hatte er das Brieflein im Maul und galoppierte auf den Herrn Doktor zu, ließ es aber diesem nicht sogleich, sondern lockte ihn seitab auf einen halbverwachsenen Pfad.

„Da siehst Du, was das für ein Herr ist,“ knurrte der Alte, der sich mit seiner Nichte aufs neue einer Ruhebank zugewandt und den letzten Theil jenes Vorgangs noch gerade mit angesehen hatte. „Hier tollt er mit einem anscheinend seiner ganz würdigen Köter herum und läßt sich von ihm Papier apportieren. Und jetzt prügelt er das arme Vieh wohl noch gar. Höre nur, wie es heult.“

„Das ist nur vor Freude, so heult der Hund immer, wenn er sich freut,“ erwiderte Fräulein Ulla. „Ich kenne das Thier, es ist der Hund oben aus der Milchwirthschaft.“

„So? Du kennst den Hund und er kennt den Hund – ei da kennt ihr Euch wohl auch schon näher? Höre, Ulla –“

„Aber Onkel, sei doch still, man kommt. Sieh, dort naht der Herr Professor, mit dem Du schon längst über Deine neuen Gräberfunde reden wolltest.“

„In der That,“ lächelte der Onkel ganz versöhnt, „ein glückliches Zusammentreffen – Ihr Diener, Herr Professor!“

Der alte Herr bot beiden die Schnupftabakdose an, auch Ulla griff scherzhaft mit den feinen Fingerchen hinein – und im nächsten Augenblick schlugen die Wogen eines Gesprächs über ihr zusammen, in dem zwei fränkische Skelette und ein altes Steinbeil die Hauptrolle spielten.

Abseits aber, zwischen den Erlenbüschen, stand Doktor Sassen und vollzog vor den Augen des fröhlich wedelnden Stropp gewissenhaft das von diesem aufgestellte Programm. Und nachdem er das Briefchen geküßt, gelesen und wieder geküßt, blickte er entzückt um sich und rief: „Wie schön ist die Welt heute, wie lieblich der Vogelsang und der Blüthenduft und all das Leben und all die Liebe! Nein, da wäre es Sünde, jetzt sich in das alte Museum zu vergraben und Urväterhausrath auseinanderzuklauben – komm, Stropp, du kluger Hund, vierbeiniger Liebesbote, willst du mit durch den Wald gehen? – Was bedeutet dieses tiefsinnige Knurren, weiser Stropp? Wurst? Sollst du auch haben, drüben in der Dorfschenke – komm, hopp!“ Und alsbald waren die beiden Leichtsinnigen im Waldesgrün verschwunden. – –

Es versteht sich, daß Stropp der Hund auf seinem Posten unter dem Vogelnest war, als die beiden jungen Leute einige Tage darauf wieder ernsthaft hintereinander herwandelten. Diesmal aber begnügte er sich nicht damit, den Vorüberschreitenden seine Aufwartung zu machen. Leise und bedächtig trottete er ihnen nach, und als Doktor Sassen im lauschigen Waldwinkel abseits vom Wege Ulla umfaßte und küssen wollte, fuhr sie erröthend zurück und rief: „Aber Karl – da, der Hund sieht es ja!“

Karl lachte herzlich und küßte sie doch. „Der darf es sehen“, meinte er und nickte Stropp zu, welcher mit unendlich ernsthaftem Gesicht zwischen dem Gebüsch durch auf das Paar guckte. „Gelt, Stropp, Du verräthst uns nicht, du merkst nur auf, daß uns keiner sonst überrascht und der dumme Doktor kein Briefchen liegen läßt?“

Auch Ulla lachte nun und streichelte Stropp über sein schwarzes Fell. „Aber nun geh’, Stropp, mein kluges Hundchen, geh’, setz’ Dich draußen an den Weg und sieh, daß uns niemand findet! – Ach, Karl, ich war so erschrocken neulich – ich fürchte, der Onkel hat ’was gemerkt! Es ist zu traurig. Erst, als Du neben uns einzogst und er Deinen Namen noch nicht wußte, da gefielst Du ihm so gut –“

„Ja ja, merkwürdig, Ulla! Und daß auch mir eine gewisse kleine Nachbarin gleich so gut gefiel, ehe ich wußte, wie sie hieß –“

„Hätte sie Dir sonst nicht gefallen?“

Eine ganze Weile ging das Gespräch der beiden unter Scherzen und Küssen hin und her, im grüngoldigen Dämmerlicht des Sommerwaldes, unter Vogelliedern und leisem Summen von allerlei winzigem Gethier. Dann wurden sie ernsthaft, er tröstete die Geliebte und sie ihn.

„Vertraue mir, Karl, ich bleibe Dein, Du bist ja mein Ein und Alles. In zwei Jahren kann ich frei verfügen, dann folge ich Dir, so schwer es mir wird, den alten Mann einsam und unversöhnt zu lassen –“

„Und bis dahin, Herz, bin ich gewiß auch so weit, Dir ein eigenes Heim und eine Stellung zu bieten, wie sie Deiner würdig ist. Ich habe gute Aussichten, mein Werk schreitet herrlich voran, seit das süße Deingedenken jederzeit über meiner Arbeit schwebt“, und so fort, all das Herzliche, Tiefernste und Lieblich-Thörichte, das sich zwei junge Menschenkinder zu erzählen haben in jener Zeit des Lebens, von der es im alten deutschen Märchen heißt: „Sie waren in den Brauttagen und hatten jedes die größte Freude am andern.“

Derweil saß Stropp der Hund ernsthaft am Wege und gab acht, ob sich kein Lauscher nahte, und baute auch in seiner verschwiegenen Hundeseele anmuthige Luftschlösser, in denen er sich als vielgeschätzten Hausfreund eines so schönen und thierfreundlichen Paares sah, fern von übermüthigen Studenten und maulkorbeifrigen Leuten in grünen Uniformröcken. Und so ging es einige Zeit.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 890. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_890.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2024)