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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Weltkind fühle mich ganz verschüchtert dabei und werde sicher vollständig in Ungnade fallen bei meinem künftigen Schwiegervater, der ja auch ein Arbeitsgenie ersten Ranges sein soll.“

Sie sprach mit herausforderndem Uebermuth, es war der Ton, den man in ihren Gesellschaftskreisen so pikant und bezaubernd fand. Hier aber machte er gar keinen Eindruck, Runeck schien völlig unempfindlich dafür zu sein.

„Gewiß, Herr Dernburg ist uns allen ein Vorbild in dieser Beziehung,“ erwiderte er. „Daß Sie sich in Odensberg gefallen werden, Baroneß Wildenrod, glaube ich allerdings nicht. Doch Erich wird es Ihnen ja wohl eingehend geschildert haben, ehe Sie sich entschlossen, hierherzukommen.“

„Ich glaube, Erich hat den gleichen Geschmack wie ich,“ warf Cäcilie hin. „Auch er liebt den sonnigen lebensfrohen Süden und schwärmt von einer Villa am Strande des blauen Meeres, unter Palmen und Lorbeergebüschen.“

„Erich war krank und litt unter der rauhen Luft seiner Heimath, die er trotzdem liebt; der Süden hat ihm Genesung gegeben. Uebrigens ist er ja reich genug, sich irgendwo in Italien anzukaufen und seine Erholungszeit dort zuzubringen, wenn sein eigentlicher Wohnsitz auch Odensberg bleiben muß.“

„Halten Sie das für so unumgänglich nothwendig?“ Es lag ein leichter Spott in der Frage.

„Allerdings, er ist der einzige Sohn und soll dereinst die Werke übernehmen. Das ist eine Pflicht, der er sich nicht entziehen kann und der er, wie seine künftige Gemahlin, doch wohl Rechnung tragen muß.“

„Muß?“ wiederholte Cäcilie. „Das scheint Ihr Lieblingswort zu sein, Herr Runeck. Sie gebrauchen es bei jeder Gelegenheit. Ich kann dies unbequeme Wort gar nicht leiden und glaube auch nicht, daß ich mich jemals damit befreunden werde.“

Egbert schien kein besonderes Vergnügen an dieser Art der Unterhaltung zu finden, es klang ein Anflug von Ungeduld, sogar eine gewisse Gereiztheit aus seinen Worten, als er entgegnete:

„Wir thun wohl besser, nicht darüber zu streiten, gnädiges Fräulein. Wir gehören zwei ganz verschiedenen Welten an, und ich muß um Entschuldigung bitten, wenn ich die Ihrige nicht verstehe.“

Cäcilie lächelte; endlich war es ihr gelungen, diesen Mann aus seiner undurchdringlichen Ruhe zu treiben, die sie fast als eine Beleidigung empfand. Sie war es nicht gewohnt, daß man ihr den Zoll der Bewunderung versagte, daß man ihr gegenüber von „müssen“ sprach. Das Feuer strahlte eben wieder auf in heller Gluth, und während Runeck seitwärts im Schatten stand, fiel der Widerschein voll auf das schöne Mädchen, das noch in derselben Stellung wie vorhin im Sessel ruhte. Es lag etwas Berückendes in dem zuckenden Spiel der Flammen, in dem jähen Wechsel zwischen Licht und Schatten, etwas, das der Erscheinung des Mädchens selbst verwandt war, welches jetzt mit den dunklen feucht-schimmernden Augen zu dem jungen Ingenieur aufblickte.

„Nun, es wird doch eine Brücke geben, die diese beiden Welten verbindet,“ sagte sie scherzend, „Vielleicht lernen wir uns verstehen – oder meinen Sie, daß das nicht der Mühe lohnt?“

„Nein!“

Es klang eisig, dieses „Nein“. Cäcilie richtete sich plötzlich empor und ein Blick sprühenden Zornes traf Egbert.

„Sie sind sehr – aufrichtig, Herr Runeck.“

„Sie mißverstehen mich, gnädiges Fräulein,“ sagte er ruhig. „Ich meinte selbstverständlich, daß es für Sie der Mühe nicht lohnt, zu einer so untergeordneten Welt herabzusteigen – nichts weiter.“

Baroneß Wildenrod biß sich auf die Lippen. Er parierte gut, und doch wußte sie, was er gemeint hatte – sie verstand den herben Spott, der sich hinter seinen Worten barg. Was war es denn eigentlich mit diesem Manne, der sich herausnahm, der Braut seines Jugendfreundes, der künftigen Tochter des Hauses, von dem er Wohlthaten empfangen hatte, so entgegenzutreten? Hatte sie vorher für diesen Herrn Ingenieur in seiner untergeordneten Stellung kaum einen Blick gehabt, so wallte es jetzt heiß und feindselig in ihr empor, er sollte es büßen, daß er sie gereizt hatte!

Sie erhob sich mit einer raschen Bewegung und wandte sich zu Erich und ihrem Bruder, die noch miteinander sprachen. Egbert blieb an seinem Platze, sein Blick folgte den beiden Geschwistern, während er halblaut murmelte: „Armer Erich, Du bist in schlimme Hände gerathen!“ –

Es war Abend geworden und die Familie hatte sich bereits getrennt. Man wollte den Gästen, die heute eine ziemlich weite Fahrt gemacht hatten, baldige Ruhe gönnen, aber diese waren noch nicht schlafen gegangen.

Oskar und Cäcilie befanden sich in dem kleinen Ecksalon, der zu der Fremdenwohnung gehörte. Sie waren allein. Der Duft der Blumen, mit denen Maja ihrer künftigen Schwägerin ein so liebliches Willkommen gebracht hatte, erfüllte noch den ganzen Raum, doch keines von den Geschwistern hatte Aufmerksamkeit dafür. Cäcilie stand in der Mitte des Zimmers; das Lächeln und die Liebenswürdigkeit, die sie heute den ganzen Tag zur Schau getragen, waren wie ausgelöscht in ihren Zügen. Sie sah erregt, gereizt aus, und ihre Stimme klang in unterdrückter Heftigkeit.

„Du bist also noch nicht mit mir zufrieden, Oskar? Ich dächte, ich hätte heute das Mögliche geleistet, und Du willst mir noch Vorwürfe machen!“

„Du warst zu unvorsichtig in Deinen Aeußerungen,“ tadelte Oskar, „viel zu unvorsichtig! Du gabst Dir ja kaum die Mühe, Dein Mißfallen an Odensberg zu verhehlen. Nimm Dich in acht, Erichs Vater ist in diesem Punkte sehr empfindlich, dergleichen verzeiht er nicht.“

„Soll ich etwa wochenlang hier Komödie spielen und Begeisterung heucheln für diesen entsetzlichen Ort, der noch weit unerträglicher ist, als ich glaubte? Man ist hier wie abgeschnitten und ausgestoßen von der Welt, wie begraben zwischen Bergen und Tannenwäldern. Dazu die unmittelbare Nähe dieser Werke mit ihrem Lärm und ihrer Arbeiterbevölkerung, und vor allem diese Menschen hier! Nur die kleine Maja ist erträglich, mein künftiger Schwiegervater aber scheint eine herrschsüchtige Natur zu sein, die das ganze Haus tyrannisiert. Ich habe förmlich Furcht vor seinem strengen Gesicht – er blickte mich bei der Ankunft an, als wollte er mir bis in das innerste Herz hineinsehen! Und diese langweilige Frau von Ringstedt mit ihrer steifen Würde, die ebenso langweilige blasse Erzieherin, vor allem aber dieser sogenannte Jugendfreund Erichs, der mir Dinge gesagt hat –“ sie brach plötzlich ab und warf mit einer grollenden Bewegung ihren Fächer auf den Tisch.

Wildenrod hatte den ganzen Ausbruch ruhig mit angehört, ohne einen Versuch zur Beschwichtigung zu machen. Bei den letzten Worten jedoch wurde er aufmerksam.

„Was für Dinge?“ fragte er rasch und scharf. „Was hat er Dir gesagt?“

„O, in Worten nicht allzuviel, aber ich fühlte recht gut, was sich unausgesprochen dahinter barg. Wenn wir uns nicht zum ersten Male gesehen hätten, so würde ich glauben, er hasse Dich und mich. Es lag etwas so Feindseliges in seinen kalten stahlgrauen und stahlharten Augen, als er mit mir sprach, und sie hatten genau denselben Ausdruck, als er Dir gegenüber der Begegnung in Berlin Erwähnung that.“

Wildenrod sah seine Schwester überrascht an, er hatte noch nie eine derartige scharfe Beobachtungsgabe an ihr wahrgenommen.

„Du scheinst Dich sehr eingehend mit ihm beschäftigt zu haben,“ bemerkte er. „Uebrigens hast Du ganz recht gesehen, dieser Runeck ist äußerst unbequem, vielleicht sogar gefährlich – nun, man wird mit ihm fertig werden!“

„Ein für alle Mal, ich halte es nicht aus in solcher Umgebung!“ rief Cäcilie mit erneuter Heftigkeit. „Du hast mir stets gesagt, daß Erich mit mir in der großen Welt leben wird, wir haben nie etwas anderes angenommen, aber hier scheint gar keine Rede davon zu sein. Man erachtet es als selbstverständlich, daß wir unseren Wohnsitz in Odensberg nehmen, und hat mir das bereits rückhaltlos angekündigt. Soll ich etwa bei meiner Vermählung allem entsagen, was für mich den Reiz des Lebens ausmacht, unter der allerhöchsten Aufsicht meines Schwiegervaters die Häuslichkeit und die sonstigen Familientugenden lernen, auf die er sehr viel zu geben scheint, und zur Belohnung alltäglich einen Spaziergang durch seine Werke machen dürfen? Von anderen Vergnügungen wird hier wohl nicht die Rede sein.“

„Es handelt sich hier nicht um Dein Vergnügen, sondern um eine Nothwendigkeit,“ sagte Oskar mit Schärfe. „Ich glaube,

Cäcilie, ich habe Dir das hinreichend klar gemacht, als wir die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_072.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)