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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Opfern reichen dürfen. Sobald der Rausch verflogen wäre, träte die Sehnsucht nach der glänzenderen Vergangenheit, die Enttäuschung an die Stelle. Ich will gerne glauben, mein lieber Herr Gebhardt, daß Sie selbst viel zu edel denken würden, um Hilde dann absichtlich fühlen zu lassen, was Sie alles für sie hingegeben haben, aber Ihr offenes leicht erregbares Wesen könnte seine innersten Gedanken gar nicht verstecken, und Hilde ist viel zu klug, um diese Wandlung nicht sehr bald zu merken, sie ist eine viel zu innerliche Natur, als daß sie nicht in bitterstem Maße darunter leiden würde. Was jetzt an böser Nachrede entsteht, wird wieder verschwinden und bedeutet nur wenig gegenüber jener ganzen unglücklichen Zukunft, die höchst wahrscheinlich kommen müßte, Und darum übernehme ich ruhig die Verantwortung, die aus der Abweisung Ihrer Werbung entsteht.“

„Wahrscheinlich, höchst wahrscheinlich – sagen Sie!“ rief Herbert leidenschaftlich. „Und dieser Wahrscheinlichkeit wegen wollen Sie Hilde und mich mit Gewißheit unglücklich machen? Ich weiß, ich habe Ihnen Anlaß zum Mißtrauen gegeben, und doch täuschen Sie sich in mir, in dem Maß meiner Liebe zu Hilde! Wie wenig bedeutet alles, was ich aufgebe, gegen das herrliche Gut, das ich dafür eintausche!“ Und die Hand des Lehrers ergreifend, bat er innig: „Lieber, lieber Herr Jaspersen! Sie sind doch auch jung gewesen und haben die Macht der Liebe gespürt! Sie müssen Hilde und mir nachempfinden, daß wir nach solchen Ereignissen zusammengehören für alle Zeit. Und lassen Sie auch Ihre Frau reden, hören Sie vor allem Hilde selbst! Ihr steht das Recht der Entscheidung zu!“

Der Lehrer befreite sanft seine Hand. „Wozu erst Hildes Entscheidung anrufen, Herr Lieutenant? Sie ist noch ein Kind und schaut nicht so weit in die Zukunft. Zudem erträgt ihr Befinden keine Aufregung. Stören Sie den Frieden meines Hauses, den Seelenfrieden meiner Tochter nicht mehr – suchen Sie zu vergesse, wie wir vergessen müssen!“

„Niemals!“ rief Herbert, indem er sich hoch aufrichtete; seine Augen blitzten. „Ich fordere die Entscheidung durch Hilde selbst als mein gutes Recht, das ich mir im Angesicht des Todes erkämpft habe!“ So stand er da, eben noch bittend wie ein Kind, jetzt ein stolzer gebietender Mann. Hildes Vater begriff die Leidenschaft seiner Tochter mehr als je, und doch durfte er sich durch das Feuer der Jugend nicht hinreißen lassen, noch weniger freilich ihr gutes Recht mißachten!

„Gut denn, Hilde mag entscheiden,“ sagte er endlich.

„Wann?“

„Sobald sie imstande sein wird, soll Hilde Ihnen schreiben! Bis dahin müssen Sie sich gedulden. Dabei darf ich erwarten, daß Sie in keiner Weise versuchen werden, sich uns vorher wieder zu nähern.“

Jaspersen schwieg, und Herbert sann einige Sekunden nach. „Es sei!“ rief er dann zuversichtlich. „Ueber diese bittere Ungewißheit wird ja auch noch hinwegzukommen sein!“

Bewegt streckte der Lehrer ihm die Hand entgegen. „Dann gehen Sie mit Gott, Herr Gebhardt!“

„Haben Sie Dank, Herr Jaspersen, für das warme Gefühl, das Sie mir zeigten! Zwar hoffte ich diese Schwelle heute anders verlassen zu dürfen, allein ich gebe das Ziel nicht verloren. Grüßen Sie Hilde tausendmal! Und nun – auf frohes Wiedersehen!“

Der Lehrer erwiderte nichts mehr, sondern entließ seinen Besucher mit einem stummen Händedruck.

Vor dem Hause blieb Herbert einen Augenblick stehen; er schaute voll heißer Sehnsucht nach dem Fenster, hinter dem er das Zimmer der Geliebten wußte. Eine ruhige Zuversicht überkam ihn, daß sich alles zum Guten wenden werde. Und dazwischen hinein war es ihm doch wieder, als hätte er sich auf einen herrlichen Sommertag gefreut, und nun sei der Nebel, statt sich zu zertheilen, nur noch dichter vor die Sonne getreten.

*      *      *

Früh schon raffte sich der junge Offizier am nächsten Morgen von seinem Lager auf, während die Kameraden alle noch tief im Schlummer lagen.

Nachdem die erste dringendste Sorge um Hilde beschwichtigt war, ließ ihm das Schicksal seines treuen Burschen keine Ruhe mehr. Er wollte sobald als möglich ans Land gehen und selbst die genauesten Nachforschungen anstellen.

Noch befand er sich beim Ankleiden und ärgerte sich trotz seiner weit abirrenden Gedanken über den Ersatzburschen, der in natürlicher Unbefangenheit die Zahnbürste zwischen die Haarbürsten gelegt hatte, als es plötzlich auf merkwürdig bekannte Art an die Zimmerthür klopfte. Herbert horchte hoch auf.

„Werda?“

„Ich!“

Diese höchst allgemeine Antwort schien im vorliegenden Falle vollständig ausreichend, denn Herbert riß hastig die seitlich verschiebbare Thür nebst der Portiere zurück. „Frettwurst! Mann, wo kommen Sie her?“

Frettwurst bemühte sich, die Arme in steifer dienstlicher Haltung am Leibe festzuhalten, während ihm die dicken Freudenthränen in den Augen standen. „Ich melde mir ganz gehorsamst zurück, Herr Leutenant.“

Den Vorgesetzten vergessend, zog Herbert den Burschen zur Kammer herein, wo er ihm auf die unbeschädigt gebliebenen, breiten Schultern und die wohlerhaltenen Backen klopfte und wieder und wieder seine braunen Fäuste drückte.

„Frettwurst! Alter, lieber Kerl! Wie freue ich mich, daß ich Sie wieder habe! Es hätte mich mein Leben lang gekränkt, wenn Sie treue Seele hätten dran glauben müssen! Aber nun erzählen Sie doch bloß ’mal, was Sie für Fahrten gemacht haben!“

„Blots eine, Herr Leutenant, und die war man kurz, indem ich bald mit die Jolle gekentert bin. Sie ist futsch, Herr Leutenant, und auch die Botter.“

„Also wirklich gekentert!“ rief Herbert, der sich den doppelten Verlust nicht sonderlich zu Herzen zu nehmen schien. „Dachte ich mir’s doch fast, daß Sie tollkühn versucht hätten, die ‚Bachstelze‘ zu erwischen. Aber wie wurden Sie gerettet und wo sind Sie so lange geblieben?“


Frettwurst berichtete. Der arme Bursche hatte namenlos gelitten, schlimmer noch als sein Herr, doch dank seinem eisenfesten Körper mit so gut wie gar keinen Folgen. Stundenlang auf dem Kiel der Jolle reitend, war er zu seinem Heile von der Strömung auf eine Insel in der Nähe des Festlandes zugetrieben worden. Gerade als er, um seinen Qualen ein Ende zu machen; freiwillig in die Tiefe hatte hinabgleiten wollen, war er auf Grund gestoßen und hatte sich mit Verlust der Jolle ans Ufer retten können. Landeinwärts irrend, dem Zusammenbrechen nahe, erreichte er eine Bauernkathe, in der er liebreiche Aufnahme fand. Aber seine völlige Erschöpfung und die ungünstige Verbindung der Insel mit dem Festland hatten es zunächst unmöglich gemacht, der Garnison seine Rettung zu melden.

Als Frettwurst sein Garn fertig gesponnen hatte, erzählte ihm Herbert kurz auch sein und Hildes Abenteuer. Der Bursche wurde sehr gerührt. „Uns Fräuln, uns lütt gnädiges Fräuln,“ rief er, „das wär’ auch Sünd’ und Schad’ um gewesen, wenn sie schon so jung verdrunken wär’! O, Herr Lentenant, ich freu’ mir meist ebenso, ihr wieder zu sehen, als meinen gnädigsten Herrn Leutenant!“

Herbert strich sich erröthend über die Stirn. „Sie werden sie bald sehen, hoffe ich. Uebrigens – haben Sie schon gefrühstückt, Frettwurst?“

„Zu Befehl, Herr Leutenant; an Land!“

„Na, dann können Sie gleich hier den Rock ausbürsten. Ein Glück, daß ich Sie wieder habe! Der Mensch, der Hansen IV, hat schon den größten Unfug unter meinen Sachen angerichtet.“

Mißbilligend glitt der Blick des Matrosen durch die Kammer. In der That, da stand zum Beispiel gleich das Bild von des Herrn Lieutenants Vater links und das von des Herrn Lieutenants Mutter rechts, statt umgekehrt!

Es war entschieden die höchste Zeit gewesen, der Wirthschaft von Hansen IV ein Ziel zu setzen!

In dem Schwunge, mit dem Frettwurst nun den Rock reinigte, spiegelte sich vollendete Wonne. Den „Lieben Augustin“ pfiff er dabei nur innerlich, sonst würde ihn wohl der Stabswachtmeister beim Kragen genommen haben.

(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_098.jpg&oldid=- (Version vom 9.6.2020)