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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

trotzdem nicht den Ausschlag. Es handelt sich um meine Menschenpflicht, und diese steht mir höher als jede andere. Wenn Excellenz dies als thöricht verurteilen, muß ich es mir gefallen lassen wie alle übrigen Folgen. Ich hoffe, Excellenz werden nun umsoweniger meinem Abschiedsgesuch etwas in den Weg legen.“

„Den Teufel auch – was ich nur immer kann! Dieses Gesuch wäre einfach überspannt! Bei Ihren gesunden Knochen besitzen Sie ja gar keinen Vorwand dafür.“

Herbert lächelte trübe. „Der Vorwand pflegt sich immer zu finden, Excellenz. Ich würde aber einen solchen verschmähen und unumwunden meine Gründe aussprechen; ich glaube nicht, daß man dann die Genehmigung meiner Verabschiedung irgendwie hintanhalten wird.“

„Na, ich kann Ihnen nur noch einmal sagen, machen Sie keine Dummheiten, die Sie Ihr ganzes Leben hindurch nicht verdauen würden! Gerade jetzt gehen zu wollen, wo Sie vor einem so wichtigen auszeichnenden Kommando stehen! Also – überlegen Sie die Sache noch einmal!“

„Sie ist überlegt, Excellenz.“

Halb bekümmert, halb ärgerlich erhob sich der Chef und verließ mit einem „Wollen sehen!“ die Offizierskammer. – –

Obgleich Herbert sich noch an allen Gliedern wie zerschlagen fühlte, machte er sich dennoch, sobald er nur einigermaßen seine Bewegungsfähigkeit wieder erlangt hatte, auf den Weg nach dem Stranddorf.

Wohl war er sich bewußt, daß er als Schuldiger, als Bittender zu erscheinen habe, aber ihn ermuthigte auf der anderen Seite das Bewußtsein, eine Sühne mit sich zu bringen, wie sie die Eltern kaum hätten erhoffen können.

Als er in das Schulhaus trat, kam ihm Trina mit dick verschwollenen Augen entgegen.

„Was macht Hilde?“ fragte er erregt.

Trina zuckte finsteren Blickes die Achselm „Noch lebt sie, Herr Leutenant. Sie sollten ihr aberst lieber nich nahe kommen. Was haben Sie uns hier angericht’!“

Herbert antwortete nicht, denn eben erschien die Gestalt des Hausherrn dem er in der nächsten Sekunde gegenüberstand. Er stürzte ihm fassungslos um den Hals.

„Lieber, lieber Herr Jaspersen, verzeihen Sie mir! Ich bin furchtbar leichtsinnig gewesen, aber nicht schlecht! Lassen Sie mich gut machen, was ich gefehlt habe, und geben Sie Ihre väterliche Zustimmung zu dem Schritt, der uns allen wieder frohe Tage verschaffen soll!“

Herr Jaspersen wehrte der Umarmung nicht, aber er blieb ernst und sogar traurig. Er schaute in der Zukunft keine frohen Tage mehr, doch ebensowenig sah er den Hauptschuldigen in dem jungen Manne.

„Kommen Sie zu mir in meine Stube, Herr Lieutenant! Dort können wir ungestört reden. Es ist besser, Sie sehen meine Frau heute nicht; und Hilde, obgleich außer jeder Gefahr, darf noch niemand sprechen.“

Dem Offizier fiel bei dieser Auskunft über das Befinden der Geliebten eine Centnerlast vom Herzen. Drinnen ergriff er die Hand des Lehrers und drückte sie an die Lippen.

„Verehrter Herr Jaspersen, ich wollte keine Minute Zeit verlieren, um Sie über das Wichtigste zu beruhigen, was es für uns beide auf Erden giebt: über Hildes Ehre! Es ist nichts zwischen uns vorgefallen, was nur den leisesten Schatten auf sie fallen ließe!“

Der Lehrer schüttelte den grauen Kopf, als ob er dergleichen auch nicht erwartet hätte, während Herbert tief athmend, aber entschlossen fortfuhr: „Auch der böse Schein nach außen vermag ihr nichts anzuhaben, denn ich bitte Sie hiermit inständig und demüthig: geben Sie mir Ihre Tochter zur Frau!“

Eine bange Pause trat ein. Der Lehrer hielt die Augen gesenkt. Bebend vor Erregung, in qualvoller Spannung schaute Herbert ihn an. Der einfache Mann glaubte wohl noch nicht recht an seinen Antrag!

„Es ist mein heiliger Ernst, Herr Jaspersen!“ rief er dringend. „Sagen Sie nicht ‚Nein‘! O, Sie wissen nicht, wie grenzenlos ich Hilde liebe!“

Der Lehrer hob die klaren Augen und schaute prüfend auf den durch die unerwartete Zurückhaltung äußerst verwirrten jungen Mann. „Ich glaube Ihren Versicherungen, Herr Lieutenant – nur eine Frage: Werden Sie als Marineoffizier meine Tochter heirathen dürfen?“

„Soviel ich weiß, nein! Ich werde meinen Abschied nehmen.“

Herr Jaspersen trat einen Schritt zurück. „Ihren Abschied nehmen? Haben Sie bedacht, was das für Sie heißt?“

„Ich habe es bedacht.“

Schweigend wendete sich der Lehrer ab, und als er sich wieder umkehrte, schimmerte es feucht in seinen blauen Augen. Gleichzeitig aber zeigte sich um seinen Mund ein Zug, der ebensosehr von einem festen Willen wie von innerem Schmerz Kunde gab.

Langsam reichte er Herbert die Hand, indem er sagte: „So sehr ich die Gesinnung ehre, die aus Ihren Worten spricht, Herr Lieutenant, so muß ich doch das große Opfer, das Sie uns, das Sie meinem Kinde bringen wollen, ein für allemal ablehnen.“

Unwillkürlich die Hand zurückziehend, tief betroffen, starrte Herbert auf den Redenden. „Warum, warum?“ stammelte er.

„Warum? Weil auf diesem Wege das nicht erreicht wird, was Sie doch gerade anstreben – das Glück meiner Tochter!“

„Nicht auf diesem Wege? O, Herr Jaspersen, Sie irren sich! Hilde sieht ihr Glück nur bei mir und kann es also nur auf diesem Wege finden. Ganz abgesehen davon, daß ihr guter Ruf. einzig und allein durch unsere Verlobung vor Schaden behütet wird.“

Der Lehrer zog die Augenbrauen zusammen „Auf Hildes guten Ruf hätten Sie früher bedacht sein sollen. Aber lieber diesen Schaden hinnehmen, als ihn durch einen schlimmeren heilen wollen!“

„Ich verstehe Sie nicht, Herr Jaspersen! Hilde wird nicht so denken wie Sie, und Sie haben nicht das Recht, ihren Ruf gegen ihren Willen preiszugeben. Für ihre Ehre, die auch die meinige ist, werde ich in die Schranken treten, selbst wenn der eigene Vater –“

„Gemach, gemach, junger Freund!“ mahnte der Lehrer, seine Hand ausstreckend. Doch Herberts Rede brauste fort:

„Nun ja, selbst Ihnen gegenüber, wenn es sein muß! Warum weisen Sie mich zurück? Glauben Sie vielleicht, daß ich meine Vergangenheit im Leichtsinn abbreche? O, ich versichere Sie, es hat mich einen schweren, sehr schweren Entschluß gekostet, diesem Beruf, an dem mein Herz hängt, zu entsagen! Oder fürchten Sie, daß ich als Verabschiedeter nicht genügend für Hildes Existenz sorgen könnte? Ich bin nicht reich, Herr Jaspersen, allein ein brauchbarer Seemann findet auch auf der Kauffahrteiflotte sein sicheres Auskommen!“

Herbert hatte die letzten Worte mit einer ausdrucksvollen Handbewegung begleitet, jetzt schwieg er in tiefer Spannung.

„So,“ sagte der Lehrer, „ich habe Sie angehört, nun lassen Sie auch mich ausreden! Ich will Ihnen meine Gründe nicht vorenthalten. Den Ernst Ihres Anerbietens unterschätze ich keineswegs. Von den materiellen Verhältnissen will ich gar nicht sprechen, ich halte Sie für einen tüchtigen Mann, bei dem dergleichen keine Sorge zu machen braucht. Was mir aber die Einwilligung unmöglich macht, das sind drei Dinge: mein Stolz, mein Gewissen, die Liebe zu meiner Tochter. – Was Sie aus Leidenschaft und lebhaftem Gerechtigkeitssinn aufgeben wollen, besitzt in Ihren Augen, wie ich aus Ihrer eigenen Aeußerung vorhin schließen darf, eine allzuhohe Bedeutung. Ihr jetziger Beruf mit seinen Aussichten, Ihre Standesbeziehungen sind Ihnen zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen, als daß Sie nicht das Gefühl hätten, mit dem Aufgeben alles dessen ein unverhältnißmäßig großes Opfer zu bringen. Und Ihre Familie, Ihre Kameraden und Vorgesetzten würden wohl dieses Gefühl in erheblich verstärktem Maße theilen und uns einfache Schulmeistersleute in dem Verdacht haben, in niedriger Berechnung das Verhältniß begünstigt zu haben. Dagegen sträubt sich mein Stolz, Herr Lieutenant!“

Der Lehrer hielt einen Augenblick inne. Herbert schaute stumm zu Boden und nagte an seiner Unterlippe.

„Was mein Gewissen einwenden muß und die Liebe zu meiner Tochter,“ fuhr Herr Jaspersen fort, „das werden Sie sich jetzt selber sagen können. Sie sowohl wie Hilde müßten unglücklich werden, wenn Sie ihr die Hand nur unter solchen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_095.jpg&oldid=- (Version vom 9.6.2020)