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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Freie Bahn!
Roman von E. Werner.
(2. Fortsetzung.)


Dernburg und Egbert Runeck waren allein. Der erstere hatte sich niedergesetzt und die Zeichnungen der Radefelder Leitung wieder zur Hand genommen, die er noch einmal durchmusterte.

„Ich habe Deinen Plan zur Ausführung bestimmt, Egbert,“ sagte er. „Er ist der beste von allen, die mir vorliegen, und löst sämmtliche Schwierigkeiten in überraschender Weise. Gegen einzelnes habe ich noch Bedenken, Du wirst einige Aenderungen vornehmen müssen, im großen und ganzen aber ist der Plan vortrefflich, und die Arbeiten sollen sofort beginnen. Willst Du die Oberleitung übernehmen? Ich stelle es Dir frei.“

Der junge Ingenieur schien überrascht zu sein, er mochte wohl eine andere Einleitung erwartet haben; in seinen Zügen malte sich unverkennbare Genugthuung über diese Anerkennung von seiten des Chefs, der sonst mit seinem Lobe sparsam zu sein pflegte.

„Sehr gern,“ entgegnete er, „aber soviel ich weiß, hat der Herr Oberingenieur die Sache bereits in Händen.“

„Wenn ich es jetzt anders bestimme, so hat der Oberingenieur sich zu fügen,“ erklärte Dernburg mit Nachdruck. „Es hängt nur von Dir ab, ob Du die Ausführung Deines Plans selbst übernehmen willst, und in dieser Beziehung haben wir allerdings noch etwas anderes zu besprechen, das erst geklärt werden muß.“

Er hatte bis jetzt im ruhigen Geschäftston gesprochen, aber Egbert war hinlänglich vorbereitet – er wußte, was nun zur Sprache kommen sollte, doch er scheute es offenbar nicht. Die flüchtige Milde, die er vorhin im Gespräch mit Erich gezeigt hatte, war längst wieder verschwunden, und das Starre, Trotzige in seiner Haltung trat unverhüllt hervor, als er den finsteren Blick seines Chefs jetzt fest erwiderte.

„Ich habe es längst bemerkt, daß Du als ein ganz anderer zurückgekommen bist,“ hob Dernburg wieder an. „Das ist in mancher Hinsicht selbstverständlich. Du warst drei Jahre in Berlin, zwei Jahre in England, da erweitert sich der Gesichtskreis, und ich selbst habe Dich ja in die Welt hinaus geschickt, damit Du sehen und urtheilen lerntest. Jetzt aber sind mir Dinge zu Ohren gekommen, über die ich Dich doch um nähere Auskunft ersuchen möchte. Ich liebe die langen Umschweife nicht, also kurz und klar: ist es wahr, daß Du mit den Sozialdemokraten in der Stadt regelmäßig verkehrst, daß sie Dich öffentlich für einen der Ihrigen ausgeben, daß Du zu ihrem Führer, dem Landsfeld, in den allervertrautesten Beziehungen stehst? Ja oder nein?“

„Ja,“ sagte Egbert einfach.

Dernburg schien ein so rückhaltloses Zugeständniß denn doch nicht erwartet zu haben. Seine Stirn furchte sich noch tiefer.

„Also wirklich! Und das sagst Du mir so ruhig ins Gesicht?“

„Soll ich die Wahrheit ableugnen?“

„Und seit wann bist Du Mitglied der Partei?“

„Seit vier Jahren.“

„In Berlin also hat die Sache angefangen, ich dachte es mir. Und Du hast Dich wirklich umgarnen lassen? Freilich, Du warst damals noch sehr jung und unerfahren, aber ich hätte Dich doch für klüger gehalten.“

Man sah es dem jungen Manne an, daß die Art, wie er zur Rede gestellt wurde, ihn verletzte. Ruhig, aber mit scharfer Betonung entgegnete er: „Das sind Ihre Ansichten, Herr Dernburg; ich bedaure, daß die meinigen davon abweichen.“

„Und darum habe ich mich nicht zu kümmern, meinst Du?“ ergänzte Dernburg. „Da bist Du doch im Irrthum, Ich kümmere mich um die politischen Ansichten meiner Beamten. Allein ich lasse mich nicht zu Auseinandersetzungen mit ihnen herbei, sondern schicke ihnen in solchem Falle einfach die Entlassung zu. Wem es hier in Odensberg nicht gefällt, der mag gehen, ich halte keinen; wer aber bleibt, hat sich unbedingt zu fügen. Entweder – oder! Ein Drittes giebt es hier nicht.“

„So werde ich wohl dies ‚Oder‘ wählen müssen,“ sagte Egbert kalt.

„Wird es Dir so leicht, uns zu verlassen?“

Der junge Mann sah finster vor sich nieder.

„Ich bin in Ihrer Schuld, Herr Dernburg, ich weiß es –“

„Das bist Du nicht! Wenn ich Dir Erziehung und Ausbildung gewährte, so hast Du mir dafür meinen Erich gerettet, ohne Dich hätte ich den einzigen Sohn verloren! In dem Punkte sind wir quitt, wenn wir uns denn doch einmal auf den reinen Geschäftsstandpunkt stellen wollen. Ziehst Du das vor, so sage es offen heraus, dann sind wir zu Ende!“

„Sie thun mir unrecht,“ sagte Runeck mit unterdrückter Bewegung. „Es wird mir schwer genug, Ihnen so gegenüberzutreten.“

„Nun, wer zwingt Dich denn dazu? Doch nur die unsinnigen Ideen, in welche Du Dich verrannt hast! Denkst Du, es wird mir leicht, Dich zu verlieren? Nimm Vernunft an, Egbert! Es ist nicht der Chef, welcher zu Dir spricht, der hätte längst ein Ende gemacht! Du aber bist jahrelang fast ein Kind meines Hauses gewesen.“

Der halb väterliche, halb gebieterische Ton verfehlte seinen Eindruck vollständig. Der junge Ingenieur hob mit trotzigem Selbstbewußtsein das Haupt, als er antwortete: „Ich habe mich eben ‚verrannt‘ in die ‚unsinnigen Ideen‘ und bleibe dabei. Es kommt eine Zeit, wo auch die Kinder mündig werden, und ich bin es geworden da draußen in der Welt, ich kann nicht zurück in die Unmündigkeit des Knaben. Was Sie von dem Ingenieur, dem Beamten verlangen, das will ich leisten mit meiner besten Kraft. Die blinde Unterwerfung, die Sie auch vom Menschen fordern, kann und will ich nicht auf mich nehmen. Ich muß freie Bahn haben im Leben.“

„Die hast Du also bei mir nicht?“ fragte Dernburg in gereiztem Tone.

„Nein!“ sagte Egbert fest, „Sie sind ein Vater Ihrer Untergebenen, so lange diese sich unbedingt fügen, aber man kennt in Odensberg nur ein Gesetz – Ihren Willen. Der Direktor beugt sich ihm ebenso bedingungslos wie der letzte Arbeiter, eine eigene freie Meinung giebt es nicht auf Ihren Werken und wird es nie geben, so lange Sie an der Spitze stehen.“

„Das sind ja recht schöne Dinge, die Du mir da anzuhören giebst,“ brauste Dernburg auf, „Du sagst es mir unverblümt, daß ich ein Tyrann bin. Freilich, Du hast Dir von jeher mehr herausnehmen dürfen als die anderen zusammen, hast es auch redlich gethan, Du warst nie der willenlos Gehorchende, und von Dir verlangte ich es auch nicht, denn – doch davon sprechen wir später. ‚Freie Bahn‘! Das ist wieder eins Eurer Schlagworte. Bei Euch soll ja alles nieder, alles, dann habt Ihr freie Bahn – zum Abgrund!“

Er hatte sich erhoben und schritt, wie um sich zur Ruhe zu zwingen, einigemal auf und nieder; jetzt blieb er vor dem jungen Manne stehen und sagte mit bitterem Hohne: „Du scheinst trotz Deiner Jugend schon eine recht bedeutende Rolle in Deiner ‚Partei‘ zu spielen. Man verhehlt es nicht, daß man die größten Hoffnungen auf Dich setzt und in Dir einen der zukünftigen Führer sieht. Die Herren sind gar nicht so unklug, sie kennen ihre Leute, und mit Geringerem hätten sie Dich auch nicht geködert.“

„Herr Dernburg!“ fuhr Runeck auf, „trauen Sie mir niedrige Berechnung zu?“

„Nein, aber Ehrgeiz!“ sagte der ältere Mann kalt. „Du magst es selbst noch nicht wissen, was Dich in jene Reihen getrieben hat, ich will es Dir sagen: ein tüchtiger Ingenieur sein und sich allmählich zum Oberingenieur heraufarbeiten, das ist eine ehrenhafte Laufbahn, aber viel zu bescheiden für eine Natur wie die Deinige. Tausende mit einem Worte, einem Winke leiten, im Reichstag zündende Reden hinausschleudern, die das ganze Land hört, als Führer auf den Schild gehoben werden, das ist Macht, das reizt Dich. Widersprich nicht, Egbert, ich sehe mit meiner Erfahrung weiter als Du – in zehn Jahren wollen wir uns wieder sprechen!“

Ob die Worte trafen oder nicht, ließ sich nicht entscheiden; Runeck stand mit finsterer Stirn und zusammenpreßten Lippen da, aber er erwiderte keine Silbe.

„Nun, mein Odensberg werdet Ihr mir wohl einstweilen noch lassen müssen,“ hob Dernburg wieder an. „Hier bin ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_038.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)