Seite:Die Gartenlaube (1893) 058.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


„Neuntausend hier auf den Werken; die Erzgruben in den Bergen haben ihre eigene Arbeiterschaft und ihre eigenen Beamten.“

Wildenrod sah den Mann an, der mit so vollkommener Gelassenheit und augenscheinlich ganz absichtslos vor ihm das Bild einer Macht und eines Reichthums entrollte, bei dem es einem anderen schwindelte. Jede einzelne dieser Gruben und Hütten, deren er so ganz nebenbei erwähnte, stellte ein Vermögen dar; von seinen anderen Gütern, die zu den einträglichsten der Provinz gehörten, sprach er gar nicht einmal. Und dabei lag in seinen Worten auch nicht die leiseste Spur von Prahlerei, er gab einfach eine erbetene Auskunft, nichts weiter. Der Freiherr lehnte sich an die steinerne Brüstung und blickte wieder hinaus, dann sagte er langsam: „Ich habe durch Erich und andere schon viel von Ihrem Odensberg gehört, aber von dieser Großartigkeit hat man doch erst einen Begriff, wenn man sie vor Augen sieht. Es muß ein berauschendes Gefühl sein, sich als unumschränkten Gebieter einer solchen Welt zu wissen und zehntausend Menschen mit einem einzigen Machtworte zu leiten.“

„Ich habe mehr als dreißig Jahre gebraucht, ehe ich soweit kam,“ antwortete Dernburg kühl. „Wer sich diese Welt und diesen Boden Schritt für Schritt erst hat erkämpfen müssen, den ‚berauscht‘ der Erfolg nicht mehr. Er giebt auch manche schwere Last zu tragen, die Sie, Herr von Wildenrod, wohl kaum auf sich nehmen würden. Ihnen war ja schon die Verwaltung Ihrer väterlichen Güter eine Last, die Sie abstreiften.“

Es lag eine gewisse Schärfe in den letzten Worten, die auch verstanden wurde; aber Wildenrod zeigte keine Empfindlichkeit, er entgegnete ruhig: „Sie machen mir einen Vorwurf daraus, Herr Dernburg?“

„Nicht doch, welches Recht hätte ich dazu! Es ist ja schließlich eines jeden eigene Sache, wie er sich sein Leben gestaltet. Der eine sucht die Befriedigung in der Arbeit, der andere –“

„Im Müßiggang, meinen Sie?“

„In dem Genuß des Lebens, wollte ich sagen.“

„Aber Sie dachten doch, was ich aussprach, und ich muß Ihnen leider recht geben, Aber mich hat von jeher nur die Thätigkeit im großen Maßstäbe gereizt, und mein Erbe war keine ausgedehnte Herrschaft, wo ich diesen Drang hätte verwerthen können. Ich brachte es nicht fertig, mich in die öde Alltäglichkeit des Landlebens zu vergraben, in den ewig gleichen Kreislauf einer Wirthschaft, die jeder tüchtige Inspektor ebensogut wie ich führen konnte. Dafür war ich nun einmal nicht geschaffen.“

„Weshalb blieben Sie denn nicht im diplomatischen Dienste?“ warf Dernburg ein. „Da stand Ihrem Ehrgeiz das weiteste Feld offen.“

Es war ein Ausdruck unsäglicher Bitterkeit, der bei dieser Frage um die Lippen Wildenrods zuckte, freilich nur eine Sekunde lang. „Das lag in persönlichen Verhältnissen. Ich hatte Unannehmlichkeiten mit meinem Chef gehabt, glaubte mich zurückgesetzt, übergangen und löste in rascher Empfindlichkeit die vermeintliche Kette. Ich war damals noch jung, und die weite Welt, die goldene Freiheit lockten mich unwiderstehlich – mit den Jahren ändert sich das! Ich habe es längst gefühlt, daß meinem Leben die eigentliche Wurzel fehlt, und werde es noch mehr fühlen, wenn Cäcilie mich verläßt. Es bleibt doch eine tiefe Unbefriedigung zurück bei einem solchen Dasein.“

„Für die Sie allein die Verantwortung tragen,“ sagte Dernburg ernst. „Sie stehen noch in vollster Manneskraft, haben ein unabhängiges Vermögen, es käme nur auf einen Entschluß an.“

„Ganz recht, auf einen Entschluß, und dazu habe ich mich bisher noch nicht aufraffen können. Mir ist solche Arbeit immer nur unter dem Bilde des Kleinlichen, Mühseligen erschienen. Hier im Angesicht Ihres Odensberg lerne ich zum ersten Male begreifen, welch eine Macht darin liegt, welch unglaubliche Erfolge sie zu schaffen vermag. Das könnte auch mich reizen, meine ganze Kraft einzusetzen, ich gestehe es! Wollen Sie den ‚Müßiggänger‘ einen tieferen Blick in Ihre Arbeitswelt thun lassen, Herr Dernburg? Vielleicht nützt ihm die Lehre doch!“

Es lag etwas ungemein Gewinnendes in der Bitte, in der ganzen Art des Freiherrn, und Dernburg war von dieser Offenheit sehr angenehm berührt. Seine bisher ziemlich kühle Artigkeit machte einem wärmeren Tone Platz, als er antwortete:

„Es soll mich freuen, wenn mein Odensberg Ihnen solche Lehren giebt. Ich habe freilich durch all dies Kleinliche und Mühselige hindurch gemußt. Wenn ich Kopf und Arme nicht gerührt hätte, so stände hier wahrscheinlich noch der einfache Eisenhammer, den mir mein Vater hinterließ, aber es muß ja nicht jeder von der Pike auf dienen. Wenn nur jeder etwas leistet und seinen Platz im Leben ausfüllt, das ist die Hauptsache!“

Ein neuer Regenguß, der eben heranzog und dessen erste Tropfen niederfielen, trieb die beiden Herren ins Zimmer zurück Dernburg hatte bereits das Vorurtheil aufgegeben, das er bisher gegen den künftigen Schwager seines Sohnes gehegt, und Oskar von Wildenrod hatte einen ersten Sieg erfochten, gerade an der Stelle, wo er am schwersten zu erringen war.

(Fortsetzung folgt.)




Das Deutschthum in Südafrika.

Von Rudolf Marloth.

Von dem gewaltigen Menschenstrom, welcher jahraus jahrein die deutsche Küste verläßt, wendet sich der bei weitem größte Theil nach Westen, nach den volkreichen Städten oder den weiten von der Kultur kaum berührten Flächen der Vereinigten Staaten. Nur kleinere Scharen von Europamüden erwählen sich die südamerikanischen Republiken oder Australien zum Ziel, noch weniger aber Südafrika. Die Zahl deutscher Einwanderer, welche alljährlich das Kap erreichen, beträgt für gewöhnlich nur einige Hundert, bei besonderen Gelegenheiten jedoch, z. B. bei der Entdeckung von Diamanten- oder Goldfeldern, wuchs die Zahl schon mehreremal in die Tausende.

Die Gründe, welche diese Landsleute veranlaßt haben, die deutsche Heimath mit Südafrika zu vertauschen, sind wohl im allgemeinen dieselben wie diejenigen, welche schon Hunderttausende oder vielmehr Millionen über den Ocean nach Westen getrieben haben. Gar viele zogen hinaus, den Handel der Heimathstadt auszubreiten. Sie gründeten Niederlassungen in den verschiedenen Häfen und zogen Freunde, Handwerker und Gehilfen nach sich. Andere trieb der Wunsch, leichteren Erwerb, reicheren Lohn für ihrer Hände Arbeit zu finden. Noch andere aber folgten nur dem altgermanischen Wandertrieb, der ihnen keine Ruhe ließ:

„Die Berge dünkten mich zu Haus zu flach,
Zu eng die Thäler und der Rhein ein Bach;
Ich wollte Alpen, Meer und Welten sehn.
Trotz bieten wollt’ ich Stürmen und Orkan,
Der Tropen Pracht mit eignen Augen schauen,
Gen Westen zieh’n ins neue Kanaan
Und am Ohio Mais und Weizen bauen.

So sang einst Konrad Krez. Es ist jetzt fünfundzwanzig Jahre her, daß sein Gedicht in der „Gartenlaube“ erschien. Damals lernte der Jüngling die Verse, welche seine Einbildungskraft anregten; heute läßt sie der Mann an gleicher Stelle auferstehen, nachdem ihm eigene Erfahrung sie bestätigt.

So mancher von denen, welche voll glänzender Hoffnungen auszogen nach dem fernen Süden, mußte erfahren, daß auch hier wie überall „die Gänse barfuß gehen“, wie ein volkstümlicher Ausdruck meiner Heimath lautet.

„Und magst Du ziehn nach Süd und Nord,
Gen Ost und West, nach allen Winden,
So wirst Du stets dasselbe Losungswort,
Die Arbeit und des Lebens Mühsal finden.
Dasselbe Kämpfen um Dein täglich Brot,
Das sich nicht lohnt, so schwer verdient zu sein,
Erwartet Dich am Hudson wie am Rhein.
Ihr Bürgerrecht hat überall die Noth.“

Und doch, die Noth, die bleiche bittere Noth giebt es in dem sonnigen Kaplande nicht! Hunger und Kälte, die Quellen unsäglichen Elends in dem Gewühl der heimischen Fabrikstädte wie in den Hütten der schlesischen Berge oder der Eifelthäler, sind hier so gut wie unbekannt. Der faulste Hottentott wie der trägste Lump von weißer Farbe verdienen in einigen Tagen immer noch genug, um für den Rest der Woche den herrlichen Sonnenschein und das süße Nichtsthun genießen zu können.

Freilich, weit bringen es diese Drohnen der menschlichen Gesellschaft nicht, denn gerade infolge ihrer Unthätigkeit verfallen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_058.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)