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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Boden sehr arm ist und viel Dünger verlangt, so konnten sie natürlich zuerst nur ein kleines Stück bebauen. Darauf zogen sie allerlei Gemüse und betrieben zugleich Geflügelzucht. Später hielten sie sich Vieh und gewannen Milch und Butter. Einmal in der Woche brachten sie ihre Waren zum Verkauf nach der Stadt. Durch tiefen losen Sand zogen und schoben Mann und Frau die kleine Karre nach der meilenweit entfernten Hanptstadt und kehrten dann nachmittags mit den nothwendigsten Einkäufen wieder heim. Schrittweise verbesserte sich ihre Lage. Erst konnte ein Ochse oder eine Kuh, später schon ein Pferd vor die Karre gespannt werden, und heute sieht man diese Bauern flott mit ihren wohlbespannten Wagen zur Stadt kutschieren.

Denjenigen Einwohnern der Stadt, welche bisher achtlos an so viel Fleiß und Ausdauer vorüber gegangen waren, wurde im April des letzten Jahres Gelegenheit gegeben, sich von den Erfolgen dieser Leute zu überzeugen. Um die Regierung zu bewegen, ihnen bessere Wege anzulegen, hatten sie auf eigene Faust eine landwirthschaftliche Ausstellung veranstaltet, und man giebt ihnen allgemein das Zeugniß, daß sie dabei Hervorragendes geleistet haben.

Gerade der Umstand, daß sich diese Leute ihre jetzige bessere Lage durch jahrelange schwere Arbeit und Mühsal erkauft haben, erklärt es aber auch, daß ihnen jene schmerzlichen Empfindungen unbekannt sind, welche Freiligrath solchen Auswanderern andichtet:

„Wie wird es in den fremden Wäldern
Euch nach der Heimathberge Grün,
Nach Deutschlands gelben Weizenfeldern,
Nach seinen Rebenhügeln ziehn!

Wie wird das Bild der alten Tage
Durch Eure Träume glänzend wehn!
Gleich einer stillen, frommen Sage
Wird es Euch vor der Seele stehn.“

Das ist ergreifend geschildert, aber der Wirklichkeit entspricht es nicht, wenigstens nicht bei den deutschen Bauern der „Vlakte“. Wohl mag einzelne in der ersten Zeit der Noth ab und zu das Heimweh gepackt haben, all die anderen kannten und kennen nicht die Gefühle, welche ihnen der Dichter zuschreibt. Und das ist auch gar nicht zu verwundern. Fast alle diese Einwanderer waren arme Leute, ohne die geringste Aussicht, in der Heimath jemals ein Stückchen Land ihr eigen nennen zu können. Die Weizenfelder und die Rebenhügel gehörten dem Gutsherrn, für den sie sich hatten plagen müssen jahraus jahrein. Hier dagegen sind sie die Herren, hier ernten sie den Ertrag ihrer Arbeit, hier fahren sie die Weizengarben in ihre eigenen Scheuern, hier keltern sie die Trauben in das eigene Faß und hier beschließen sie selber, wie die Gemeinde, wie die Kreis- und Provinzialangelegenheiten, wie Schule und Kirche verwaltet werden sollen. Wer wollte da mit ihnen rechten, daß sie keine Sehnsucht haben, zurückzukehren an den Hof des früheren Herrn!

Die Gefahr des „Verafrikanderns“ ist allerdings bei diesen Bewohnern der „Vlakte“ viel größer als bei den Ansiedlern im Osten des Landes. Diese stehen Eingeborenen oder Engländern gegenüber, deren fremde Sprache die eigene nicht verdrängen kann; jene aber umgiebt das verwandtere Kapisch-Holländische als Sprache der Bauern und der Farbigen. Die Einwanderer selbst bleiben zwar meist in Sprache und Sitte deutsch, anders aber ist es schon mit ihren Kindern. Diese erlernen die verhältnißmäßig rohe und einfache Sprache der farbigen Arbeiter viel schneller als das schwere Deutsch. Daß sie trotzdem auch die Sprache ihrer Eltern sprechen lernen, ist meist nicht das Verdienst dieser selbst, sondern der Schule und Kirche, für welche die Bauern übrigens recht beträchtliche Opfer bringen.

Ganz ähnlich liegt die Sache bei den gebildeten Deutschen, welche hier eine zweite Heimath gefunden haben. Hat ein Deutscher eine englische oder holländische Frau an seinen Herd geführt, so ist es in den meisten Fällen um sein Deutschthum geschehen und die Kinder neigen fast stets der anderen Sprache zu, ja meistens lernen sie überhaupt nicht mehr Deutsch. Nur selten gelingt es dem Manne, in Haus und Familie die Sprache der Heimath zu erhalten. Aber selbst dann kann man die Kindeskinder kaum noch Deutsche nennen, und sie selbst werden das nur thun, wenn sie selbst sowohl wie ihre Eltern in Deutschland erzogen wurden.

Wie sollte es auch anders sein! Was ist ihnen Deutschland? Das Land ihrer Ahnen, das Land, von dem sie viel Herrliches und Schönes gehört haben; das Land, das sie sich sehnen, mit eigenen Augen zu schauen, wie der daheim geborene Deutsche für Italien schwärmt! Aber das Vaterland ist es nicht. Ihr Vaterland ist Südafrika! Mag ihre Wiege am Fuße des Tafelberges, auf den Hochflächen des Innern oder im Schatten natalischer Palmen gestanden haben, sie lieben das Land, darinnen sie als Knaben gespielt, sich als Jünglinge auf Rossen getummelt haben und darinnen sie als Männer wirken. Und wäre das Land selbst aller Reize bar, sie würden es lieben, weil es das Land ihrer Geburt ist.

Aber dieses Land ist herrlich und reich begünstigt von der Natur. Klima und Landschaft sind in vieler Beziehung gleich denen Italiens. Noch keinen habe ich gesprochen, der nach ein paar Jahren Aufenthaltes im nordischen Europa nicht gern zurückgekehrt wäre in die sonnige Heimath. Hier dräut kein Winter mit seinem Schnee und Eis, denn was man hier trotzdem Winter nennt, ist besonders in den Küstenstrichen immer noch milder als der deutsche Frühling. Wie kann man von Winter reden, wenn alle Gehänge, alle Flächen mit Blumen übersät, wenn die Orangenbäume mit goldigen Früchten beladen sind, wenn man den Schnee nur auf den Berggipfeln glänzen sieht! Hier ist eben ein halbes Jahr Frühling, das andere gehört dem Sommer mit seinen reichen Gaben an allerlei Früchten in Hülle und Fülle.

Wohl lernen noch viele dieser Söhne des Landes Deutsch, aber sie lernen es wie eine fremde Sprache, denn von Jugend auf mußten sie in Schule und Beruf englisch sprechen, englisch denken.

Gar viele Schriftsteller gefallen sich darin, es als eine ganz besondere Schwäche des Deutschen hinzustellen, daß er es nicht vermag, im Ausland seinen Kindern und Kindeskindern auch seine Sprache, seine Nationalität zu vererben. Aber verhalten sich denn die Angehörigen anderer Völker anders, wenn sie im fremden Lande von fremden Elementen umgeben sind? Würden etwa die Enkel nach Pommern eingewanderter englischer Bauern noch lieber englisch als plattdeutsch reden, und nennen sich die Nachkommen von Italienern, Engländern und Franzosen, welche einst in den Vereinigten Staaten eine zweite Heimath fanden, nicht mit Stolz Amerikaner? Anders freilich liegt die Sache mit denjenigen Deutschen, welche selbst schon ihre Sprache vernachlässigen. Was soll man dazu sagen, wenn deutsche Eltern mit ihren Kindern englisch sprechen, nur weil dieselben diese Sprache im Verkehr mit ihren Spielgenossen leichter erlernen! So kommt es wirklich vor, daß Kinder deutscher Eltern nicht imstande sind, ein deutsches Buch zu lesen oder sich über die alltäglichsten Dinge des Lebens in ihrer Muttersprache zu unterhalten.

Glücklicherweise sind solche Fälle selten. Die Mehrzahl der Deutschen Südafrikas hängt mit Liebe und Ausdauer an den deutschen Sitten und der deutschen Sprache, und sie pflegen beide eifrig in mancherlei Weise.

Fast überall, wo eine Anzahl Deutscher zusammen wohnt, finden wir auch eine deutsche Kirche. Es giebt jetzt schon mehr als 25 deutsche Gemeinden mit eigener Kirche und Schule, und diese vor allem waren es, welche schon vor Aufrichtung des Deutschen Reiches den Sinn für deutsches Wesen und deutsche Sprache auch hier wach gehalten haben. Und das haben sie gethan unter Opfern, wie sie zu Hause für gleiche Zwecke nur höchst selten öder überhaupt nicht gebracht werden. So kostete z. B. die deutsche Kirche von East London 50000 und die von Kapstadt 75000 Mark, wozu natürlich weder Staat noch Stadt einen Beitrag geleistet haben.

Mit der Wiedererstehung des Reiches erhielten auch die Deutschen im Ausland größeres Selbstbewußtsein, und heute herrscht ein reger nationaler Geist unter den Deutschen Südafrikas. Außer in Schule und Kirche wird derselbe vor allem durch die zahlreichen Vereine und die seit einigen Jahren bestehende „Südafrikanische Zeitung“ gepflegt. In jedem größeren Orte des Landes giebt es einen oder mehrere dentsche Vereine, darin sich die Männer vom Osten und Westen, vom Norden und Süden, von Oesterreich und der Schweiz zusammenfinden. Von diesen ist der „Deutsche Klub“ in Port Elizabeth der am besten begründete. Er besitzt ein eigenes Klubhaus mit großen Gesellschaftsräumen, Lese- und Spielzimmern, Kegelbahn und Garten. Dasselbe ist geräumig genug für größere Festlichkeiten, wie solche am 15. und 16. März vorigen Jahres gegeben wurden, als das aus den Schiffen „Leipzig“, „Sophie“ und „Alexandrine“ bestehende deutsche Geschwader auf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_060.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)