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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Um Fräulein Leonies Lippen spielte ein unverkennbares Spottlächeln, als sie erwiderte: „In dem Falle hatte Ihre Frau Schwägerin aber unzweifelhaft recht. Der Name Peter hat wirklich nicht nur die Poesie gegen sich.“

„Was haben Sie denn daran auszusetzen?“ rief der Doktor ärgerlich, indem er sich kampfbereit aufrichtete. „Peter ist ein guter Name, ein berühmter Name, ein biblischer Name. Ich dächte, der Apostel Petrus wäre ein tüchtiger Mann gewesen.“

„Nun, von dem Apostel haben Sie wohl nur das Streitbare – sonst nichts,“ bemerkte Leonie. „Also, Herr Dagobert, ich erwarte Sie morgen nachmittag, da wollen wir zunächst die Zeit und den Plan für den Unterricht festsetzen.“

Der schüchterne Dagobert schien sehr angenehm berührt von dieser Freundlichkeit und begann eben wieder zu versichern, daß er sich ganz außerordentlich freue und so weiter, als sein Onkel in höchst ungnädiger Stimmung dazwischenfuhr. „Wir haben das Fräulein nun aber lange genug aufgehalten. Komm’, Dagobert, sonst gerathen wir noch als ungebetene Gäste in den Familienempfang!“

Damit verabschiedete er sich samt seinem Neffen. Als sie die Treppe hinunterstiegen, erlaubte sich dieser die Bemerkung:

„Fräulein Friedberg ist eine sehr liebenswürdige Dame.“

„Aber nervös und überspannt,“ brummte Hagenbach, „Kann den Namen Peter nicht leiden! Warum kann sie ihn nicht leiden? Hätten Dich Deine verehrten Eltern Peter getauft, so wäre ein anderer Kerl aus Dir geworden! So aber siehst Du aus wie ein bleichsüchtiges Mädchen, das aus Versehen Dagobert genannt wurde!“ Er legte einen sehr verächtlichen Nachdruck auf den Namen.

Sie hatten inzwischen das Haus verlassen und traten jetzt auf die Terrasse hinaus, wo ihnen Egbert Runeck begegnete. Der Doktor wollte mit einem kurzen, sehr gemessenen Gruße an ihm vorüberschreiten, aber der junge Ingenieur blieb stehen und sagte:

„Ich war eben in Ihrer Wohnung, Herr Doktor, um Ihre Hilfe zu erbitten. Einer meiner Leute hat bei den Sprengarbeiten durch eigene Unvorsichtigkeit eine Verletzung davongetragen. Sie ist nicht gefährlich, so viel ich beurtheilen kann, aber es wird doch ärztlicher Beistand nöthig sein, Ich habe ihn mit nach Odensberg gebracht und im Krankenhaus gelassen, ich darf ihn wohl Ihrer Fürsorge empfehlen.“

„Ich werde sofort nach ihm sehen,“ entgegnete Hagenbach. „Sie wollen nach dem Herrenhaus, Herr Runeck? Man erwartet dort gerade jetzt die Herrschaften aus Nizza, und Herr Dernburg wird kaum –“

„Ich weiß,“ unterbrach ihn Runeck, „ich komme eben deswegen von Radefeld herein. Guten Morgen, Herr Doktor!“

Er grüßte und ging; Hagenbach sah ihm nach, stieß seinen Stock auf den Boden und sagte halblaut: „Das ist stark!“

„Hast Du es gesehen, Onkel, er trug unter dem Ueberrock den Gesellschaftsanzug,“ bemerkte Dagobert. „Er ist eigens eingeladen.“

„Das scheint wirklich so!“ brach der Doktor grimmig los. „Eingeladen bei diesem Empfang, den man ausgesprochenermaßen nur auf den engsten Familienkreis beschränken will – das sind ja merkwürdige Zustände hier in Odensberg!“

„Und ganz Odensberg spricht auch schon darüber,“ sagte Dagobert leise, sich vorsichtig umsehend. „Es ist nur eine Stimme des Tadelns und Bedauerns über diese unglaubliche Schwäche des Herrn Dernburg für –“

„Gelbschnabel, was weißt denn Du davon!“ fuhr der Doktor auf. „In Odensberg tadelt man weder den Chef noch bedauert man ihn – man gehorcht ihm einfach. Herr Dernburg weiß immer, was er will, und hier wird er es wohl erst recht wissen, wenn ihm sein Günstling nicht zufällig einen Strich durch die Rechnung macht. Der setzt auch einen Trumpf auf seinen Willen, gerade wie sein Herr und Meister, und wenn Stahl und Stein zusammen kommen, giebt es Funken. Aber nun mach’, daß Du nach Hause kommst, ich will erst nach dem Radefelder Arbeiter sehen.“ Damit schlug er den Weg nach dem Krankenhaus ein und entließ seinen Neffen, der offenbar froh war, als er den tyrannischen Onkel im Rücken hatte.




Runeck war in das Haus getreten und traf hier mit Fräulein Friedberg zusammen, die eben die Treppe herunterkam. Auch hier wurde sein Gruß nicht gerade zuvorkommend erwidert; das Fräulein trat dabei drei Schritte zurück und schickte einen schier hilfesuchenden Blick umher, so daß ein leises Spottlächeln auf den Lippen des jungen Ingenieurs erschien, als er sich mit der größten Artigkeit erkundigte, ob Herr Dernburg in seinem Arbeitszimmer sei.

Die Antwort wurde der Dame erspart, denn in diesem Augenblick öffnete sich die Thür und Dernburg selbst trat heraus, in Begleitung seiner Tochter, die sofort auf Runeck zueilte und ihn mit der unbefangensten Vertraulichkeit begrüßte.

„Bist Du endlich da, Egbert! Wir glaubten schon, Du würdest den Empfang versäumen, der Wagen kann jede Minute eintreffen.“

„Ich wurde durch einen Zwischenfall aufgehalten,“ versetzte Egbert, „und mußte überdies sehr langsam fahren lassen, da ich einen Verletzten bei mir hatte, sonst wäre ich längst hier.“

Er trat zu Dernburg und berichtete ihm den Vorfall, während Fräulein Leonie, die mit einem förmlichen Entsetzen diese Begrüßung des Ingenieurs durch Maja mit angesehen hatte, ihrem Zögling zuflüsterte: „Aber Maja, welch unpassende Vertraulichkeit – Sie sind doch kein Kind mehr! Wie oft habe ich Sie schon gebeten, Ihre Jahre und Ihre Stellung zu bedenken. Muß ich denn wirklich die Autorität Ihres Vaters in Anspruch nehmen?“

Maja hörte gar nicht auf die Strafpredigt, nicht die erste, die ihr in dieser Beziehung gehalten wurde, sie wartete ungeduldig, bis Runeck mit seinem Bericht fertig war. Dernburg erkundigte sich eingehend nach der Art der Verletzung und schien befriedigt, als er hörte, daß sie nicht gefährlich und der Arzt bereits benachrichtigt sei; endlich gab er Egbert frei, der sich nun zu dem jungen Mädchen wandte.

„Sie hören es, Fräulein Maja, die Verspätung war nicht meine Schuld, Sie dürfen mir nicht böse deswegen sein.“

„Sehr böse bin ich Dir, wenn Du so eigensinnig darauf bestehst, mich ‚Fräulein‘ und ‚Sie‘ zu nennen!“ rief Maja schmollend. „Du hast das während unseres ganzen letzten Zusammenseins gethan, aber ich leide es nicht, hörst Du, Egbert, ich leide es nicht!“

Sie trat sehr nachdrücklich mit dem Füßchen auf und nahm eine allerliebste zornige Miene an. Fräulein Leonie schickte einen entsetzten Blick zu dem Hausherrn hinüber – es war die höchste Zeit, daß seine Autorität eintrat, wo die ihrige so vollständig versagte. Aber Dernburg schien ihre Empörung durchaus nicht zu theilen, denn er sagte mit voller Gelassenheit:

„Nun, wenn Maja durchaus darauf besteht, so thu’ ihr den Willen, Egbert! Du gehörst ja doch eigentlich zur Familie.“

Leonie traute ihren Ohren nicht – die Erlaubniß erschien ihr so ungeheuerlich, daß sie sich zum Widerstand aufraffte.

„Herr Dernburg, ich meine –“

„Was, Fräulein Friedberg?“

Es war nur eine kurze, ganz ruhig ausgesprochene Frage, aber das Fräulein verlor auf der Stelle die Luft zur Fortsetzung ihres Widerspruchs und setzte schleunigst hinzu: „Ich meine, wir sollten einen Diener draußen auf der Terrasse aufstellen damit es rechtzeitig gemeldet wird, wenn der Wagen in Sicht kommt.“

„Jawohl, geben Sie nur den Befehl dazu,“ sagte Dernburg. „Aber ich denke, wir gehen jetzt hinein, Erich kann sich möglicherweise auch verspäten.“ Er schritt nach dem Salon, Maja mit ihm, aber sie wendete muthwillig den Kopf zurück.

„Sie haben es gehört, Herr Ingenieur Runeck, das ‚Du‘ ist von allerhöchster Stelle befohlen! Wirst Du nun gehorchen, Egbert, gleich auf der Stelle gehorchen?“

Es lag eine so reizende Schelmerei in ihrem Ton und Blick, daß selbst der ernste Egbert sich dem nicht entziehen konnte, er machte eine scherzhafte Verbeugung. „Wie Du befiehlst!“

Maja jubelte auf wie ein Kind vor Freude über diesen Sieg, den sie über den starrsinnigen Jugendfreund errungen hatte, und Dernburg – lächelte dazu. Es lag ein seltener Ausdruck von Zärtlichkeit in seinen strengen Zügen, als er auf das liebliche sonnige Geschöpf an seiner Seite blickte. Man sah es deutlich, daß Maja sein Liebling war. –

Die Geduld der Wartenden wurde auf keine allzu lange Probe gestellt; schon nach Verlauf einer Viertelstunde kam die Meldung, daß der Wagen in Sicht sei, und die großen Flügelthüren der Eingangshalle wurden weit zurückgeschlagen. Dort stand Dernburg mit seiner Schwester, einer alten Dame in würdevoller, etwas steifer Haltung, neben ihnen Maja, ganz Freude und Erwartung, während Egbert und Fräulein Leonie sich in den Salon zurückgezogen hatten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_055.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)