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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Gut, ich verlasse mich darauf. Es soll Wichtiges berathen werden. Wir erwarten ein paar Genossen aus Berlin, und da wird man Dich wohl etwas schärfer ins Gebet nehmen wegen Deiner bisherigen Unthätigkeit. Auf nächste Woche denn!“

Er nickte kurz und ging. Draußen vor dem Hause jedoch blieb er stehen und sandte einen bösen Blick zurück, während er halblaut murmelte: „Wenn wir Dich nicht brauchten, nothwendig brauchten! Aber es geht einmal nicht ohne Dich hier in Odensberg. Doch warte nur, mein Junge, wir werden Dich auch noch zahm kriegen mit Deinem Hochmuth!“

Egbert war allein zurückgeblieben, er stand in der Mitte des Zimmers, die Hand geballt und die Stirn tief gefurcht. Man sah es deutlich, daß irgend etwas in seinem Inneren wühlte und kämpfte; plötzlich aber richtete er sich auf und stampfte mit dem Fuße, als wollte er den Kampf da drinnen gewaltsam zum Schweigen bringen. „Nein und abermals nein! Ich habe es nun einmal gewählt, jetzt will ich es auch tragen!“ –

Der Radefelder Grund, sonst ein stilles einsames Waldthal, hallte jetzt wieder von dem Lärm der Arbeiten, die im vollen Gange waren. Ueberall wurde geschaufelt, gegraben und gesprengt, Bäume und Strauchwerk fielen unter der Axt; die rastlose Schar war bereits bis an den Fuß des Buchberges vorgerückt, dessen Durchbruch man eben in Angriff nahm.

Runeck, der heute etwas später als sonst gekommen war, stand auf einer Anhöhe und leitete von dort aus eine größere Sprengarbeit. Auf seinen Befehl hatten sich sämtliche Arbeiter aus dem Bereich der Mine zurückgezogen, die sich jetzt mit dumpfen Schlägen entlud. Die Felswand, der das Zerstörungswerk galt, spaltete sich, ein Theil derselben blieb aufrecht stehen, während der andere zusammenstürzte; die Erde erzitterte ringsum, als die mächtigen Blöcke mit schwerem Falle niederrollten.

Die Gruppe der Arbeiter am Fuße der Anhöhe löste sich auf; auch Runeck verließ seinen Platz, um die Wirkung in der Nähe zu besichtigen, als ein alter Aufseher herantrat und meldete:

„Herr Ingenieur – die Herrschaften von Odensberg.“

Egbert blickte auf, in der Erwartung, den Wagen Dernburgs zu sehen, der öfter herauskam, um den Stand der Arbeiten zu besichtigen, aber plötzlich zuckte er so jäh und heftig zusammen, daß der Alte ihn verwundert ansah.

Drüben am Eingang der Schlucht hielten Erich Dernburg und Cäcilie Wildenrod zu Pferde, während der Reitknecht abgestiegen war und die Thiere, die bei dem Lärme der Sprengarbeiten unruhig geworden zu sein schienen, fest am Zügel hatte. Der junge Ingenieur wurde indessen schnell Herr seiner Ueberraschung und ging hinüber zu den Wartenden, Erich streckte ihm herzlich die Hand entgegen. „Wir halten Wort, Egbert, und überfallen Dich ohne jede Anmeldung. Willst Du uns einen Einblick in Dein Reich gestatten?“

„Ich stehe gern zu Diensten,“ entgegnete Runeck, indem er sich vor der jungen Dame verneigte, die sich jetzt leicht und anmuthig vom Pferde schwang und dabei kaum die dargebotene Hand ihres Verlobten berührte.

„Wir haben in Radefeld angehalten und durch die offenen Fenster einen Blick in Ihre Wohnung geworfen, Herr Runeck,“ sagte sie. „Mein Himmel, welche Umgebung! Haben Sie denn wirklich die Absicht, den ganzen Sommer dort auszuhalten?“

„Weshalb nicht?“ fragte Egbert gelassen. „Wir Ingenieure sind bald hier bald dort und müssen ein Unterkommen nehmen, wo es sich bietet.“

„Aber Du hast ja Deine behagliche Wohnung in Odensberg, und ein Wagen steht Dir jederzeit zur Verfügung,“ warf Erich ein. „Weshalb bleibst Du nicht dort?“

„Weil ich dann täglich drei Stunden mit Hin- und Herfahren verlieren würde. Ich habe in Radefeld meine Bücher und meine Arbeiten, im übrigen bin ich unabhängig von der Umgebung.“

„Ja, Du bist eine spartanisch angelegte Natur, körperlich wie geistig,“ sagte Erich mit einem Seufzer, „Ich wollte, ich könnte es Dir gleichthun, aber bei mir ist leider keine Rede davon. Ich habe mich doch allzusehr verwöhnt im Süden und muß das jetzt büßen.“ Er schauerte fröstelnd zusammen; offenbar litt er mehr unter dem Klima der Heimath, als er sich selbst eingestehen wollte. Er sah blaß und angegriffen aus, und der Ritt durch den Wald schien für ihn eher eine Anstrengung als ein Vergnügen gewesen zu sein.

Um so blühender erschien die junge Braut, die an seiner Seite stand. Ihr war der scharfe und ziemlich weite Ritt nur ein Spiel gewesen, und sie hatte ungeduldig genug sich der Rücksicht auf Erich gefügt. Sie war es gewohnt, wild und tollkühn dahinzujagen, der Bruder war darin ihr Lehrmeister gewesen, und sie begriff es nicht, daß man sich beim Reiten ängstlich und vorsichtig zeigen konnte wie Erich. Uebrigens strahlte sie heute von Heiterkeit und Uebermuth, selbst Egbert wurde mit großer Liebenswürdigkeit behandelt; kein Blick, kein Wort erinnerte an jene Gereiztheit bei der ersten Begegnung.

Die Arbeiter grüßten ehrerbietig den jungen Herrn und dessen Braut, der alle Blicke bewundernd folgten. Cäciliens Schönheit feierte selbst hier einen Triumph, nur Egbert Runeck schien völlig unempfindlich dagegen zu sein.

Er machte den Führer durch die im Entstehen begriffenen Anlagen, deren Einzelheiten er seinen Gästen ausführlich zeigte und erklärte, aber er beobachtete der Baroneß Wildenrod gegenüber dieselbe kühle Zurückhaltung wie früher und wandte sich meist an Erich, an dem er freilich keinen besonders aufmerksamen Zuhörer hatte. Der junge Erbe zeigte nur eine matte, halb erzwungene Theilnahme bei all diesen Dingen, die doch ihn in erster Linie angingen.

„Es ist unglaublich, was Du alles in den wenigen Wochen geschaffen hast,“ sagte er endlich mit aufrichtiger Bewunderung. „Das wäre etwas für meinen Schwager, der jetzt den ganzen Tag in den Odensberger Werken steckt und sich förmlich zum Assistenten von Papa gemacht hat, Ich hätte nie geglaubt, daß Oskar ein so leidenschaftliches Interesse für solche Dinge hat.“

Runeck antwortete nicht, aber es zuckte bei den letzten Worten verächtlich um seine Lippen, Erich, der das nicht bemerkte, fuhr unbefangen fort: „Noch eins, Egbert, wir machten kürzlich einen Ausflug in die Berge, und da wollen einige von unserer Gesellschaft bemerkt haben, daß das große Kreuz auf dem Albenstein sich gesenkt habe. Papa wünscht, daß die Sache eingehend untersucht wird, damit kein Unglück geschieht. Hast Du unter Deinen Leuten hier jemand, der das Wagniß unternimmt?“

„Gewiß“, stimmte Runeck bei. „Das könnte allerdings gefährlich werden, wenn das schwere Kreuz eines Tages von der hohen Klippe herabstürzte, die Fahrstraße führt gerade unten vorbei. Ich gehe in den nächsten Tagen selbst hinauf, um nachzusehen.“

„Auf den Albenstein?“ fragte Cäcilie, die aufmerksam geworden war. „Er ist ja unzugänglich, wie es heißt.“

„Für gewöhnliche Menschenkinder allerdings,“ scherzte Erich. „Man muß schon Egbert Runeck heißen, um einen solchen Spaziergang auf unsere gefährlichste Klippe zu unternehmen. Ich glaube, er ist schon drei- oder viermal oben gewesen.“

„Ich bin geübt im Bergsteigen,“ sagte Egbert gelassen. „Als Knabe habe ich mich auf allen Felsen und Klippen meiner Heimath umhergetrieben und das verlernt sich nicht. Unzugänglich ist der Albenstein übrigens nicht, er fordert nur einen schwindelfreien Blick und die nöthige Kaltblütigkeit, dann ist der Weg zu zwingen.“

„Um Gotteswillen, sprich das nicht aus!“ rief Erich lachend, aber doch mit einer gewissen Unruhe. „Cäcilie könnte sonst auf den tollkühnen Gedanken zurückkommen, mit dem sie mich neulich so erschreckte. Sie wollte durchaus auf den Albenstein.“

Runeck schien diesen Einfall auch unerhört zu finden, er blickte fragend und befremdet auf die junge Dame, die in übermüthigem Tone erwiderte: „Nun ja! Ich möchte einmal da droben am Kreuz stehen, in der schwindelnden Höhe, unmittelbar über dem jähen Absturz. Das muß ein schaurig süßes Gefühl sein! Erich entsetzt sich freilich schon bei dem bloßen Gedanken daran.“

„Cilly, Du quälst mich mit solchen Scherzen!“

„Du hältst das für Scherz? Und wenn ich nun Ernst daraus machen wollte – würdest Du mit mir gehen?“

„Ich?“ Der junge Mann sah aus, als muthete man ihm zu, von der in Rede stehenden Klippe herabzuspringen. Um die Lippen seiner Braut spielte ein mitleidiges, fast verächtliches Lächeln; sie zuckte kaum merklich die Achseln.

„Nun, beruhige Dich nur! Solch eine Liebesprobe fordere ich nicht – ich würde allein gehen.“

„Cilly, ich bitte Dich um Gotteswillen!“ rief Erich jetzt im vollen Ernste erschreckt, aber Egbert unterbrach ihn mit ruhiger Bestimmtheit:

„Du brauchst in dieser Beziehung keine Sorge zu haben. Das ist kein Weg für verwöhnte Damenfüße. Baroneß Wildenrod

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_087.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)