Seite:Die Gartenlaube (1893) 050.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Trina strich ihr sanft über das Haar. „Laß’ man, Kind!“ tröstete sie und dann fuhr sie zu Herbert gewendet fort: „Ihren Burß sagt, daß Sie einen guten Herrn sünd. Ich will für uns’ lütt Hilde hoffen, daß dar was an is. Dann wissen Sie woll auch, was Sie zu thun haben. Bis dahin will ich gern ein huschen töben[1] un Frau Jaspersen nix von Ihre Extravisiten erzählen, wenn Sie das angenehmer is.“

Der Offizier sah ein, daß irgend eine Verstellung hier keinen Zweck mehr habe. Die unheimliche Trina war zweifellos Zeugin des Stelldicheins gewesen. Wollte er nicht alles aufs Spiel setzen, so mußte er seinen Stolz in Demuth vor der alten Magd beugen und sie zu beruhigen suchen.

Er sprang auf, faßte sie vertraulich unter den Arm und zog die Widerstrebende ein Stück mit sich fort.

„Seien Sie gut, Trina!“ sagte er leise. „Ich heirathe ja Hilde, aber kein Mensch darf es noch wissen – sie selbst sogar nicht! Sonst kann alles schief gehen.“

Trina schaute ihn unsicher an. Allein Herbert, der in diesem Augenblick, wo ihm außer Hilde die ganze Welt nichts galt, selber an die Wahrheit seiner Worte glaubte, machte eine so ernste überzeugende Miene, daß die Schwankende wirklich Vertrauen gewann.

„Schön, Herr Leutenant! Is dat so, heff ick vörlöpig nix sehn, denn nehmen Se mi man nix för ungot!“ entgegnete sie mit gedämpfter Stimme.

„Es ist so! Und jetzt gehen Sie, bitte, und machen Sie Hilde nachher keine Angst. Sie wird bald nachkommen, also gehen Sie nur ruhig zu!“ Dabei drückte er ihr fest die grobe Hand, und Trina rief laut:

„Na, ick heff nu Blöm nog funn, ick will man lever nah Hus gahn. Adjüs, Herr Leutenant! Adjüs Hilde! Kumm man bald nah, wie hebbt Bookwetenpankoken[2] mit Sürup vörn Abend!“

Hilde war ebenso erleichtert wie erstaunt über den unerwarteten Abgang des Störenfrieds. „Mein Gott, Herbert, was hast Du ihr denn gesagt, daß sie sich plötzlich so freundlich zurückzieht?“

„Das bleibt Geheimniß zwischen Trina und mir, mein Schatz!“

„Aber Herbert!“ Ein leises Schmollen lag in diesem „Aber“.

„Es soll das erste und letzte Geheimniß zwischen uns sein, Hilde, und auch dieses wirst Du später erfahren.“

„Nun, da muß ich mich wohl beruhigen, obgleich ich es schrecklich gern sofort wissen möchte. Mir thut’s bloß leid, daß sich Trina so dreist gegen Dich benommen hat. Es war aber alles nur Sorge um mich, Geliebter. Und daß Du sie beruhigt hast, beruhigt auch mich. O Herbert, wenn ich an das Schöne denke, das die Zukunft bringen kann –“ Von innerem Glück überwältigt, warf sie sich an seine Brust und überließ sich abermals selbstvergessen seiner Zärtlichkeit. Dann riß sie sich hastig aus seinen Armen.

„Jetzt muß ich unbedingt nach Hause, Herbert! Ach, wenn ich doch immer, immer bei Dir bleiben dürfte! Ich mag gar nicht an zu Hause denken. Wenn Trina nun nicht schweigen oder Mama mir etwas anmerken würde!“

„Trina schweigt unbedingt, und Du mußt Dich ein klein wenig zusammennehmen, hörst Du! Bis an die Dorfstraße will ich Dich noch bringen –“

„Nein, nein! Es könnte uns jemand zusammen sehen. Bitte, steig’ hier gleich durch die Büsche nach dem Strand hinunter!“

„Wie ängstlich Du bist!“

„Du hast vorhin erfahren, wie vorsichtig wir sein müssen.“

„Das weiß der Himmel!“

„Wann sehen wir uns wieder, Herbert?“

„Morgen und übermorgen habe ich Wache. Also leider, leider erst in drei Tagen!“

„So spät erst? Dann mußt Du mir schreiben! Doch nein, nein – thu’s lieber nicht!“

Noch ein letztes Mal fielen sich die Liebenden um den Hals, dann flog Hilde wie der Wind davon. –

Während der Offizier zu der Landungsstelle hinabstieg, suchte er seine stürmischen Gedanken zu ordnen. Das war der glücklichste Tag seines Lebens gewesen, und doch – auch dieser hatte nicht ungetrübt sein sollen. Diese ungeschickte Küchenfee, wie sie ihn zu dem Versprechen fast gezwungen hatte! Aber wenn er es auch nicht versprochen hätte, sich dem holden Geschöpf für immer zu verbinden – war er nicht ohnehin dazu verpflichtet? Wollte er’s denn selbst anders? Bei Gott, er wollte es von ganzer Seele! Aber, aber – die Verhältnisse! Zum Henker, warum mußte er gerade einem Stand voll schroffen Kastengeistes angehören und sie eines Schulmeisters Tochter sein!

Mit solchen Erwägungen beschäftigt, war er an den Strand gelangt, wo Frettwurst ihn erwartete. Herbert reichte seinem Getreuen die Hand. „Sie sind ein zuverlässiger Kerl, Frettwurst! Ich kenne jetzt die Nadelgeschichte, verzeihe Ihnen die kleine Lüge und billige nachträglich Ihr Verhalten. Auch das Fräulein läßt Sie grüßen und sich bei Ihnen bedanken. Im übrigen bleibt, was geschehen ist und noch geschehen sollte, unter uns. Verstanden?“

Frettwurst athmete tief auf, als sei ihm eine Centnerlast von der Brust genommen, und antwortete dann mit einem so feierlichen „Zu Befehl, Herr Leutenant!“ daß es wie ein Schwur klang. Wie stolz und selig fühlte er sich. Auf der Heimfahrt schaute er seinen Herrn verstohlenerweise förmlich verliebt an, als ob nicht dieser, sondern seine Lena da hinten am Steuer säße.

*      *      *

Hilde war keine Schauspielerin. Ihre Aufregung zu verbergen, fiel ihr während der nächsten Tage unendlich schwer. Ein Glück nur, daß Trina so that, als ob sie niemals auf einer unschuldigen Blumensuche sonderbare Entdeckungen gemacht habe, und sich gegen Hilde genau so benahm wie zuvor. Die schwierigste Aufgabe aber wurde an diese gestellt, als nach zwei Tagen der Geliebte wieder im Schulhaus erschien. Ihm begegnen zu müssen, als sei er bloß ein guter Bekannter, ihn mit „Herr Lieutenant“ und dem langweiligen „Sie“ anzureden, ohne nur ein einziges Mal aus der Rolle zu fallen – das war eine Aufgabe, die fast das Unmögliche forderte. Nur in ein paar unbeobachteten Sekunden konnten sich die Augen beider Wonne und Leid der Seele anvertrauen.

„Du blühst ja heute wie rother spanischer Pfeffer, mein Kind“, sagte der Schulmeister harmlos, indem er seiner Tochter auf die Wange klopfte.

„Es ist aber auch drückend heiß“, kam Frau Jaspersen der verlegen lächelnden Hilde zu Hilfe.

„Ja wahrhaftig, so gut hat’s die Sonne in diesem Jahre noch nie gemeint!“ bestätigte Herbert in dem Bewußtsein, daß auch er sehr wohl durch Anzeichen erhöhter Temperatur auffallen könnte, und fächelte sich mit dem Taschentuch Kühlung zu.

„Na, ich dächte doch, wir hätten es schon schlimmer gehabt,“ bemerkte der Lehrer, „ich habe es heute mittag längere Zeit sogar in praller Sonne bei dem Bienenstand ausgehalten. Es ist nämlich ein Schwarm ausgeflogen, den ich von dem Birnbaum dort herunterholen und einem neuen Asyl überweisen mußte. Wollen wir die Gesellschaft betrachten, Herr Lieutenaut?“

Dieser erklärte sich gerne bereit, Hilde schloß sich an, und so fand sich die erste Gelegenheit, in aller Eile, während der Vater, an nichts Böses denkend, zum Stock hineinvisierte, den ersten Wiedersehenskuß auszutauschen.

Eine zweite Gelegenheit bot sich abends vor der Trennung. Herbert pilgerte mit der ganzen Familie Jaspersen, der er endlich seine „Bachstelze“ zeigen wollte, durch den Wald dem Strande zu. Der Schulmeister erzählte dabei, daß er am nächsten Tage die Freiheit des letzten Ferientags benutzen wolle, um mit seiner Frau in einem Dorfe mehrere Meilen landeinwärts einen befreundeten Amtsgenossen zu besuchen, und Hilde setzte lachend hinzu, sie für ihren Theil habe sich die Erlaubniß erbeten, daheimbleiben zu dürfen; sie trage ganz und gar kein Verlangen danach, die über die Maßen langweiligen Unterhaltungskünste dieser Bekannten einen ganzen Tag lang bis spät abends zu genießen.

Mittlerweile war man an einer Biegung des Weges angelangt, und Herbert, der an Hildes Seite ging, blieb mit dieser ein wenig hinter den voranschreitenden Eltern zurück. Flugs hatte auch der kleine geflügelte Herr mit den gefährlichen Pfeilen dem Pärchen einen ehrwürdigen hundertjährigen Buchenstamm gewiesen, hinter dem Herbert die Geliebte ans Herz schließen konnte.

„Das trifft sich morgen ausgezeichnet, Hilde!“ flüsterte er hastig. „Ich hole Dich mit der ‚Bachstelze‘ ab – gegen drei Uhr – wir treffen uns auf der Strandhöhe! Du darfst mir keinen Korb geben, Schatz! Wer weiß, wann wir wieder einen halben Tag für uns erobern können!“

„Aber Herbert, wenn uns jemand sieht!“

  1. warten.
  2. Bucchweizenpfannkuchen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_050.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2020)