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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Festigkeit vor ihr wie Schnee an der Sonne geschmolzen ist? Nichts, ober wenigstens – nicht viel! Aber unrecht war’s doch! Weil Sie weinen, weil ich sehe, wie bekümmert Sie die That gemacht hat, deshalb war es unrecht! Und ich will alles, alles thun, um es wieder gut zu machen, wenn Sie nur den Kummer vergessen, Ihre Zurückhaltung aufgeben und unbefangen mit mir verkehren wollten!“

Hilde fand keine Antwort, seine treuherzigen Worte hatten sie ganz entwaffnet. Sie duldete, daß er ihre Hand ergriff, und als er dieselbe, durch ihr Schweigen ermuthigt, an die Lippen preßte, da duldete sie es wieder. Aber im gleichen Augenblick zuckte sie auch schon tief erröthend zusammen und entzog ihm hastig die Hand. Dann erwiderte sie bestimmten Tones: „Gut, Herr Lieutenant, ich bin Ihnen nicht mehr böse. Dafür müssen Sie aber von jetzt an ganz ernsthaft gegen mich sein! Wollen Sie das versprechen?“

„Aus tiefstem Herzen, Fräulein Hilde! Allein wieso soll ich denn ernsthaft sein?“

„Sie sollen mit mir nicht anders verkehren wie mit jedem anderen jungen Mädchen. Sie sollen sich vor allen Dingen nicht mehr meiner Hand bemächtigen, mich auch nicht ‚Fräulein Hilde‘ nennen. Dann soll alles vergeben und vergessen sein und,“ schloß sie mit Würde, „dann kann auch ich Sie im Hause meiner Eltern als Gast willkommen heißen!“

Um ein Haar hätte Herbert schnurstracks das gethan, was ihm eben verboten worden war. Er griff nach ihren Fingerchen als diese jedoch eine schleunige Rückzugsbewegung machten, besann er sich und legte seine Hände fest ineinander, damit sie nicht gleich wieder Unfug anrichteten.

„Es ist ja schwer, unendlich schwer, was Sie mir da auferlegen!“ rief er. „Doch Sie haben wohl recht, ich muß mir Ihr Vertrauen erst verdienen, Fräulein Jaspersen! Fortan werden Sie den ehrerbietigsten Kavalier in mir finden, der ohne Ihre Zustimmung die Grenze der Form nicht einen Finger breit überschreiten wird! Aber –“

„Kein ‚Aber‘!“ sagte Hilde ernst. „Eine solche Zustimmung werden Sie niemals erhalten, da Sie Offizier sind und ich –“ Sie erröthete wieder und brach ab

„Ach was, Offizier! Ich bin der Sohn eines Geistlichen; Pastor und Schulmeister aber gehören in dieselbe Klasse! Doch lassen wir das! Mein Wort werde ich jedenfalls halten. Und nun geben Sie mir noch einmal die Hand zum Zeichen, daß unser Vertrag geschlossen ist!“

Hilde that es und erwiderte leise seinen festen Druck; dabei wandte sie den Blick ab, um seinem Auge nicht zu begegnen.

Als er endlich ihre Hand freigegeben hatte, fragte er: „Sind Sie eine Freundin des Segelsports, Fräulein Jaspersen?“

Hilde bejahte eifrig.

„O, dann müssen wir – Ihre Eltern natürlich eingeschlossen – miteinander segeln! Wollen Sie?“

„Wir haben kein Boot!“

„Dafür lassen Sie mich sorgen! Sie sollten einmal meine ‚Bachstelze‘ sehen! Sie kostet mich, ehrlich gestanden, weit über mein Vermögen hinaus – ein Heidengeld. Doch dafür belohnt sie mich überreich und fast meine ganze freie Zeit bringe ich auf ihr zu. Also nicht wahr, Sie kommen?“

Hilde wich einer bindenden Antwort aus. „Fahren Sie stets ohne Begleitung?“ fragte sie listig.

„Gewöhnlich, ja. Das heißt, meinen Burschen, den Frettwurst, nehme ich mit. Die ‚Bachstelze‘ stellt für einen Mann schon ein bißchen zuviel Anforderungen an Bedienung, und dann wäre es mir auch nicht möglich, nach Belieben ans Land zu gehen, wenn ich keinen Posten bei dem Boote zurücklassen könnte.“

„Und da wartet der geduldige Mensch die ganze Zeit mutterseelenallein auf Sie?“

Herbert lachte über den mitleidigen Ton dieser Frage. „Warum nicht? Denken Sie, er würde melancholisch? Im Gegentheil, er freut sich unbändig, sobald es von Bord geht, denn der Dienst auf dem Kriegsschiff ist durchaus nicht sein Geschmack.“

„Aber zuverlässig scheint er trotz dieser Abneigung zu sein, wenn Sie ihn immer mitnehmen!“

„Er ist ein Mensch wie Gold und doch ein sonderbarer Kauz – furchtbar empfindlich! Da hab’ ich ihn neulich zum Beispiel leicht getadelt, und seitdem ist er ganz verändert. – Uebrigens sind auch Sie dabei betheiligt.“

Hilde schrak zusammen. „Auch ich?“

„Ja, aber nur sehr entfernt, Sie brauchen sich deshalb nicht zu beunruhigen! Es handelte sich um einen verlorenen und vergeblich gesuchten Werthgegenstand, der sich schließlich doch da fand, wo Frettwurst ihn vorher zehnmal übersehen hatte.“

Er wußte also nichts! Trotz ihrer Befriedigung darüber fühlte Hilde lebhaft ihr Unrecht gegen den ehrlichen Frettwurst, und sie überlegte lebhaft, wie sie ihn für seine Verschwiegenheit belohnen könne, ohne sich seinem Herrn gegenüber zu verrathen.

In diesen Gedanken wurde sie durch die Rückkehr ihrer Eltern unterbrochen, die sich herzlich freuten, den jungen Offizier als Gast vorzufinden. Sie luden Herbert mit derselben liebenswürdigen Gastlichkeit wie neulich zum Abendessen ein, und diesmal nahm Herbert die Aufforderung bereitwillig an.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Friedrich von Esmarch. (Mit Bildniß S. 21.) Die Kieler Universität Christiana Albertina ist seit einem halben Jahrhundert die Wirkungsstätte ausgezeichneter Chirurgen. An ihr lehrte in den Jahren 1842 bis 1848 der berühmte Langenbeck, und ihm folgte Stromeyer, dem die Kriegschirurgie so erhebliche Fortschritte verdankt. Aus der Schule dieser Männer ging der Nachfolger Stromeyers, Friedrich Esmarch, hervor, der die Chirurgie nicht allein durch neue Methoden bereichert, sondern die schwierige Wissenschaft in Deutschland so volksthümlich wie kein anderer vor ihm gemacht hat.

Professor Friedrich von Esmarch, der Begründer der Samaritervereine, feiert am 9. Januar seinen 70. Geburtstag. Viele Glückwünsche empfängt er wohl an diesem Tage, Glückwünsche von Verehrern und Schülern. Aber noch eine große Schar denkt seiner gewiß mit dankbarem Herzen. Es sind die vielen, die in schweren plötzlichen Unglücksfällen von den deutschen Samaritern rasche zweckgemäße Hilfeleistung erfuhren und so der Familie, dem Vaterland gerettet wurden.

Friedrich Esmarch erblickte zu Tönning in der Landschaft Eiderstedt am 9. Januar 1823 das Licht der Welt. Er studierte in Kiel und Göttingen Medizin und wirkte bereits im Jahre 1846 als Assistent Langenbecks im chirurgischen Hospitale zu Kiel. Als damals über Schleswig-Holstein jene schweren Zeiten des Kampfes um die Unabhängigkeit hereinbrachen, da schloß sich auch Esmarch der vaterländischen Bewegung an und tratim Jahre 1848 als Offizier in das Turnercorps ein, wirkte aber später als Militärarzt und machte in der Nähe Stromeyers die Feldzüge bis zum Jahre 1850 mit.

Die Ruhe des Waffenstillstandes von 1849 hatte er benutzt, um sich an der Kieler Universität zu habilitieren, allein die siegreichen Dänen straften den rührigen Privatdocenten, indem sie ihn für ein Semester suspendierten. Trotzdem wurde der Gemaßregelte schon im Jahre 1854 zum Direktor der chirurgischen Klinik und im Jahre 1857 zum ordentlichen Professor der Chirurgie ernannt.

Seit jener Zeit hat Esmarch weit über die Grenzen seiner engeren Heimath hinaus gewirkt und namentlich die Kriegschirurgie in hohem Maße gefördert; seit Jahrzehnten ist er einer der eifrigsten und siegreichsten Führer der Menschheit „in dem Kampfe der Humanität gegen die Schrecken des Kriegs“. In diesem Kampfe steht ihm als seine zweite Gemahlin seit 1872 eine Fürstentochter seines Heimathlandes, die Prinzessin Henriette von Schleswig-Holstein-Sonderburg Augustenburg, treu zur Seite.

Die größte der Neuerungen, mit welchen er die Wissenschaft bereichert hat, ist sicher die sogenannte „künstliche Blutleere“, die er Anfangs der siebziger Jahre für Operationen an den Gliedmaßen empfohlen hat. Das Glied, an welchem operiert werden soll, wird dabei von der Peripherie aus mit einer elastischen Binde umwickelt; dadurch wird es blutleer, da die Binde das Blut nach dem übrigen Körper zurückdrängt. Am oberen Ende der Binde wird darauf das Glied durch einen Gummischlauch zusammengeschnürt. Wird nun die Binde abgenommen so bleibt das gegen den Körper zu fest abgeschnürte Glied blutleer, der Kranke verliert während der Operation so gut wie gar kein Blut, der Arzt kann die durchgeschnittenen Blutgefäße mit Ruhe und Sorgfalt unterbinden.

Friedrich von Esmarch hat indessen, wie schon berührt, seine gemeinnützige Thätigkeit nicht auf die Säle der chirurgischen Klinik beschränkt. Er trat hinaus unter das Volk und bemühte sich, die wahren Grundsätze der Chirurgie in den weitesten Schichten zu verbreiten. Wie oft überraschen uns Unglücksfälle, Verletzungen, und zumeist ist kein Arzt zur Stelle, das Blut entrinnt den verletzten Adern, mit ihm entflieht das

Leben! In solchen und ähnlichen Fällen soll auch der Laie die erste

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_035.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2020)