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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Die Seitenflügel laufen nach vorn in zwei großartigen Thorbauten aus. Die Komposition dieser Thore ist ein höchst gelungener Wurf. Sie schmiegt sich innig an die Architektur des gegenüberliegenden gewaltigen Schloßportals an, das von Eosander von Göthe herrührt. Bei der Enge der zwischen dem Schloß und dem Denkmalsbau verlaufenden Straße - der sogenannten Schloßfreiheit - bestand das Problem darin: Wie ist die Denkmalsanlage mit der übermächtigen Eosanderschen Schloßfassade so in Uebereinstimmung zu bringen, daß sie von dieser nicht erdrückt wird und, mit ihr verbunden, gleichsam ein architektonisches Ganzes bildet?

Für die Denkmalsanlage ließ sich im Verhältniß zum Schloß die nöthige Wucht durch annähernd gleiche Größenmaße gewinnen. Und in der That wird das Standbild bis zur Helmspitze eine Hohe von 21 Metern, das ist die Höhe des Schloßgesimses, erreichen, und die umgebende Architektur wird 11 Meter hoch, 80 Meter breit und 45 Meter tief. Das sind ganz gewaltige Maße! Die Einheit jedoch in der Gesammtarchitektur der Schloßfreiheit wird durch die beiden Begas’schen Thorbauten aufs glücklichste hergestellt. Wie das Portal Eosanders von Göthe, so sind auch die beiden Begas’schen Säulenthore im reichen Zopfstil gehalten. Posaunenengel flankieren sie, und über diesen schwebt die Kaiserkrone.

Ueber den Seitenflügeln erblickt der Beschauer Viergespanne, demjenigen vergleichbar, das auf dem Brandenburger Thore thront. Die Lenkerinnen dieser Gespanne, Viktorien, tragen halbentrollte Fahnen in der zügelfreien Hand. Allegorische Figuren krönen die hinteren Enden der Seitenflügel, ragende Embleme (Adler etc.) die beiden Enden des Mittelflügels. Eine galerieartige Brüstung schließt in der oberen Linie die Säulenhalle ab.

Die Säulenhalle selbst, der Wandelgang, besteht aus gekuppelten Doppelsäulen. Zu beiden Seiten der Thorhallen, sowie auch an passenden Stellen zwischen den Säulen, insbesondere in den vorspringenden Eckbogen, sind Postamente von noch unbestimmter Anzahl vorgesehen, auf denen die Paladine und Mitarbeiter des Kaisers Wilhelm in 4 Meter hohen Standbildern Aufstellung finden sollen. Welche Persönlichkeiten hierfür ausgesucht werden, steht noch dahin, das heißt beim Kaiser. Sie sollen nicht ebenfalls von Begas gemacht, sondern an mehrere andere namhafte Bildhauer in Auftrag gegeben werden.

Außer diesen Standbildern, die Kaiser Wilhelms hervorragendste Helfer darstellen sollen, sind in der Säulenhalle noch zahlreiche Hermen in Aussicht genommen. Sie sollen die Büsten minder berühmter Schwerteshelden tragen, und unter diese sollen sich dann auch die friedlicheren Züge einiger Geisteshelden aus der Aera Wilhelms I. mischen. Endlich ist in der Säulenhalle noch der Platz für zwei größere Reiterreliefs vorgesehen.

Die Rück-, das heißt die Wasserseite der Anlage wird mit mehreren allegorischen Figuren, Emblemen, Trophäen etc. geschmückt werden, über die jedoch sammt und sonders noch keine endgültige Bestimmung getroffen ist. Ueberhaupt stehen zahlreiche Einzelheiten noch nicht fest, und mit dem Wasser, das bis zur endlichen Ausführung des Denkmals die Spree hinunterlaufen wird, mag noch manche Figur, manche Arabeske, manches Sinnbild verrinnen, um neuen Platz zu machen.

Die Figuren der Denkmalsanlage, die Posaunenengel der Portale ausgenommen, sollen nach dem vorläufigen Plane sämmtlich in Bronze ausgeführt werden, der Säulenbau in Sandstein, die Plattform in Steinmosaik.

Von der Plattform führen sieben langläufige Stufen auf die Straße herab.

Unser erstes Bild auf S. 37 giebt das eigentliche Denkmal, ein wenig von der Seite gesehen, unser zweites auf S. 48 und 49 die gesammte Anlage, gesehen von einem Beschauer, der vom Lustgarten herkommt und die Schloßfreiheit herunter auf das Denkmal zuwandelt.

Die Kraft des Eises. Daß man im Winter eine verschlossene Glasflasche sprengen kann, wenn man sie mit Wasser füllt und ausfrieren läßt, ist eine sehr bekannte Erscheinung. Ja, die Kraftentfaltung des gefrierenden Wassers ist eine so ungeheure, daß man Kanonen, gewaltige Felsmassen damit zu sprengen vermag.

Die Gründe für diese Erscheinung liegen in einer besonderen Stellung, die gerade das Wasser unter den Körpern in Bezug auf sein physikalisches Verhalten einnimmt.

Im allgemeinen gilt das bekannte Gesetz, daß die Körper sich durch Wärme ausdehnen, durch Kälte zusammenziehen. Schon darin verhält sich das Wasser anders.

Wenn man Wasser von 9. Grad C. in einem gemessenen und mit Maßzeichen versehenen Gefäß allmählich abkühlen läßt, so wird man zunächst in Uebereinstimmung mit dem, was man erwartete, beobachten, daß es sich zusammenzieht. Bei 4 Grad C. aber hat es seine höchste Dichte und damit sein höchstes spezifisches Gewicht erreicht. Von 4 bis 0 Grad dehnt es sich wieder aus und nimmt zuletzt dasselbe Volumen ein wie bei 9 Grad.

Aber eine noch größere Ueberraschung bietet das Wasser beim Gefrieren. Für gewöhnlich nehmen die Körper, wenn sie aus dem flüssigen, geschmolzenen Zustand in den festen übergehen, in dem letzteren einen geringeren Raum ein, werden also schwerer. Das Wasser dagegen zieht sich nicht zusammen, wenn es gefriert, sondern es dehnt sich aus und entfaltet bei dieser Ausdehnung eben jene ungeheure Kraft, von der die oben erwähnten Beispiele Zeugniß ablegen. In der Natur ist diese Eigenschaft des Wassers von der größten Wichtigkeit. - Da das Eis einen größeren Raum einnimmt als ein gleiches Gewicht Wasser, also spezifisch leichter ist, so schwimmt es auf dem Wasser; deshalb gefrieren auch unsere Gewässer von oben nach unten. Wäre das Umgekehrte der Fall, so würden viele Gewässer in kalten Wintern vollständig ausfrieren und an die Fortexistenz einer Thierwelt im Wasser wäre nicht zu denken.

Honorar für Sprüche. Hinter dem Urwalde von Kamerun, an der Grenze des Sudan, erstreckt sich ein an Elfenbein reiches Gebiet. In diesem herrscht ein Häuptling Namens Ngilla, der bereits von der mohammedanischen Kultur beleckt ist. Zu ihm kommen Händler aus fernen Ländern, kommen mit Perlen und Stoffe, um das Elfenbein billig einzukaufen. Sie erhalten dort um den Werth von 5 Pfennig einen Zahn, der an der Küste um 450 Mark zu verkaufen ist, und darum rühmen sie das Land; denn „zu Ngilla braucht man nur einmal im Leben zu kommen, um ein reicher Mann zu werden!“ Die schönsten und meisten Zähne besaß dort in den letzten Jahren, als Premierlieutenant C. Morgen das Land besuchte, ein Mann, der weder Perlen noch Zeuge, sondern nur Papier, Feder und Tinte führte. Er war ein Oberpriester vom fernen Nigerstrome, schrieb kurze Koransprüche auf Stücke Papier, nähte sie in Ledertaschen und verkaufte sie als Amulette an die Gläubigen. Das Honorar, das er für diese Leistungen forderte, war ungemein hoch, aber er wußte seine Forderung durchzusetzen. Als Häuptling Ngilla einen solchen Talisman einmal billiger haben wollte, erwiderte der schlaue Oberpriester: „Herr, mir ist es gleich, ob Du mir einen größeren oder einen kleineren Zahn gibst, aber nicht so Allah: wenn Du seine heiligen Worte nicht so hoch anschlägst, wird er Dich weniger gut beschützen.“ Dies wirkte. Oberpriester Mahomet machte glänzende Geschäfte; denn die Talismane waren sehr begehrt und erst nach einer anständigen Bezahlung übten sie ihre Wirkung.

Ein Stückchen Unendlichkeit, durch drei Ziffern dargestellt. Wie groß ist die größte Zahl, die man durch drei einfache Ziffern ohne Zuhilfenahme von Klammern oder andern graphischen Zeichen darstellen kann?

Nun, was ist einfacher als das? werden unsere Leser denken. Die höchste derartige Zahl ist doch wohl 999, denn 9 ist der größte Zifferwerth der Einheiten in unserm Zahlensystem, und dieser, dreimal nebeneinander gestellt, wird naturgemäß den größten, mit drei Ziffern darstellbaren Werth ergeben.

Weit gefehlt!

Man könnte nämlich die Ziffern auch so schreiben: 999; das heißt in der mathematischen Ausdrucksweise „99 zur neunten Potenz“ oder man soll 99 mit sich selbst multiplizieren, das Ergebnis wieder mit 99 und so fort, bis 99 neun Mal als Faktor aufgetreten ist.

Die Ausführung dieser Rechnung liefert die ganz respektable Zahl von rund 913574 Billionen.

Schreiben wir aber 999, so heißt das, dem Gesagten entsprechend, man soll die Zahl 9 in derselben Weise 99 Mal als Faktor setzen. Das liefert aber eine Größe, die der menschlichen Vorstellung vollständig unzugänglich ist, denn in runder Zahl sind’s 29512 Quindecillionen, also rund die Zahl 29512 mit dahinter stehenden 90 Nullen, wobei wir der Einfachheit halber die Null an die Stelle der wirklichen Zahlen einführen.

Worüber soll man sich mehr wundern, über die Große der Zahl oder über die Einfachheit ihrer Darstellung mit den drei Ziffern?

Aber ein Versuch, sich die Größe der Zahl 999 vorzustellen wird ja doch gestattet sein.

Ein Kubikmeter ist eine recht greifbare Größe, man reicht ganz bequem mit ausgestreckten Armen von einer Kante desselben zur andern, vom Boden bis zur obern Fläche; er ist nur einen Meter lang, einen Meter breit und einen Meter hoch; eine Packkiste von einem Kubikmeter Inhalt hat eine ganz geläufige Größe. Aber ein solcher Kubikmeter hat erstaunlich viele Kubikmillimeter. Wollte man aus Kubikmillimetern, von denen einer nach dem andern – in jeder Minute 60 Stück – eingezählt und angeschoben würde, einen Kubikmeter aufbauen, so wäre das eine recht mühsame und langwierige Arbeit.

Nehmen wir an, zwei Knaben von 14 Jahren machten sich an diese Aufgabe und beide arbeiteten Tag für Tag 10 Stunden und legten unverdrossen in jeder Minute ihre 60 Kubikmillimeterchen zu, so werden sie ziemlich genau in ihrem sechzigsten Lebensjahre mit der Aufgabe fertig. Sie haben dann tausend Millionen Kubikmillimeter – eine Milliarde – zusammengelegt.

Aber nun noch einen Schritt weiter!

Es ist ja heutigen Tages nicht mehr schwer, die Welt zu umreisen. Mit Hilfe der Lokomotive und des Dampfschiffes ist das schon in sieben bis acht Wochen zu ermöglichen. Allerdings bekommt man bei dieser Art zu reisen kaum eine Vorstellung, wie gar weit die Welt ist. Eher würde das einem Fußgänger zum Bewußtsein kommen der – einen glatten Fußweg um die Erde vorausgesetzt – sich auf die Wanderschaft macht, und der, wenn er täglich 40 Kilometer zurücklegt, von seiner Reise um die Welt nach drei Jahren und vier Monaten in seiner Heimath wieder anlangt.

Eine kurze Rechnung ergiebt, daß die Erdkugel viele, viele Kubikmeter faßt, in runder Summe 1083 Trillionen. Denken wir uns die ganze Erdkugel aus Kubikmillimeterchen zusammengesetzt, so würden von diesen rund eine Quintillion erforderlich sein. Das reicht aber noch lange nicht an den Werth 999.

Wir wollen keine langen Umschweife machen und nur noch ein Beispiel anführen:

Die Entfernung der Erde von der Sonne beträgt rund 148 670 000 000 Meter. Stellen wir uns vor, die Bahn der Erde um die Sonne bilde die Grundlage für eine Kugel, die sich unendlich hoch über und unter diesem großen Kreise wölbt, so würde eine solche Kugel bei weitem noch nicht 999 Kubikmillimeter enthalten. Man müßte solcher Kugeln rund 2170 Octillionen nehmen, um die angegebene Zahl von Kubikmillimetern zu erhalten. –

Also kurz gesagt: eine für uns ganz unfaßbare Größe und dazu noch unfaßbar oft genommen – und das wird alles ausgedrückt durch die drei unscheinbaren Ziffern 999. H.     


Inhalt: Freie Bahn! Roman von E. Werner (2. Fortsetzung). S. 38. – In höchster Noth. Bild. S. 40 und 41. – Das Mittagsschläfchen. Von W. Berdrow. S. 43. – Wie Du mir – So ich Dir! Bilder. S. 44 und 45. – Die Wanderzeichen der Zigeuner. Von Eduard Schulte. S. 46. – Auf Geben und Nehmen. Novelle von Johannes WIlda (2. Fortsetzung). S. 47. – Blätter und Blüthen: Der neueste Begas’sche Entwurf des Nationaldenkmals für Kaiser Wilhelm I. in Berlin. S. 51. (Mit Abbildngen S. 37, 48 und 49.) – Die Kraft des Eises. S. 52. – Honorar für Sprüche. S. 52. – Ein Stückchen Unendlichkeit, durch drei Ziffern dargestellt. S. 52.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner.0 Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.0 Druck von A. Wiede in Leipzig.
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