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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Einladung annahmen. Du zwangst mich schon an Deinem Verlobungstag, Dir die Wahrheit anzudeuten, die ich Dir am liebsten verschwiegen hätte, und heute weißt Du genau, wie es um uns steht. Unser Vermögen ist verloren gegangen, wann und wie, dafür hast Du doch kein Verständniß, allein mit der Thatsache mußt Du rechnen. Ich habe es bis jetzt möglich gemacht, unser Leben äußerlich auf glänzendem Fuße zu erhalten, mit welchen Opfern, das weiß ich allein; aber es kommt eine Zeit, wo auch die letzten Hilfsquellen versiegen, und soweit sind wir. Verschüttest Du Dir durch eigene Thorheit die glänzende Zukunft, die ich Dir geöffnet habe, indem ich dies Band knüpfte, so hast Du überhaupt kein Anrecht mehr auf das, was Du ‚Leben‘ nennst; dann mußt Du hinabsteigen in ein Dasein der Armuth und der Entbehrungen – muß ich Dir das nochmals ins Gedächtniß zurückrufen?“

Die herbe Mahnung that ihre Wirkung: Armuth und Entbehrung, das waren Dinge, vor denen Baroneß Wildenrod zurückschauderte, obgleich sie nur einen dunklen Begriff davon hatte. Schon die bloße Vorstellung, daß sie gezwungen werden könnte, das bisherige glänzende Leben aufzugeben, erschreckte sie und brach ihren Widerstand; sie senkte den Kopf und schwieg, während der Bruder fortfuhr:

„Ich habe Dich bisher meist gewähren lassen, wie man das mit verwöhnten Kindern thut, es war ja auch nicht nothwendig, Dir den Ernst zu zeigen; jetzt aber fordere ich – hörst Du, Cäcilie, ich fordere es – daß Du Dich unbedingt meinen Anordnungen unterwirfst und thust, was ich Dir vorschreibe. Noch bist Du nicht vermählt, und der alte Dernburg ist ganz der Mann, die Verbindung noch im letzten Augenblick zu zerreißen, wenn ihm ernstliche Bedenken dagegen aufsteigen. Du hast vor allem um seine Gunst zu werben, denn Erich ist eine völlig unselbständige Natur, die sich dem Willen des Vaters immer fügen wird. Da gilt es, vorsichtig zu sein! Ich werde meine Pläne, von deren voller Tragweite Du jetzt noch keine Ahnung hast, nicht an Deinem Eigensinn scheitern lassen – Du kennst mich!“

Es war ein Ton des Befehls, der Drohung, und Cäcilie blickte mit scheuen Augen zu dem Bruder auf. Es war nicht das erste Mal, daß er sie unter seinen Willen beugte, aber so ernst und finster hatte er noch nie zu ihr gesprochen. Sie stieß einen ungeduldigen Seufzer aus und warf sich in einen Sessel; aber sie dachte nicht an ferneren Widerstand.

Es folgte eine sekundenlange Pause, dann trat Oskar zu ihr, und seine Stimme milderte sich, als er sagte:

„Daß Du Dich doch immer von Deiner Leidenschaftlichkeit fortreißen läßt! Andere würden alles daran setzen, sich dies Los zu sichern, um das Du von Tausenden beneidet wirst, und Du möchtest es am liebsten fortwerfen wie ein Spielzeug, das Dir nicht gefällt – eine berechnende Natur bist Du nicht!“

„Aber Du bist es!“ warf Cäcilie gereizt und erbittert ein.

„Ich?“ Das Gesicht Wildenrods verdüsterte sich wieder. „Ich bin manches und habe manches sein müssen, was meinem innersten Wesen widerstrebte. Wer wie ich zwölf Jahre lang mit den Wogen des Lebens kämpft, der kennt nur noch eine Losung: oben bleiben um jeden Preis! Danke Gott, daß Dir dieser Kampf erspart bleibt, und danke es mir, daß ich Dich, noch ehe Du ihn kennenlerntest, an das Ufer rette. Du trittst in eine hochangesehene Familie, Deine Vermählung giebt Dir das Anrecht auf einen fast unübersehbaren Reichthum, und Dein künftiger Gatte kennt kein größeres Glück, als jeden Deiner Wünsche zu erfüllen – ich denke, das ist genug.“

„Und was wirst Du beginnen, wenn ich vermählt bin?“ fragte Cäcilie, betroffen von den Worten, die sie nur halb verstand.

„Das überlaß mir!“ Ein flüchtiges Lächeln flog wie ein Blitz über Oskars Züge. „Jedenfalls beabsichtige ich nicht, von der Gnade meiner reichen Schwester zu leben, für ein solches Los bin ich nicht geschaffen. – Doch nun gute Nacht, Kind! Du wirst künftig vorsichtiger sein und nie verrathen, daß Du nicht gern in Odensberg bist! Ich hoffe, es bedarf keiner zweiten Mahnung.“ Er berührte flüchtig mit den Lippen ihre Stirn und ging in sein eigenes Zimmer, das neben dem Salon lag.

(Fortsetzung folgt.)




Ueber Städtereinigung.

Von Dr. Fr. Dornblüth.

Eine Stadt, die gesund sein will – und welche wollte dies nicht – also jede Stadt sollte auf gesundem Boden und für Luft und Sonne zugänglich angelegt sein, was leider nicht immer der Fall ist; sie sollte ferner stets dafür sorgen, daß ihr Grund und Boden nicht verunreinigt und daß die Luft nicht durch gesundheitsschädliche Ausdünstungen verdorben wird. Denn obgleich solchen Ausdünstungen, die aus Abfällen aller Art unmittelbar in die Luft übergehen oder aus dem Erdboden in unsere Wohnungen gelangen, nicht gerade bestimmte Krankheiten zur Last gelegt werden können, so ist es doch sicher, daß sie die Gesundheit der Bewohner schwächen und ihre Widerstandskraft gegen viele Krankheitsursachen vermindern. Daher finden sich über unreinem Boden, auch wo er auf die Wasserversorgung keine Einwirkung ausübt, nicht nur mehr Krankheiten, als über reinem und trockenem Boden, sondern viele von diesen Krankheiten sind auch weit verderblicher, als sie sonst unter guten Wohnungsverhältnissen zu sein pflegen. Das gilt von Masern, Scharlach und Keuchhusten, von Lungenentzündung und Gelenkrheumatismus, von Schwindsucht und vielen Frauenkrankheiten gerade so gut wie von Typhus und Cholera, und wenn man durch „Assanierung“, d. h. durch Herstellung günstigerer gesundheitlicher Bedingungen für die Ortschaften, den Würgern Typhus und Cholera den Boden entzieht, so nimmt man zugleich jenen anderen Krankheiten wesentliche Voraussetzungen ihres Vorkommens und ihrer Bösartigkeit.

Der Boden, auf dem unsere Häuser gebaut sind, besteht, wenn er nicht luft- und wasserdichter Fels ist, aus Erde oder Sandkörnern, deren Zwischenräume oft mehr ausmachen als ihre feste Masse und von Luft oder Wasser erfüllt sind. Das Wasser sinkt vermöge seiner Schwere nach unten und bildet das Grundwasser, soweit es jene freien Zwischenräume erfüllt; es kann steigen oder sinken, je nachdem es mehr Zufluß (durch Niederschläge etc.) oder mehr Abfluß hat. Die Grundluft oder Bodenluft aber steht mit der Außenluft in Verbindung und wird durch das sinkende oder steigende Grundwasser nachgezogen oder verdrängt und kann weiterhin sowohl durch den Winddruck, als auch durch Wärmeunterschiede bewegt werden. Letzteres ist besonders für unsere Wohnungen wichtig. Denn weil es, mit Ausnahme einiger Sommertage, in denselben wärmer zu sein pflegt als draußen, so drückt die kältere und deshalb schwerere Außenluft auf die Grundluft und zwingt sie, in den Häusern emporzusteigen. Die unteren Räume werden natürlich zunächst erfüllt, und weder geschlossene Thüren noch Kellergewölbe noch gar gewöhnliche Zimmerdecken vermögen sie zurückzuhalten; es ist das durch das Aufsteigen von Kohlensäure aus dem in verschlossenen Kellern gährenden Most bis in die oberen Stockwerke und durch das Eindringen von Leuchtgas aus gebrochenen Straßenröhren in Häuser, die selbst keine Gasleitung hatten, oft und unwiderleglich bewiesen worden.

Wenn nun in den Erdboden organische Stoffe eindringen – mögen sie in Wasser aufgelöst oder bloß mitgerissen sein – so bleiben sie großentheils in dem Erdreich wie in einem Filter hängen und erleiden hier unter dem Einfluß der Bodenluft und der Bakterien, die sich überall finden, wo organische Stoffe vergehen, Zersetzungen; aus diesen Zersetzungen werden der Luft Kohlensäure und andere Gasarten zugeführt, während mineralische Bestandtheile teils im Erdboden liegen bleiben, teils zusammen mit anderen löslichen Stoffen in das Grundwasser und weiterhin in Quellen und Brunnen gerathen.

Bodenverunreinigung kann also auf der einen Seite Brunnenvergiftung, auf der anderen Luftvergiftung in unseren Häusern bewirken, und zwar sind diese Gefahren um so größer, je weniger durch Pflanzenwuchs, durch Bäume, Sträucher, Gras und Blumen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_074.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)