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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

schienen allerdings diese Absicht zu haben, und der eine, ein hübscher schlanker Mann, offenbar ein Offizier in Civil, erwiderte lachend:

„Gewiß, Herr von Stetten! Wir empfinden noch ganz und gar kein Ruhebedürfniß, und für uns Nordländer hat der Anblick etwas Märchenhaftes, nicht wahr, Wittenau? – Ah, da kommen die Wildenrods! Das nenne ich Geschmack; der Wagen verschwindet ja fast unter Blumen, und die schöne Cäcilie sieht so vollends aus wie eine Frühlingsfee.“

Der Wagen, der eben vorüberfuhr, zeichnete sich in der That durch einen besonders reichen Blumenschmuck aus. Er war über und über mit Kamelien geziert, Kutscher und Diener trugen Sträuße davon an den Hüten, sogar die Pferde waren damit geschmückt.

Auf dem Vordersitz befanden sich ein Herr, eine stolze vornehme Erscheinung, und eine junge Dame in röthlich schillerndem Seidengewand, ein weißes duftiges Hütchen mit Rosen auf dem dunklen Haare. Auf dem Rücksitz hatte ein junger Mann Platz genommen, der sich mühte, die Fülle der Blumen zu bergen, die sich von allen Seiten wie ein duftender Regen gerade über diesen Wagen ergossen. Es waren die kostbarsten Sträuße darunter, offenbar Huldigungen für das schöne Mädchen, das lächelnd inmitten all der Blüthen saß und mit großen strahlenden Augen auf das fluthende Leben ringsum blickte.

Auch der Offizier hatte einen Veilchenstrauß ergriffen und schleuderte ihn mit geschicktem Wurfe in den Wagen, aber statt der Dame fing ihn deren Begleiter auf und warf ihn dann achtlos zu den übrigen, die sich neben ihm auf dem Rücksitz aufthürmten.

„Nun, für Herrn Dernburg war das gerade nicht bestimmt,“ sagte der Blumenspender etwas ärgerlich. „Er ist natürlich wieder im Wagen der Wildenrods, man sieht ihn gar nicht mehr anders als in ihrer Begleitung.“

„Ja, seit dieser Dernburg aufgetaucht ist, scheinen alle sonstigen Beziehungen überflüssig geworden zu sein,“ stimmte Wittenau bei, indem er dem Wagen einen finsteren Blick nachsandte.

„Haben Sie das auch schon erfahren?“ neckte der junge Offizier. „Ja, Millionäre stehen leider immer im Vordergrund, und ich glaube, Herr von Wildenrod weiß diese Eigenschaft an seinen Freunden zu schätzen, denn bisweilen läßt ihn doch das Glück drüben in Monaco im Stiche.“

„Aber davon kann doch gar nicht die Rede sein,“ erwiderte Wittenau beinahe unwillig. „Der Freiherr macht durchaus den Eindruck eines Kavaliers und verkehrt hier in den ersten Kreisen.“

Der andere zuckte lachend die Achseln.

„Das will nicht viel sagen, lieber Wittenau. Gerade hier in Nizza verwischen sich die Grenzen zwischen der Gesellschaft und der Abenteurerwelt oft in ganz bedenklicher Weise. Man weiß nie recht, wo die eine aufhört und die andere anfängt, und bei diesem Wildenrod sieht man nicht klar. Ob sein Adel überhaupt echt ist –“

„Unzweifelhaft echt, das kann ich verbürgen,“ mischte sich jetzt Stetten, der bisher schweigend zugehört hatte, in das Gespräch.

„Ah, Sie kennen die Familie?“

„Ich habe vor Jahren im Hause des alten, jetzt verstorbenen Freiherrn verkehrt und dort auch seinen Sohn kennengelernt. Von diesem weiß ich allerdings nichts Näheres, aber seinen Namen und Titel trägt er mit vollem Rechte.“

„Um so besser,“ sagte der Offizier leichthin. „Uebrigens ist es ja nur eine Reisebekanntschaft, und die verpflichtet zu nichts.“

„Gewiß nicht, wenn sich solche Beziehungen ebenso leicht lösen, als sie geknüpft werden,“ warf Stetten mit einer gewissen Betonung hin. „Doch ich will jetzt fort – auf Wiedersehen, meine Herren!“

„Ich gehe mit Ihnen,“ sagte Wittenau, der auf einmal die Lust am Zuschauen verloren zu haben schien. „Die Wagenreihen fangen ja schon an, sich zu lichten. Es wird nur schwer sein, durchzukommen.“

Sie verabschiedeten sich von ihrem Gefährten, der noch nicht an den Aufbruch dachte und sich eben wieder mit neuem Blumengeschütz versah, und verließen die Terrasse. Es war allerdings nicht leicht, in der dichtgedrängten Menge vorwärts zu kommen, und es dauerte eine ganze Weile, ehe sie all das Wogen und Treiben hinter sich ließen. Allmählich aber wurde es einsamer um sie her, während der Festjubel in der Ferne verklang.

Die Unterhaltung der beiden Herren war ziemlich einsilbig. Der jüngere besonders schien verstimmt oder zerstreut zu sein und plötzlich sagte er ganz unvermittelt:

„Sie kennen also die Wildenrods näher, und das erfährt man erst heute? Und doch verkehrten Sie nie mit ihnen.“

„Nein,“ sagte Herr von Stetten kühl, „und auch Ihnen hätte ich einen anderen Umgang gewünscht. Ich deutete das auch verschiedenemal an, aber Sie wollten meine Winke nicht verstehen.“

„Ich wurde durch einen Landsmann dort eingeführt, und Sie sagten mir nichts Bestimmtes –“

„Weil ich selbst nichts Bestimmtes weiß. Jene Beziehungen, von denen ich vorhin sprach, liegen um zwölf Jahre zurück, und seitdem hat sich vieles geändert. Ihr Freund hat recht, die Grenzen zwischen der Gesellschaft und der Abenteurerwelt verwischen sich hier oft sehr bedenklich, und ich fürchte, Wildenrod steht bereits jenseit dieser Grenze.“

„Sie halten ihn nicht für reich?“ fragte Wittenau betroffen. „Er lebt mit seiner Schwester auf großem Fuße, anscheinend in den glänzendsten Verhältnissen, und hat jedenfalls für den Augenblick bedeutende Mittel in Händen.“

Stetten zuckte mit vielsagender Miene die Schultern.

„Fragen Sie die Spielbank in Monaco, er ist ja ständiger Gast dort und soll auch meist mit Glück spielen – so lange es dauert! Man hört auch bisweilen von anderen Dingen, die noch bedenklicher sind. Ich habe mich nicht veranlaßt gefühlt, die einstige Bekanntschaft zu erneuern, obgleich unser Verkehr ein ziemlich häufiger war, denn die ehemaligen Wildenrodschen Besitzungen liegen in unmittelbarer Nähe unseres Familiengutes, das jetzt in meinen Händen ist.“

„Die ehemaligen?“ fragte der junge Mann. „Die Besitzungen sind also verkauft? Doch ich sehe, Sie sprechen nicht gern darüber.“

„Zu Fremden allerdings nicht – Ihnen will ich Auskunft geben, denn ich weiß, daß Sie ein näheres Interesse an der Sache haben. Aber dies Gespräch bleibt unter uns!“

„Mein Wort darauf!“

„Nun denn,“ sagte Stetten ernst, „es ist eine kurze, traurige, aber leider nicht ungewöhnliche Geschichte. Die Güter waren längst mit Schulden überlastet, trotzdem wurde ein glänzender Haushalt geführt. Der alte Freiherr hatte noch in späteren Jahren, als der Sohn längst erwachsen war, eine zweite Ehe geschlossen, er konnte seiner jungen Frau keinen Wunsch versagen, und sie brauchte viel, sehr viel. Der Sohn, der im diplomatischen Dienst stand, war auch gewohnt, als großer Herr zu leben, allerlei sonstige Verluste kamen hinzu, und endlich brach die Katastrophe herein. Der Freiherr starb plötzlich an einem Schlagfluß – so hieß es wenigstens.“

„Er hat Hand an sich gelegt?“ fragte Wittenau leise.

„Wahrscheinlich. Gewisses hat man nicht erfahren, aber vermuthlich wollte er das Unglück und die Schande dieses Zusammenbruches nicht überleben. Die Schande wurde allerdings abgewendet, denn man trat an allerhöchster Stelle für die Familie ein. Die Wildenrods gehören zum ältesten Adel des Landes, und der Name sollte um jeden Preis gerettet werden. Das Schloß und die Güter gingen in königlichen Besitz über, so konnten wenigstens die Gläubiger befriedigt werden, und der Verkauf galt in weiteren Kreisen für einen freiwilligen. Allerdings blieb nichts übrig. Die Witwe mit ihrem kleinen Töchterchen wäre dem Elend preisgegeben gewesen, wenn die Gnade des Königs ihr nicht einen Wohnsitz im Schlosse und eine jährliche Rente gesichert hätte. Sie starb übrigen auch bald darauf.“

„Und der Sohn? Der junge Freiherr?“

„Er nahm natürlich den Abschied, mußte ihn nehmen unter diesen Umständen, denn er konnte bei völliger Mittellosigkeit doch nicht Gesandtschaftsattaché bleiben. Es mag ein harter Schlag gewesen sein für den stolzen ehrgeizigen Mann, der vielleicht gar

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_002.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)