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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Jetzt nahte der Wagen, ein halbverdeckter Landauer mit einem prachtvollen Isabellengespann, und hielt auf der Terrasse. Der Diener öffnete den Schlag. Erich sprang zuerst heraus und half seiner Braut beim Aussteigen, während hinter ihnen die hohe Gestalt des Freiherrn sichtbar wurde.

Dernburg war einen Schritt vorgetreten und stand hochaufgerichtet auf der Schwelle seines Hauses. Der ganze Stolz des Bürgerthums sprach aus seiner Haltung, als er den ahnenreichen Sprößling des alten Adelsgeschlechtes empfing, das ganze Selbstbewußtsein des Mannes, der durch eigene Kraft und Arbeit emporgestiegen ist. Er war es, welcher der Baroneß Wildenrod eine Ehre erwies, wenn er sie in den Kreis seiner Familie aufnahm.

Cäcilie verneigte sich leicht mit der ihr eigenen Anmuth, als Erich sie dem Vater zuführte. Sie hatte den Schleier zurückgeschlagen und hob jetzt die Augen empor zu jenem strengen Gesicht, das ihr freilich keine Scheu einflößte. Sie kannte zu gut den Zauber, den ihre Erscheinung ausübte und der auch hier nicht versagen konnte. Jugend und Schönheit haben es immer leicht, selbst dem kalten prüfenden Alter gegenüber. Wohl ruhte Dernburgs Blick einige Sekunden lang scharf und forschend auf ihren Zügen, dann aber beugte er sich nieder und küßte ihre Stirn.

„Sei willkommen in meinem Hause, mein Kind!“ sagte er ernst, aber freundlich.

Erich athmete verstohlen auf. Mit diesen Worten war der Widerstand seines Vaters aufgegeben, Cäcilie von ihm als Tochter anerkannt und aufgenommen; sie hatte auch hier durch ihr bloßes Erscheinen gesiegt! Er empfand das mit freudigem Stolze.

Frau von Ringstedt folgte dem Beispiel ihres Bruders und empfing die junge Baroneß mit einfacher Herzlichkeit. Wildenrod begrüßte inzwischen den Hausherrn, während Maja in voller Bewunderung die schöne Schwägerin anstaunte. Sie vergaß darüber ganz den so feierlich versprochenen „Hofknix“ und flog ihr statt dessen stürmisch an den Hals mit dem Ausruf: „O, Cäcilie, ich habe nicht geglaubt, daß Du so schön bist!“

Cäcilie lächelte; so sehr sie auch an Huldigungen und Schmeicheleien gewöhnt war, dies neidlos kindliche Geständniß erfreute sie doch, und mit einer Aufwallung wirklicher Zärtlichkeit küßte sie die „kleine süße Maja, von der Erich schon so viel erzählt“.

„Sie überschütten meine Schwester mit so viel Liebenswürdigkeit, mein gnädiges Fräulein,“ sagte plötzlich eine tiefe aber klangvolle Stimme, „darf auch ich auf eine freundliche Begrüßung hoffen?“

Maja wandte sich um und schaute in ein Paar tiefer dunkler Augen, die auf ihrem Antlitz ruhten, mit einem Ausdruck, der sie seltsam, beinahe unheimlich berührte, und doch fühlte sie, daß Bewunderung darin lag. Aber es durchschauerte sie wie ein leises Grauen, wie eine ahnungsvolle Angst vor diesem Blick, und ihre Stimme hatte nicht den hellen muthwilligen Klang wie sonst, als sie halb fragend erwiderte: „Herr von Wildenrod –?“

„Oskar von Wildenrod, ja, der darum bittet, daß auch ihm die Hand zum Willkomm gereicht werde.“

Es lag ein leiser Vorwurf in den Worten. Maja hatte in der That dem neuen Verwandten noch nicht einmal die Hand gegeben; jetzt erst streckte sie zögernd, mit einer ihr sonst ganz fremden Befangenheit die Rechte aus. Wildenrod beugte sich nieder und drückte seine Lippen darauf. Es war die übliche Artigkeit, aber das junge Mädchen bebte leise bei der Berührung, während ihre Augen doch zugleich festgehalten wurden von jenem dunklen Blicke, der sie wie mit einem Banne umfing.

Dernburg bot jetzt seiner künftigen Schwiegertochter den Arm, um sie hineinzuführen. Der Freiherr trat zu Frau von Ringstedt und Maja hing sich mit einer hastigen Bewegung an den Arm ihres Bruders. Erich war in der glücklichsten Stimmung, er drückte dankbar und zärtlich die Hand der Schwester, die seine Braut mit so viel Liebe empfangen hatte.

„Also Cäcilie gefällt Dir?“ fragte er. „Habe ich Dir zu viel von ihr erzählt?“

„O nein, sie ist weit, weit schöner als ihr Bild. So habe ich mir immer die Märchenprinzessinnen vorgestellt!“

„Und wie findest Du meinen künftigen Schwager? Eine ritterliche Erscheinung, nicht wahr, obgleich er längst über die Jugend hinaus ist?“

„Ich weiß nicht,“ sagte Maja langsam. „Er hat so seltsame Augen – so tief und dunkel – beinahe unheimlich.“

„Närrchen, ich glaube, Du fürchtest Dich davor,“ scherzte Erich. „Das sieht unserer kleinen übermüthigen Maja ja gar nicht ähnlich, und Oskar wird nicht sehr erbaut sein von diesem Eindruck seiner Persönlichkeit. Aber lerne ihn nur erst besser kennen, er ist ein höchst anziehender Gesellschafter und hat eine wahrhaft blendende Unterhaltungsgabe.“

Maja antwortete nicht sogleich. Fürchten? Ja freilich, es war so etwas wie Furcht gewesen, was sie empfunden hatte, aber sie schämte sich jetzt sehr dieser kindischen Regung und sandte dem im Gespräch mit ihrer Tante voranschreitenden Freiherrn einen äußerst ungnädigen Blick nach. Ihr ganzer Muthwille kehrte zurück, und das Köpfchen zurückwerfend, rief sie lachend: „O, das Fürchten muß ich erst noch lernen wie der Held im Märchen!“

*      *      *

Das Wetter, das am Vormittag noch leidlich gewesen war, hatte sich verschlimmert. Die Berge lagen in dichtem Nebelschleier, von Zeit zu Zeit ging ein Regenguß nieder, und der Wind wühlte in den Bäumen des Parkes.

Um so traulicher war es jetzt in dem großen Salon des Herrenhauses, einem hohen weiten Raume mit dunkelrothen Tapeten und Vorhängen, geschnitzten Eichenmöbeln und einem mächtigen, mit schwarzem Marmor bekleideten Kamin. Die Farben waren etwas düster gehalten, doch durch die weiten Glasthüren, die sich auf die Terrasse öffneten, strömte das Licht voll herein. Die Wände waren nur mit wenigen aber auserlesenen Gemälden und einigen Familienbildern geschmückt. In dem Kamin loderte ein helles Feuer und der ganze Raum machte den Eindruck gediegenen Reichthums, vornehmer Behaglichkeit.

Man war soeben vom Tische aufgestanden, und die Jüngeren ließen sich in lebhaftem Geplauder am Kamin nieder; Frau von Ringstedt saß mit Fräulein Leonie auf dem Ecksofa, der Hausherr hatte sich in eine angelegentliche Unterhaltung mit Oskar von Wildenrod vertieft. Sie sprachen über die Odensberger Werke; der Freiherr verrieth nicht nur ein ungewöhnliches Interesse dafür, seine Fragen und Bemerkungen zeigten auch, daß er durchaus nicht so unbewandert auf diesem Felde war, wie Dernburg vorausgesetzt hatte, und dieser sagte soeben:

„Ich habe wirklich nicht geglaubt, daß Sie so vertraut mit solchen Dingen sind, Herr von Wildenrod. Ein Arbeitsfeld wie das unserige pflegt sonst nur für Fachleute einen Reiz zu haben. Sie scheinen es aber ziemlich genau zu kennen.“

„Ich habe manches darüber gelesen,“ versetzte Wildenrod leichthin, „Wer wie ich keinen bestimmten Beruf hat, treibt allerlei kleine Privatstudien, und ich habe von jeher eine Vorliebe für die Berg- und Hüttenkunde gehabt. Meine Kenntnisse sind allerdings nur die oberflächlichen eines Laien, aber vielleicht erlauben Sie mir, sie hier einigermaßen zu vervollständigen.“

„Ich werde Ihnen mit Vergnügen als Führer dienen,“ erklärte Dernburg. „Sie haben bei Ihrer Fahrt nur einen kleinen Theil der Werke berührt, aber hier von der Terrasse aus hat man einen ziemlich vollständigen Blick über das Ganze.“

Er öffnete eine der Glasthüren und trat mit seinem Gaste hinaus. Der Nebel war noch nicht gewichen, allein die Werke, die sich bis an den Fuß der Waldberge hin erstreckten, und das tausendfache Leben, das sich dort regte und bis zu dem Herrenhause herüberdrang, verloren darum nichts von ihrer Großartigkeit, die einem Fremden wohl überwältigend erscheinen mochte. Auch der Freiherr schien diesen Eindruck zu haben, seine Augen schweiften langsam von einem Ende des Thales zum andern, während er bemerkte: „Eine mächtige Schöpfung, dies Odensberg! Das ist ja eine förmliche Stadt, die Sie hier in der Berg- und Waldeinsamkeit haben erstehen lassen. Diese riesigen Gebäude, die hier im Mittelpunkte aufragen, sind –?“

„Die Walzwerke und die Gießereien; dort, weiter hinten, liegen die Hochöfen.“

„Und jene Anlage zur Rechten, die beinahe wie eine Villenkolonie aussieht?“

„Das sind die Wohnungen meiner Beamten – die Häuser der Arbeiter liegen auf der anderen Seite. Ich habe die Leute freilich nur zum kleinsten Theil in Odensberg selbst unterbringen können, die meisten wohnen in den benachbarten Dörfern.“

„Ich weiß, Erich zeigte sie mir auf der Fahrt. Wie viel Arbeiter beschäftigen Sie denn eigentlich, Herr Dernburg?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_056.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)