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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Damals fingen die tollen Ideen an, in seinem Kopfe zu spuken, da schlangen sich die ersten Maschen des Netzes um ihn, in dem er sich jetzt gefangen hat, und deshalb wollte er nichts mehr von mir annehmen, denn er wußte, daß es zu Ende zwischen uns war, wenn ich davon erfuhr.“

„Ich habe ihn noch nicht gesprochen und kann deshalb nicht urtheilen. Er ist draußen in Radefeld?“

„Er kommt heute herein, ich erwarte ihn noch in dieser Stunde.“

„Und Du willst ihn zur Rede stellen?“

„Natürlich. Es ist hohe Zeit!“

„Papa, ich bitte Dich, tritt Egbert nicht mit Härte entgegen. Hast Du vergessen –“

„Daß er Dich aus dem Wasser gezogen hat? Nein, aber er hat es vergessen, daß er seitdem fast wie ein Sohn des Hauses gehalten worden ist. Rede mir nicht drein, Erich; das verstehst Du nicht!“

Der junge Mann schwieg, er wagte es nicht, dem Vater zu widersprechen, der während der letzten Minuten seinen Gang durch das Zimmer wieder aufgenommen hatte. Jetzt blieb dieser stehen und sagte in grollendem Tone:

„Ich habe den Kopf voll von allen möglichen Unannehmlichkeiten, und nun kommst Du mir auch noch mit Deinen Liebes- und Heirathsgeschichten. Es war eine grenzenlose Uebereilung, daß Du Dich gebunden hast, ohne meine Einwilligung abzuwarten.“

„Ich glaubte sie voraussetzen zu dürfen, und auch Wildenrod hat das getan, als er mir die Hand seiner Schwester zusagte. Was hast Du denn gegen meine Wahl einzuwenden, Papa? Es ist eine so schöne liebenswürdige Tochter, die ich Dir zuführe, wie schön, das zeigt Dir ihr Bild – sie ist überdies reich, aus hochangesehener Familie, gehört einem alten Adelsgeschlechte an –“

„Darauf lege ich nicht den mindesten Werth,“ unterbrach ihn sein Vater schroff. „Auch wenn die Wahl eine passende war, hattest Du zuerst bei mir anzufragen; statt dessen verlobst Du Dich und läßt die Verlobung sogar in Nizza bekannt werden, noch ehe meine Antwort eingetroffen ist. Das sieht ja beinahe aus, als hätte man einem etwaigen Einspruch meinerseits vorbeugen wollen.“

„Aber davon kann gar keine Rede sein! Mein Verhältniß zu Cäcilie war nicht unbemerkt geblieben, man sprach bereits darüber, und Oskar erklärte mir, daß er, um Mißdeutungen zu vermeiden, die Wahrheit zugestehen müsse.“

„Gleichviel, es war eine Eigenmächtigkeit. Meine Erkundigungen sind allerdings befriedigend ausgefallen.“

„Ah, Du hast Dich erkundigt?“

„Selbstverständlich, da es sich um eine Familienverbindung handelt. Ich habe mich allerdings nicht nach Nizza gewandt – so ein Reiseaufenthalt bietet keinen zuverlässigen Anhalt – sondern nach der Heimath der Wildenrods. Ihre ehemaligen Besitzungen sind jetzt königliches Eigenthum, und das Hofmarschallamt hat mir die nöthige Auskunft gegeben.“

„Papa, das war überflüssig!“ sagte der junge Mann vorwurfsvoll.

„Für Dich vielleicht, ich hielt es für nothwendig,“ war die trockene Antwort. „Die Wildenrods gehören allerdings zum ältesten Adel des Landes. Der alte Freiherr scheint etwas verschwenderisch gelebt zu haben, genoß aber die allgemeinste Achtung, nach seinem Tode wurden die Güter verkauft und gingen für einen immerhin bedeutenden Kaufpreis in die Hände des Königs über, unter der Bedingung, daß der Witwe ein Wohnsitz im Schlosse gesichert bliebe – das stimmt mit dem, was Dir Herr von Wildenrod mitgetheilt hat, für den ich übrigens nicht die mindeste Sympathie hege.“

„Aber Du kennst ihn ja noch nicht. Oskar ist ein geistvoller, in vieler Hinsicht bedeutender Mann.“

„Das mag sein, aber ein Mann, der, sobald er die väterliche Erbschaft antritt, nichts Eiligeres zu thun hat, als die Familiengüter für einen möglichst hohen Preis loszuschlagen, den Dienst seines Vaterlandes zu verlassen und ohne Beruf, ohne irgend eine Thätigkeit in der weiten Welt umherzuschweifen, flößt mir keine besondere Achtung ein. Dies Zigeunerleben der vornehmen Drohnen, die heimathlos von Ort zu Ort ziehen und überall nur ihrem Vergnügen nachjagen, ist mir in tiefster Seele zuwider. Ich finde es auch durchaus nicht zartfühlend von dem Freiherrn, daß er seine junge Schwester an einem solchen Leben theilnehmen läßt.“

„Er liebt Cäcilie mit der größten Zärtlichkeit, und sie hatte niemand als ihn auf der Welt. Sollte er seine einzige Schwester fremden Händen überlassen?“

„Vielleicht wäre das besser gewesen. Wenn man einem jungen Mädchen Heimath und Familie nimmt, so entzieht man ihm den Boden unter den Füßen. Doch den würde sie hier bei uns wiederfinden. Du liebst sie nun einmal, und wenn Du wirklich ihrer Gegenliebe sicher bist –“

„Würde ich sonst ihr Jawort erhalten haben?“ rief Erich. „Ich habe es Dir ja geschildert, Papa, wie sie umschwärmt und gefeiert wurde, wie ihr alles zu Füßen lag. Sie hatte unter so vielen zu wählen und sie wählte mich!“

„Das eben wundert mich,“ sagte Dernburg kühl. „Du besitzest keine einzige von jenen glänzenden Eigenschaften, welche Mädchen von dieser Erziehung und diesen Ansprüchen verlangen. Aber wie dem auch sei – zunächst wünsche ich, Fräulein von Wildenrod und ihren Bruder persönlich kennenzulernen. Wir werden sie nach Odensberg einladen, und dann wird sich das weitere finden. Inzwischen bitte ich mir aus, daß der Sache nicht noch eine größere Oeffentlichkeit gegeben wird, als sie leider schon hat.“

Damit verließ er das Zimmer und ging in seine Bibliothek, die unmittelbar daneben lag. – –

Erich hatte sich in einen Sessel geworfen und stützte den Kopf in die Hand.

Die Art, wie seine Verlobung in der Heimath aufgenommen wurde, war enttäuschend und niederdrückend für ihn gewesen. Er hatte gar nicht an die Möglichkeit von Einwendungen gedacht, hatte erwartet, der Vater werde seine Wahl mit freudiger Zustimmung begrüßen. Statt dessen wurden Erkundigungen eingezogen, Zweifel und Bedenken geltend gemacht. Sein Vater schien ein förmliches Mißtrauen zu hegen und wollte sich offenbar das letzte Wort noch vorbehalten. Es wurde dem jungen Manne heiß bei dem Gedanken, daß seine verwöhnte vergötterte Braut und deren stolzer Bruder hier in Odensberg erst eine Art von Probezeit durchmachen sollten, ehe sie endgültig in die Familie eintreten würden.

Da wurde die Thür geöffnet und er fuhr aus seiner Träumerei empor.

„Egbert!“ rief er, freudig aufspringend und dem Eintretenden entgegeneilend; dieser bot ihm die Hand.

„Willkommen in der Heimath, Erich!“

„Ja, ich bin ihr lange fern geblieben, so lange, daß sie mir beinahe fremd geworden ist,“ sagte Erich, den Händedruck erwidernd, „und gar wir beide haben uns eine Ewigkeit nicht gesehen.“

„Freilich, ich bin ja auch zwei Jahre in England gewesen und erst seit kurzem zurück. Aber nun vor allen Dingen, wie geht es Dir?“

Egbert Runeck war ungefähr in demselben Alter wie der junge Erbe, aber in der Gereiftheit schien er ihm um Jahre voraus zu sein. Sein Aeußeres machte den Eindruck vollster männlicher Kraft, und seine hohe Gestalt überragte die Erichs so bedeutend, daß dieser zu ihm emporblicken mußte. Das von Sonne und Luft gebräunte Gesicht war nichts weniger als schön, aber es war ausdrucksvoll und energisch in jedem Zuge. Das dichte blonde Haar und der blonde Vollbart hatten einen leichten röthlichen Schimmer, und unter einer breiten mächtigen Stirn lag ein Paar dunkelgrauer Augen, die eigenthümlich kalt und ernst blickten. Der Mann sah aus, als habe er bisher nur die Mühen, nicht die Freuden des Lebens gekannt oder gesucht. Auch aus seiner Haltung sprach etwas Herbes, Trotziges, das in diesem Augenblick zwar gemildert erschien, aber doch den hervorstechenden Zug der ganzen Erscheinung bildete. Diese mochte bedeutend sein – anziehend war sie nicht.

„O, ich bin völlig wiederhergestellt,“ sagte Erich, die Frage nach seinem Befinden beantwortend. „Die Reise hat mich natürlich etwas angegriffen, ich leide auch unter dem Klimawechsel, aber das wird vorübergehen.“

Egberts Augen hafteten auf dem Gesicht des jungen Mannes, das heute recht bleich und abgespannt aussah, und seine Stimme klang weicher, als er erwiderte:

„Gewiß, Du mußt Dich eben erst wieder an den Norden gewöhnen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_024.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)