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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

selbst wurde damals nicht, wie er hoffte, aus der Festung Ham entlassen, erst später entfloh er in der Verkleidung eines Maurers.

Der Weg über den Isthmus von Panama war der kürzere, er wurde im Auge behalten. Als der Kanal von Suez, der dem Weltverkehr eine neue Straße eröffnete, in so glänzender Weise eingeweiht worden war, da trat man auch dem Unternehmen des Kanals von Panama näher, der in Aussicht stellte, eine ebenso glorreiche neue Straße des Weltverkehrs im Westen zu werden. Lesseps, der Schöpfer des Suezkanals, stellte sich 1879 an die Spitze der Gesellschaft, welche sich zur Ausführung dieser großen Kulturthat gebildet hatte.

Schon 1889, als die „Gartenlaube“ ihre ausführlichen Artikel über die Geschichte der Isthmusdurchstechung veröffentlichte, war der äußerliche Zusammenbruch der Gesellschaft erfolgt. Heute aber erfährt man, welche unsauberen Mittel angewendet wurden, um die Oeffentlichkeit so lange über diesen Zusammenbruch zu täuschen! Der mehr als achtzigjährige Held von Suez steht heute unter Anklage wie die anderen Leiter des Unternehmens. Die hervorragendsten Politiker Frankreichs sind in den Sündenfall der Panama-Aktiengesellschaft verwickelt; die Feinde der Republik triumphieren; es ist, als ob die ungesunden Ausdünstungen des Fieberlandes, durch welche die Wasserstraße sich hinzieht, auch die Atmosphäre in den höchsten Regionen Frankreichs vergiftet hätten und der Name Panama für die Republik so verhängnißvoll werden sollte wie einst der Name Mississippi für die Finanzwirthschaft eines John Law und der damaligen Regentschaft. G.     

Der Königsstuhl bei Rhense im Schnee. (Mit Abbildungen S. 69 und 77.) Es gewährt einen eigenthümlichen Reiz, an Stätten, die um ihrer landschaftlichen Schönheit willen im Sommer von einem rauschenden Fremdenstrom überfluthet zu werden pflegen in stiller Winterszeit zu pilgern. Das ganze Leben ist gleichsam zurückgeschraubt auf einfachere Verhältnisse, der pomphafte Apparat der „Saison“ ist verschwunden, und die großen Gasthöfe mit ihren langen Reihen geschlossener Fensterläden könnten uns wie verwunschene Schlösser anmuthen, wenn ihr Aussehen nicht meist allzusehr der Romantik entbehrte. Der Wanderer ist mehr sich selbst und seiner Stimmung überlassen, er wird nicht auf Schritt und Tritt daran erinnert, daß er nur dazu da ist, an sich Geld verdienen zu lassen.

Das empfand ich recht, als ich kürzlich eine kleine winterliche Wanderung rheinahwärts unternahm. Wie still, wie traumhaft lagen die Städtchen und Dörfer da, wie weltabgeschieden ragten die Schlösser und Ruinen aus dem einförmigen Weiß der dichten Schneehülle! Nur der Strom schien geräuschvoller seines Weges zu ziehen – das machten die treibenden Eisschollen, die mit leisem Knistern an den Eisansätzen des Uferrandes sich rieben.

Eine Stimmung, wie geschaffen zum Sinnen und Erinnern.

Und da lenkte ich meine Schritte unterhalb des Dorfes Rhense mit seinen uralten Mauerresten auch dem Königsstuhl zu, dem schlichten Spitzbogengebäude, das ich bis dahin nur einigemale beim Vorüberfahren mit dem Dampfboot flüchtig aus seinem Obstbaumversteck hatte hervorlugen sehen. Jetzt trat ich in seine Halle und schaute von ihr aus hinüber über den Strom nach den beschneiten Dächern von Oberlahnstein und weiter stromauf nach einer kleinen Kapelle, die sonst auch hinter üppigem Grün sich verbarg. Und da hatte ich ja schon ein ganzes Stück Geschichte vor mir. Hier im Königsstuhl ein Denkmal kurfürstlichen Machtstrebens, das seine Spitze gegen den Kaiser, aher auch gegen das tiefgesunkene Papstthum zu Avignon richtete, und drühen die Wenzelskapelle, wo der traurige König Wenzel diese Macht zu fühlen bekam – in seiner Absetzung.

Rhense hatte um den Anfang des 14. Jahrhunderts eine politisch nicht unwichtige Lage. Die Gebietstheile von vier Kurfürsten stießen hier zusammen, und so kam es, daß es wiederholt als Versammlungsort für die damaligen thatsächlichen Lenker der deutschen Geschicke gewählt wurde. Schon die Wahl Kaiser Heinrichs VII. im Jahre 1308 geschah auf Grund einer zu Rhense getroffenen Vereinbarung, und 1338 erfolgte hier die Gründung des „Kurvereins zu Rhense“, an welchem alle Kurfürsten mit Ausnahme des Königs von Böhmen theilnahmen. In diesem „Kurverein“ verkörperte sich die Verwahrung der deutschen Fürsten gegen den unwürdigen Zustand, daß Kaiser und Reich der Spielball des französischen Königs und des von ihm ahhängigen Papstthums sein sollten. Er gab die Losung aus, daß der durch die Mehrheit der Kurfürsten gewählte römische König einer Bestätigung seitens des päpstlichen Stuhls nicht hedürfe – was freilich nicht ausschloß, daß sich die Kurfürsten ihre Stimme von den Männern ihrer Wahl mit allerhand Vergünstigungen und Machterweiterungen recht theuer bezahlen ließen. Noch drei Reichsoberhäupter wurden in Rhense gewählt, Karl IV. (1346), Wenzel (1376) und Ruprecht von der Pfalz (1400); aber erst 1376 erhielten die Rhenser durch Kaiser Karl IV. den Befehl, gegen Verleihung von Zollfreiheit „hier ein Gestühle zu machen und das allewege zu bewahren und zu halten ewiglich“. Und so erstand denn der Königsstuhl, „von Quadersteinen in der Ründe gebaut mit sieben Schwibbogen, stand auf neun steinernen Säulen, deren eine in der Mitte, war sonst ganz offen und darüber gewölbet; hinauf stieg man achtzehn Staffeln, die Ründe betrug etwa vierzig Ellen im Umkreis, die Höhe acht, und sieben Umsitze waren für die sieben Kurfürsten gemacht, und wenn man in die Trompete stieß, hat jeder der vier rheinischen Kurfürsten auf seinem Schloß (Mainz auf Lahneck, Trier auf Stolzenfels, Köln in Rhense, Pfalz auf Marksburg) es hören können“.

So beschreibt Winckelmann den alten Königsstuhl, und wir müssen uns damit begnügen – denn was wir heute schauen, ist nicht mehr der alte Bau, Die Franzosen haben ihn 1795 zerstört, und erst 1843 ließ eine Anzahl vaterländisch gesinnter Männer auf der geschichtlichen Stätte ein neues, dem früheren ähnliches Bauwerk aufführen. Nur die Grundmauern und das Kapitäl des Mittelpfeilers sind alt.

Es waren keine erfreulichen Bilder aus der Geschichte unseres deutschen Volkes, die so auf der denkwürdigen Stätte vor mir aufstiegen. Und noch weniger waren es die, welche die Wenzelskapelle wachrief. König Wenzel, ein roher und dabei schwacher Fürst in einer rohen und wirren Zeit! Und als Abschluß seiner gewaltthätigen und doch schlaffen Regierung der Richterspruch seiner empörten Vasallen in der kleinen Marienkapelle! „20. August 1400“ meldet eine Inschrift. Das war der Tag, an welchem Wenzel seines Thrones entsetzt wurde; und alsbald traten die Kurfürsten drüben auf dem Königsstuhl zusammen, dem Heiligen Römischen Reich einen neuen Herrn zu setzen in einem aus ihrer Mitte, dem Pfalzgrafen Ruprecht. Vorsorglich hatten sie sich vorher der Zustimmnug des Papstes versichert – eine schmerzliche Ironie des Schicksals, wenn man daran denkt, daß auf derselben Stätte kaum ein Menschenalter vorher jene feierliche Verwahrung gegen jede päpstliche Einmischung in die deutsche Königswahl ausgesprochen worden war. H. E.     

Lebenserinnerungen von Georg Ebers. Es ist begreiflich, daß die deutsche Leserwelt gern Näheres über das Leben ihrer namhaften Schriftsteller erfährt und daß sie sich am meisten freut, wenn sie solche Kunde aus bester Quelle erhält, wenn die Schriftsteller selbst ihren Lebenslauf, ihre Lebenserfahrungen und den Gang ihrer inneren Entwicklung aufzeichnen. Dazu hat sich nun auch Georg Ebers entschlossen, von seiner „Lebensgeschichte“ liegt der erste Band „Vom Kind bis zum Manne“ abgeschlossen vor (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt). Ebers erzählt hier lebendig und offenherzig die Erlebnisse seiner Knaben- und Jünglingszeit; gewohnt, scharfumrissene Charakterbilder zu entwerfen, schildert er die Persönlichkeiten, mit denen er in Berührung kam, in sehr anschaulicher Weise. Das gilt schon von den berühmten Männern, die der heranwachsende Knabe in Berlin kennenlernte, seiner Vaterstadt, wo er am 1. März 1837 geboren wurde. „Am unvergeßlichsten,“ schreibt er, „bleiben mir unsere Begegnungen mit Peter Cornelius, der auch in der Linnéstraße wohnte. Denke ich an ihn, so ist es mir immer, als blicke er mir wieder ins Antlitz. Wer einmal in seine Augen schaute, der konnte sie nimmer vergessen. Tieferen und gewaltigeren bin ich nicht wieder begegnet. Er war ein kleines Männlein mit wachsbleichen und beinahe herben, doch wohlgebildeten Zügen und schlichtem langen kohlschwarzen Haare. Man hätte ihn übersehen können, wenn die Augen nicht gewesen wären, die alles andere an ihm verschwinden ließen, wie das Licht der Sonne den Sternenschein. Sie bewirkten, daß er unter Tausenden die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. Ihr majestätisch leuchtender Blick forderte Gehorsam, und mit ihm hatte er die Massen bezwungen und durchgeistigt, die sein gewaltiger Genius in wunderbar durchdachter Ordnung auf dem kleinen Raum seiner Kartons zusammenführte.“ Von den Brüdern Grimm heißt es: „Ihre mächtigen Gestalten gehören für mich zu den edelsten unvergeßlichen Erinnerungsbildern aus der Linnéstraße. Sie waren gleichsam eins, und man sah sie selten allein. Dennoch hatte jeder die ihm eigene Individualität völlig bewahrt. Wenn je das Aeußere bedeutender Männer der Vorstellung entsprach, die man sich nach ihren Thaten und Werken bildete, so war es das ihre. Man brauchte sie nicht zu kennen, um auf den ersten Blick zu wissen, daß man es mit großen Arbeitern auf dem Gebiet des geistigen Lebens zu thun habe. Nur ob sie Gelehrte seien oder Dichter, hätte auch der geübte Beobachter schwer zu entscheiden vermocht. Ihr lang wallendes gewelltes Haar und ein ideales Etwas, das sie beide umwob und ihnen aus den Augen sprach, hätte vielleicht eher auf diese Vermuthung – die Bildung der gedankenschweren, von strenger Forschung zeugenden Stirnen und die etwas nach vorn gebeugte Haltung auf jene geführt. Wilhelms mildere Züge waren doch wohl die eines Poeten, Jakobs strengere und der durchdringende Blick seiner Augen ließen leichter den großen Forscher in ihm erkennen.“

Dort in Berlin erlebte Ebers auch die Märzrevolution; er durchwanderte die Straßen am 19. und 20. März und schildert ergreifend die Verwüstungen des Kampfes. Die Jahre, die der Knabe dann in der Fröbelschen Erziehungsanstalt Keilhau bei Rudolstadt verlebte, geben Anlaß zu einer anschaulichen Darstellung des dortigen Lebens und Treibens, aus der die Charakterköpfe der Lehrer, meistens Körnerscher Kampfgenossen, wohlthuend und lebendig hervortreten. Von Keilhau kam Ebers auf das Gymnasium nach Kottbus, wo aber eine harmlose Liebesgeschichte ihn in Ungelegenheiten verwickelte, so daß er dort nicht das Abiturientenexamen machen durfte. Er holte dasselbe in Quedlinburg nach, wurde dann Student in Göttingen, studierte anfangs Jurisprudenz, wandte sich aber später in Berlin, nach einer schweren langwierigen Erkrankung, dem Studium der ägyptischen Sprache und Alterthumskunde zu, dem er zeitlebens treu geblieben ist. In diesen letzten Abschnitten des Buches taucht eine sehr anmuthige Mädchengestalt auf, deren Bild Ebers im Schreine seiner Erinnerungen an der geweihtesten Stätte bewahrt, neben dem seiner Mutter, die uns in der pietätvollen Schilderung des Sohnes überall gewinnend und liebenswerth entgegentritt. †     

Das Gefühl. (Zu unserer Kunstbeilage.) Die Kunstbeilagen des vorigen Jahrgangs haben unseren Lesern zu Nummer 20 und 43 gefällige Darstellungen des „Geschmacks“ und des „Gesichts“ aus der Hand des phantasievollen Malers R. Rößler gebracht. Wir lassen heute in der Reihe dieser Allegorien der menschlichen Sinne die des Gefühls folgen, welche Eigenart der Empfindung mit malerischer Anordnung verbindet.



manicula 0Hierzu Kunstbeilage II: Das Gefühl. Von R. Rößler.



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_084.jpg&oldid=- (Version vom 26.9.2023)