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verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 2.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Freie Bahn!

Roman von E. Werner.
(1. Fortsetzung.)

Der Freiherr von Wildenrod hatte die Thüre sorgfältig hinter sich geschlossen, trotzdem senkte er jetzt die Stimme und sagte halblaut zu seiner Schwester:

„Cäcilie, Erich Dernburg bietet Dir noch etwas anderes als Rosen – seine Hand. Er hat soeben mit mir gesprochen und wird sich jetzt auch Dir erklären.“

Die junge Dame nahm die Nachricht ohne jede Ueberraschung auf. Sie wendete den Kopf seitwärts, um zu sehen, wie sich die Blume im Haar ausnehme, und fragte gleichgültig:

„Schon jetzt?“

„Schon? Ich habe das längst erwartet, und er hatte wohl auch längst die Absicht, zu sprechen, aber Du scheinst ihn wenig ermuthigt zu haben.“

Zwischen den Brauen Cäciliens erschien eine Falte, genau an derselben Stelle, wo sich die tiefe düstere Furche auch in die Stirn ihres Bruders grub.

„Wenn er nur nicht so langweilig wäre!“ sagte sie.

„Cäcilie, Du weißt, daß ich diese Verbindung wünsche, dringend wünsche, und ich hoffe, Du richtest Dich danach.“

Der Ton klang sehr entschieden, er schien jeden Widerspruch der Schwester auszuschließen, die jetzt mit einer ungeduldigen Bewegung die übrigen Rosen beiseite schob.

„Warum muß es denn gerade Dernburg sein? Vicomte von Marville ist viel hübscher, viel liebenswürdiger –“

„Denkt aber nicht daran, Dir seine Hand anzubieten,“ unterbrach sie Wildenrod. „Er so wenig wie die anderen, die Dir den Hof machen. Nicht diese beleidigte Miene, Cäcilie, Du kannst Dich darin auf mein Urtheil verlassen, ich kenne die Herren sehr genau. Die Vermählung mit Dernburg dagegen sichert Dir ein glänzendes Los, er ist sehr reich.“

„Nun, das sind wir ja auch.“

„Nein,“ sagte der Freiherr kurz und scharf.

Die junge Dame sah ihn betroffen an, er trat zu ihr und legte die Hand auf ihren Arm.

„Wir sind nicht reich! Ich bin genöthigt, Dir das jetzt zu sagen, damit Du nicht durch Launen oder Kindereien Deine Zukunft verscherzest und ich erwarte mit aller Bestimmtheit, daß Du den Antrag annimmst.“

Cäcilie blickte noch immer halb erschrocken, halb ungläubig zu dem Bruder auf, aber sie war es offenbar gewohnt, sich seinem Willen zu fügen, und versuchte gar keinen ferneren Widerstand.

„Als ob ich es überhaupt wagen dürfte, ‚Nein‘ zu sagen, wenn mein gestrenger Herr Bruder ein ‚Ja‘ befiehlt!“ schmollte sie. „Aber Dernburg soll sich nur nicht einbilden, daß ich mit ihm nach seinem langweiligen Odensberg gehe. Unter Arbeiterhorden zu leben, bei den Eisenhütten voll Staub und Ruß – mir graust schon, wenn ich nur daran denke.“

„Das wird sich alles finden,“ sagte Wildenrod. „Uebrigens hast Du doch wohl keinen Begriff davon, was es heißt, einstiger Herr der Odensberger Werke zu sein, und welche Stellung Du an seiner Seite in der Welt einnimmst. Wenn Dir das erst klar wird, so wirst Du mir danken für die Wahl, die ich getroffen. Doch nun komm’, wir dürfen Deinen künftigen Gemahl nicht länger warten lassen.“

Friedrich von Esmarch,
der Gründer der deutschen Samaritervereine.
Nach einer Photographie von Schmidt und Wegener in Kiel.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_021.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2021)