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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

sie schließlich dem Fluche auch dieses Landes, dem Branntwein. Aber die günstigen äußeren Bedingungen, welche es solchen Schmarotzern ermöglichen mit so geringem Kraftaufwande ihr Dasein zu fristen, kommen auch denen zu statten, welche vorwärts streben. Wer seinen Beruf versteht, sich der fremden Sprache, den fremden Zuständen anpaßt und dabei fleißig und genügsam ist, gelangt hier selbst als Arbeiter oder Handwerker verhältnißmäßig leicht zu einer gewissen Selbständigkeit.

Und das ist es auch, was so manchen Deutschen hier festgehalten hat, der auszog mit dem Gedanken, nach ein paar Jahren des Wanderns in fernen Landen wieder heimzukehren in das Vaterland. So kommt es, daß von den in Europa geborenen Einwohnern des Kaplandes 13½ Prozent Deutsche sind, während alle übrigen nicht aus Großbritannien stammenden Europäer zusammen noch nicht ganz sieben Prozent ausmachen. Nicht ganz so hoch dürfte sich die Verhältnißzahl stellen, wenn wir die gesammte weiße Bevölkerung in Betracht ziehen, aber ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich die Zahl der Deutschen in Südafrika auf mindestens zehn Prozent der Weißen, also etwa sechstausend Seelen schätze. In jedem Beruf sind daher auch unsere Landsleute zahlreich vertreten. Bei vielen ist der deutsche Ursprung allerdings nur noch in den deutschen Namen zu erkennen, aber wir finden deren unter Ministern, Richtern und anderen hohen Beamten, und der einzige Schriftsteller des Landes, oder richtiger die Schriftstellerin, welche auch in England berühmt geworden, ist Fräulein Olive Schreiner, deren Großeltern noch Deutsche waren.

Daß das musikalische Element zum größeren Theile aus Deutschland stammt, ist leicht erklärlich, denn noch jetzt zählt man nur sehr wenige Erziehungsanstalten des Landes, an denen der Musikunterricht nicht von deutschen Lehrkräften gegeben wird.

Deutsche Kaufleute und Handwerker giebt es überall; besonders zahlreich sind sie natürlich in den Hafenplätzen, und in den drei bedeutendsten derselben, in Kapstadt, Port Elizabeth und Durban, gehören deutsche Firmen unter die ersten des Landes. Das erklärt denn auch den verhältnißmäßig großen Antheil, welchen Dentschland an dem Handel Südafrikas hat. So sind z. B. die eingeführten Klaviere und Lampen zum größeren Theile deutsches Erzeugniß, und die Zahl der ersteren mag wohl an die tausend Stück im Jahre betragen. Deutsches „Lagerbier“ wird nicht nur von unsern Landsleuten, sondern auch vielfach von Engländern und Einheimischen bevorzugt, und bei den Cigarren wird das auf den Kistchen eingebrannte „made in Germany“ zwar immer noch nicht als eine Empfehlung, aber auch nicht mehr als eine Warnung betrachtet. Deutscher Zucker dürfte zu etwa einem Viertel den hiesigen Bedarf befriedigen. Glaswaren, Kattune, Chemikalien kommen in beträchtlichen Mengen und die Spielsachen für jung Südafrika fast ausschließlich aus Deutschland, auch wenn dieselben in London gekauft wurden.

Da die regelmäßige Einwanderung aus Deutschland nicht groß ist, so würde das Deutschthum in Südafrika niemals seine heutige Bedeutung erreicht haben, wenn nicht außer den nach den Diamant- und Goldfeldern Strömenden ab und zu größere Scharen hierher geleitet worden wären. Den Anfang dieser organisierten Einwanderung machte die deutsche Legion des Krimkrieges. Dieselbe hatte nach Beendigung jenes Feldzuges eine Stärke von ungefähr 7000 Mann, und als gegen Schluß des Jahres 1858 die angeworbenen Regimenter aufgelöst wurden, stellte es die englische Regierung auch den deutschen Legionären frei, entweder nach Empfang ihres Soldes in die Heimach zurückzukehren oder aber kostenfrei nach Südafrika befördert zu werden, wo ihnen unentgeltlich Land zur Ansiedlung überwiesen werden sollte. Die meisten wählten das letztere, doch als es endlich zur Abreise kam, waren fast zwei Drittel der Leute schon von andern Agenten für Argentinien angeworben worden.

Viele der nach dem Kapland Bestimmten wurden noch in aller Eile im Hafen von Portsmouth mit einer Hausfrau versorgt. Zu dem Zwecke wurden Scharen englischer Mädchen, welche Lust verspürten, ausgedienten Kriegern in die afrikanische Wildniß zu folgen, so schnell als möglich auf eine Hulk, d. h. auf ein altes abgetakeltes Schiff gebracht, und nachdem sich dort die Paare mit Kotillon-Geschwindigkeit gefunden hatten, ward sofort die allgemeine Trauung vollzogen. Der deutsche Feldprediger, welcher sich so ohne weiteres über die englischen Gesetzesbestimmungen bezüglich der Eheschließung hinweggesetzt hatte, mußte sich schleunigst aus dem Staube machen, und die Ehen selbst mußten noch nachträglich durch ein besonderes Gesetz des Kapländischen Parlamentes für gültig erklärt werden.

Bei ihrer Ankunft in der Tafelbai zogen viele der Söldner es vor, ihr Glück auf eigene Faust zu versuchen, die andern wurden nach Britisch-Kaffrarien gebracht und dort zwischen dem Buffalo und dem St. Johns Fluß angesiedelt. Doch den Leuten, welche aus Lust am freien Soldatenleben Heimath und Freunde verlassen hatten, behagte es nicht, jetzt im Schweiße ihres Angesichtes den Acker zu bestellen. Die meisten verließen ihr Land, und viele von ihnen folgten einem neuen Werberuf der englischen Regierung, welche Truppen zur Bekämpfung des Aufstandes in Indien brauchte.

Da kam der Gouverneur der Kapkolonie auf den Gedanken, an Stelle der ruhelosen Krieger deutsche Familien in jenen Gegenden seßhaft zu machen, um so an der östlichen Grenze der Kolonie eine lebendige Mauer gegen etwaige Einfälle der Eingeborenen zu schaffen. Durch Vermittlung des Kapstädter Vertreters des Hamburger Hauses Godeffroy wurden im folgenden Jahre mehrere tausend Familien eingeführt und zum größern Theile an der Mündung des Buffalo gelandet. Man wies ihnen Land an und gab ihnen darlehnsweise Unterstützung an Geld, Geräthen und Saatkorn. Da das Gebiet eines der fruchtbarsten von ganz Südafrika ist, so gelang es den meisten Leuten, vorwärts zu kommen. Wo sich damals noch gewaltige Büffelherden tummelten, wo Elefanten, Nilpferde und Giraffen umherstreiften, wo der Löwe herrschte, da finden wir jetzt blühende Dörfer und zahlreiche kleinere Ansiedlungen, umgeben von Weizen- oder Maisfeldern und von üppigen Obst- und Gemüsegärten. Viele der Orte und viele der Bewohner sind noch deutsch nach Sprache und Art. In Stutterheim, Frankfurt, Braunschweig, Berlin, Potsdam und Charlottenburg sind nicht nur die Namen, sondern auch die Leute deutsch, und auf dem Wochenmarkt zu Kingwilliamstown, der Hauptstadt jener Provinz, ist das Platt von den Ufern der Elbe, Havel und Ucker die herrschende Verkehrssprache.

Daß dies so ist, verdanken wir vor allen Dingen der Thätigkeit der deutschen Geistlichen, welche nicht bloß überall die Ansiedler zu kirchlichen Gemeinden vereinigten und ihnen in der heimathlichen Sprache predigten, sondern auch, wo es irgend angängig war, Schulen errichteten. So lernten die Kinder außer der Kaffernsprache, welche sie zum Verkehr mit den Arbeitern brauchten, Deutsch. Einige dieser Schulen, z. B. die von East London, entwickelten sich zu den bedeutendsten jener Bezirke, und wenn auch schließlich bei ihrer Umwandlung in regierungsseitig unterstützte Anstalten die deutsche Unterrichtssprache der englischen weichen mußte, so blieb Deutsch doch immer das wichtigste Nebenfach.

Weniger widerstandsfähig gegen ihre Umgebung haben sich die späteren Einwanderer erwiesen, welche zuerst im Jahre 1878 und dann 1883 in ähnlicher Weise ins Land gebracht wurden. Sie wurden zum Theil nach denselben Gebieten wie jene ersten geführt, zum Theil aber auch in der Nähe von Kapstadt, in der „Vlakte“ angesiedelt. „Vlakte“ heißt eigentlich ganz allgemein „Fläche“, doch wird es hier im besondern auf jene weite sandige Ebene angewendet, die sich vom Tafelberge aus nach Osten erstreckt und die in vielen Punkten der Lüneburger Heide gleicht, der Heimath eines Theiles dieser Einwanderer. Die Regierung gab ihnen freie Ueberfahrt und unterstützte sie auch im Anfang mit zinsenfreien Darlehen. Die meisten vermochten jedoch nicht die ersten Schwierigkeiten zu überwinden. Sie gaben ihr Land auf und suchten sich passende Arbeit in der Stadt. Manchen gelang es dabei, in einigen Jahren so viel zu ersparen, daß sie von neuem beginnen konnten, und heute leben wohl an die 2000 Menschen, meist deutscher Abkunft, in dieser Ebene.

Der Erfolg dieser Leute ist ein glänzendes Zeugniß für die Arbeitsamkeit des deutschen Landmannes. Die landeingesessenen holländischen Bauern lachten über den Gedanken, auf jenen Flächen Ansiedlungen zu gründen und waren sicher, daß alle diejenigen, welche es versuchen würden, elendiglich verhungern müßten. Diese Spötter hatten eben keine Ahnung davon, was Arbeit heißt. Die deutschen Einwanderer haben es ihnen gezeigt. Vom frühen Morgen bis in die späte Nacht waren sie thätig, den Boden urbar zu machen, einzuzäunen und zu bestellen. Anfangs wohnten sie in Zelten, die ihnen die Regierung geliefert hatte, dann bauten sie sich Lehm- und Reisighütten, später kleine Häuschen. Da der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_059.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)