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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

dem Wasserzeichen in einem der Schreibhefte des Knaben überein. Das Siegel auf dem Briefe war nach dem Gutachten zweier Graveure der Abdruck des Petschafts, welches der Gastwirth H. besaß.

Der Magister Tinius beging die Unvorsichtigkeit, vom Untersuchungsgesängniß aus an seine Bekannten Briefe zu schreiben, worin er ihnen über das, was sie thun und aussagen sollten, Anweisungen gab. Er glaubte, einen zuverlässigen Weg gefunden zu haben, um diese Briefe unbemerkt an die Adressaten zu befördern, und die Gerichtsbehörde ließ ihn in diesem Glauben, nachdem sie geeignete Maßregeln ergriffen hatte, um alle seine Briefe in ihre Hand zu bekommen. So schrieb er, nachdem er die Verfasserschaft des bei der Frau Kunhardt vorgefundenen Briefes vor dem Richter abgeleugnet, an einen Bekannten, er möge doch ein Petschaft wie das des Gastwirts H., der übrigens mit Tinius befreundet war, nachstechen lassen und an das Untersuchungsgericht schicken, damit es zu der Ueberzeugung gebracht werde, daß Petschafte dieser Art mehrfach im Gebrauch seien.

Es ist begreiflich, daß es dem Angeschuldigten vor allen Dingen darauf ankam, für die zwischen 8 und 9 Uhr liegende Stunde an jenem Montag sein Alibi nachzuweisen. Er schrieb deshalb an einen Kantor H. in Leipzig: „Sie werden wissen, wie ich durch das boshafte Angeben einer Dirne, als hätte ich ihre Frau erschlagen, in Untersuchung gekommen bin. Ich sehe nun, daß alles auf Zeugen ankommt, bitte Sie also, auf Befragen auszusagen, daß ich am 8. früh gegen ein Viertel auf acht durch Ihre Thür in Ihre Stube gekommen und nach einem Lotterielose gefragt – daß ich mich eine Viertelstunde aufgehalten und sodann fortgegangen – daß ich mit einem modischen Frack bekleidet gewesen ohne Reitmantel. Mein Vorrath von Dank soll groß sein.“ Später änderte er diese Bestimmung etwas und schrieb an denselben Adressaten: „Ob Sie sagen sollen, mit oder ohne Reitmantel, hängt davon ab, was Herr Buchhändler L. ausgesagt hat.“ An diesen Buchhändler hatte er nämlich wegen der ihm wünschenswerthen Aussagen auch schon geschrieben. Den Kantor wies er ferner an, der Sicherheit wegen noch einen Freund aufzusuchen, der angeben könnte, den Kantor zwischen 8 und 9 Uhr besucht und bei dieser Gelegenheit ihn, den Prediger Tinius, dort angetroffen zu haben; er, Tinius, wolle dem Kantor sechs Louisd’or und noch mehr dafür zahlen lassen. „Ich müßte aber Nachricht haben, um in diesem Falle meine Aussage danach einrichten zu können.“ An seinen Freund, den Magister St., schrieb er, er möge nach Poserna reisen. „Nimm alles weg,“ hieß es in dem Briefe wörtlich, „was nicht unschuldig ist.“ Die letztere Aeußerung kommt beinahe einem Geständniß gleich.

Als dem Magister Tinius schließlich alle seine Briefe vorgelegt wurden, versuchte er die Ausrede, die Anschuldigung des Mordes habe seine Gedanken verwirrt. Sein Verteidiger brachte auch diesen Gesichtspunkt mit großem Nachdruck zur Geltung, ohne aber bei den Richtern damit durchzudringen. Es liegt auf der Hand, daß ein verwirrter Mensch diese wohlüberlegten, zu Meineid auffordernden Briefe ebensowenig geschrieben hätte wie ein mit Unrecht verdächtigter.

Der oben zuerst erzählte, an dem Kaufmann Schmidt verübte Raubmord schien von den Richtern ganz vergessen zu sein, obwohl es eigentlich nahe gelegen hätte, ihn mit Tinius in Verbindung zu bringen. Da wurde die Sache, als Tinius einige Zeit in Haft gewesen war, von einer Seite angeregt, von der man es am wenigsten hätte erwarten sollen, nämlich – von Tinius selbst. Ehe er wissen konnte, daß seine Briefe aufgefangen wurden, schrieb er nämlich an seinen Freund St.: „Sollte etwa die Schmidtsche Geschichte mit hineingezogen werden – welches man aber jetzt gar nicht äußern darf und mag – sollte der Gastwirth H. darüber befragt werden, so soll er sagen, wie ich ihm im eingeschlossenen Zettelchen geschrieben habe, denn so war es, wie ich mich erinnere, und so müssen wir konform bleiben.“ Dieser Zettel und andere schriftliche Anweisungen bezogen sich auf den Nachweis eines Alibi für die Stunde zwischen 10 und 11 Uhr am 28. Januar 1812, dem Tage der Ermordung Schmidts, und auf das Beiseiteschaffen einer Pekesche und eines Schifferhutes, die im Pfarrhause lagen, solcher Kleidungsstücke also, wie sie der Verkäufer der dem Kaufmann Schmidt geraubten Obligationen beim Betreten des Fregeschen Comptoirs getragen hatte.

Die Untersuchung wegen des Schmidtschen Mordes wurde daraufhin wieder aufgenommen. Es wurde ermittelt, daß Tinius Mitte Januar des Jahres 1812 in dringender Geldverlegenheit gewesen war, daß er dann aber am 10. Februar den Preis für eine Bibliothek, die er aus dem Nachlaß eines Professors in Halle angekauft hatte, mit 300 Louisd’or baar erlegt und daß er um dieselbe Zeit noch andere Schuldsummen von etwa gleich hohem Gesammtbetrage in Gold heimgezahlt hatte.

Die drei Angestellten des Fregeschen Bankgeschäftes, welche den Verkäufer jener Obligationen gesehen oder abgefertigt hatten, wurden dem Magister Tinius gegenübergestellt. Näher zu thun gehabt hatte mit ihm nur der Kassierer, und dessen Zeugniß konnte in keinem Falle schwer wiegen, da er, wie oben erzählt ist, unmittelbar nach dem Verkauf einen Unbeteiligten irrigerweise als Verkäufer angegeben hatte. Ein zweiter Angestellter war mit dem Fremden im Comptoir zusammengewesen, hatte aber nicht sonderlich auf ihn geachtet, und der dritte Angestellte hatte ihn nur durch die geöffnete Thür des Nebenzimmers flüchtig gesehen. Alle drei Zeugen stimmten in der Aussage überein, daß Tinius in Alter, Aussehen und Haltung mit dem Verkäufer Aehnlichkeit habe; die Identität beider aber konnten sie nicht sicher behaupten.

Von fast entscheidender Wichtigkeit würde das Zeugniß der Schmidtschen Haushälterin gewesen sein, welche den Fremden zu ihrem Herrn ins Zimmer geleitet hatte; aber sie war bereits verstorben,

Während dieser Nachforschungen erstattete der Amtmann Hoffmann in Suhl dem Gericht Anzeige von einem Vorfall, der Tinius wiedernm in einem schlimmen Lichte zeigte.

Am 19. Januar 1813, also einige Wochen vor Ermordung der Frau Kunhardt, trat abends um sieben Uhr ein Fremder in das Hans des Amtmanns und wünschte ihn in Geschäften zu sprechen. Er gab dem Diener an, er heiße Lange und sei Bureaubeamter des Appellationsgerichtsraths Gröbel in Dresden. Der Diener führte ihn, da der Amtmann eben Besuch hatte, in die Gesindestube. Hier brannte ein Licht, und nun erkannten der Diener, dessen Frau und noch eine zufällig anwesende Witwe in dem Fremden trotz der Brille, die er ausnahmsweise trug, sofort den Prediger Tinius. Sie hatten ihn früher in der Ortschaft, wo er im Amte stand, ehe er nach Poserna kam, wiederholt predigen hören und waren ihrer Sache so sicher, daß sie zu ihm sagten, er sei doch der Prediger Tinius und nicht der Beamte Lange. Aber der Fremde bestritt das und fragte, wer denn Tinius sei. Er wünschte, daß man das Licht, das man vor ihn hingesetzt hatte, weiter entferne, weil er schlimme Augen habe. Auch bat er, ihn nicht eher anzumelden, als bis der Besuch fortgegangen und der Amtmann allein sei. Ferner erkundigte er sich, ob der Amtmann einen Hund um sich habe. Man bejahte diese Frage mit dem Bemerken, daß der Hund sehr bissig sei und einem, der seinen Herrn angreife, wohl Nase und Ohren abbeiße. Der Fremde sagte daraus, man möge, wenn er in das Zimmer des Amtmanns gehe, den Hund beseitigen, denn Hunde seien ihm zuwider. Nach einer Weile kam der Hund in die Gesindestube und umschnupperte den Fremden; die Anwesenden bemerkten aber, daß dieser nun sich um den Hund nicht weiter bekümmerte.

Nach einstündigem Warten entfernte sich der beim Amtmann weilende Besuch und der Fremde wurde eingelassen. Er stellte sich als den Bureaubeamten Lange vor und überreichte einen mit dem Namen des Gerichtsrathes Gröbel in Dresden unterzeichneten Brief, worin der Amtmann gebeten wurde, dem Ueberbringer einen Rechtskonsulenten zu empfehlen und bei Besichtigung und Ankauf eines bestimmten Landgutes, das nicht weit von Suhl lag, behilflich zu sein. Der Amtmann erwiderte seinem Besucher zunächst, er halte ihn für den ihm von früher her bekannten Prediger Tinius. Nach einigem Leugnen gab der Fremde zu, daß er der Prediger Tinius sei. Noch war aber der Amtmann harmlos, äußerte, die Besichtigung des Gutes sei wegen des gefallenen Schnees für jetzt unthunlich, behielt den Prediger zu Tisch und bot ihm auch ein Nachtlager an. Tinius verabschiedete sich jedoch gegen halb elf Uhr, weil er zu dieser Stunde eine Gelegenheit zur Rückfahrt habe. Den Brief ließ er sich zurückgeben – man fand ihn später in der Pfarre zu Poserna – bat auch, von seinem Besuch in Suhl zu schweigen. Dem Amtmann, der nachträglich seine eigenen Wahrnehmungen mit denen der Dienerschaft vergleichen konnte, kam nun der Besuch des Magisters Tinius um so verdächtiger vor, je länger er darüber nachdachte.

Vor dem Untersuchungsrichter gab Tinius die von dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_090.jpg&oldid=- (Version vom 8.6.2020)