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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

das Uebermaß ihres Leidens verrathe. Dann überbrachte sie das Schreiben ihrem Vater, der, selbst aufs tiefste erschüttert, das wankende Mädchen in seine Arme schloß. – – – – – –

Inzwischen hatte Herbert in Begleitung von Frettwurst sein Kommando auf dem „Falken“ antreten müssen. Der Tag der Abreise nach Radegast stand vor der Thür, und noch immer ließ Hildes Antwort auf sich warten. Herbert war außer sich, zumal ihm sein Versprechen dem Vater gegenüber die Hände band.

In dringenden beschwörenden Worten setzte Herbert endlich dem Lehrer seine Lage schriftlich auseinander, und nachdem der Brief abgesandt war, stürzte er sich mit leidenschaftlichem Eifer in seine dienstlichen Obliegenheiten, um die Qual seiner Seele zu übertäuben. So verstrich unter hastiger Arbeit der nächste Tag. Die Stunde des Ankerlichtens näherte sich, und noch stand jede Antwort aus.

Endlich, endlich brachte die letzte Briefordonnanz, die vom Lande kam, auch ein Schreiben an Herbert mit. Seine Hand zitterte, als er es in Empfang nahm und in der Brusttasche barg. Dann gab er mit klarer Stimme beim Ankerlichten, bei dem er Dienst thun mußte, die Kommandos.

Dem Ankermanöver folgte die erste, ihm zufallende Abendwache in See. Auch während dieser Zeit richtete er seine ganze Aufmerksamkeit auf die verantwortliche Aufgabe, die er zu erfüllen hatte, aber er glaubte den Brief an seinem Herzen körperlich zu fühlen.

Erst um Mitternacht wurde er abgelöst. Er eilte in seine Kammer, wo er im Schein der in ihren Ringen schwankenden Lampe mit zitternder Hast das Schreiben erbrach, das ihm sein Glück verkündigen sollte. –

„Unmöglich!“

Er las und las, als ob er nicht fassen könne, was er lese. Plötzlich warf er den Brief auf den Tisch, setzte sich auf den Bettrand und starrte finster vor sich hin.

Was war geschehen, was hatte Hilde so verwandelt? Wo blieb ihre leidenschaftliche Hingabe, wo die überwältigende Kraft der Erinnerung an jene Todesfahrt, die ihr Geschick auf ewig an das seine band! Wie konnte sie sich so von ihrem Vater beeinflußen lassen, so geringes Vertrauen zu der Opferfreudigkeit seiner Liebe haben! O, jetzt mochte der König immer seinen Offizier behalten, jetzt würde das Abschiedsgesuch eine Posse sein!

Er sann und sann.

Die Lampe schwankte und das Holz knarrte. Durch den ganzen Rumpf zitterte der gleichmäßige dumpfe Schlag der Schraubenwelle; wenn das Schiff sich neigte, gurgelte das Wasser vor dem runden Kammerfensterchen. Hier und da drang auch das Heulen des Windes in der Takelage herunter, oder ein Kommandoruf, schwerer Laufschritt, das Dröhnen niedergeworfener Taue.

Herbert hörte von alledem nichts, aber der Sturm in seinem Innern begann sich zu legen. Die reine Gestalt Hildes trat vor seine Augen. War das Kleinlichkeit und Selbstsucht, was aus diesen Zügen sprach? Zeigte nicht auch ihr Brief ein Herz voll Demuth, voll Selbstlosigkeit, voll Liebe, voll unbeschreiblich reicher Liebe – ein Herz, das still verbluten wollte für den Freund? Allein das sollte, das durfte nicht sein! Unter keinen Umständen durfte er sich ihrer Bitte fügen!

Er sprang empor und stemmte sich gegen den Tisch. O, wenn er jetzt zu ihr eilen, sich ihr zu Füßen werfen könnte, um ihren Entschluß zu erschüttern! Aber ließ dieser Brief überhaupt noch eine Sinnesänderung erhoffen? War nicht ein Umschwung bloß dann möglich, wenn er selbst Thatsache gegen Thatsache stellte, ohne Rücksicht darauf, daß er dadurch seinen Freunden, seiner Familie doppelt unbegreiflich erscheinen mußte?

Bisher hatte er nur mit Hildes Zusage gerechnet, der Gedanke, daß er auch seinen Abschied nehmen könne und müsse auf ein Nein hin, war ihm überhaupt nicht gekommen. Der Brief öffnete ihm die Augen. Die scheinbare Thorheit, ein Opfer zu bringen, das zurückgewiesen wurde, bildete in Wahrheit die einzige Möglichkeit, die Geliebte doch noch zu erlangen und seine Schuldigkeit ihr gegenüber zu thun. Hatte er sich eine bürgerliche Stellung verschafft, so konnte er, dessen Entschlüsse dann von keiner fremden Rücksicht mehr abhängig waren, vor Hildes Vater treten, ein freier Mann!

Entschlossen setzte er sich an den kleinen Tisch, holte seine Schreibmappe hervor und begann auf wiegender Unterlage sein Abschiedsgesuch zu entwerfen. Wie er seinem Chef vorausgesagt hatte, verschmähte er dabei jeden Vorwand, sondern gab in kurzen Worten als Grund an, er beabsichtige eine Verbindung einzugehen, die als unstandesgemäß gelte.




5.

Der „Falke“ hatte die prächtige Waldecke gefunden, wo die Prinzessin August heute ein Picknick abzuhalten gedachte. Die einsame Stelle war ziemlich weit entfernt von Radegast, und gewöhnliche Sterbliche, denen kein Kriegsdampfer zur Verfügung stand, vermochteu sich den kostspieligen Ausflug selten zu gestatten. Wegen Störungen durch allzu loyale Badegäste konnte man also hier unbesorgt sein.

Die Spätsommersonne meinte es gut; allein die Prinzessin nebst ihren Töchtern und die beiden Damen, die noch von der Partie waren, die Erzieherin und ein Hoffräulein, hatten sich darauf eingerichtet. Alles war in Weiß oder doch in sehr helle Farben gekleidet und schützte sich durch Sonnenschirme und breite Hüte vor den sengenden Strahlen. Nur die zwei jüngsten Prinzessinnen ließen sich ruhig Hals und Aermchen noch brauner brennen, als es in dem bisherigen Strandleben ohnehin schon geschehen war, während die dritte, die älteste, sich diese Naturwüchsigkeit nicht mehr gestatten durfte.

Nachdem der Anker des „Falken“ in der klaren Waldbucht gefallen war, ging die Ausschiffung vor sich, an der sich von Herren die beiden Hofkavaliere sowie der Kommandant des Schiffes und die von Bord abkömmlichen Offiziere betheiligten.

Die für das Lager bestimmten Geräthe und Lebensmittel wurden unter Obhut des Kammerdieners und einiger Matrosen in der Jolle verstaut, die Herrschaften nahmen im Kutter Platz, der unter den kräftigen Ruderschlägen rasch dem Ufer zueilte.

Unter den Offizieren im Kutter befand sich auch Herbert, an dem die Frau Prinzessin ein besonderes Wohlgefallen gefunden zu haben schien, denn sie behandelte ihn bei jeder Gelegenheit als ihren bevorzugten Kavalier. An dieser Gunst nahm in seiner Art der gute Frettwurst theil, der drüben in der Jolle hockte. Seine Riesengestalt, seine Biederkeit, seine komische Sprache erweckten ihm namentlich die Freundschaft der beiden kleinsten Hoheiten, die gar nicht von ihm wegzubringen waren.

Der junge Offizier und sein Bursche durften daher nur in den dringendsten Fällen an Bord zurückgehalten werden, schienen aber trotz dieser Bevorzugung nichts weniger als in gehobener Stimmung zu sein. Herberts Züge vor allem lagen fast immer im Bann eines tiefen Ernstes. Wenn er auch mit Festigkeit in die Zukunft sah, so quälte ihn doch der Schmerz über Hildes Ablehnung und die Aussicht auf eine lange Trennung von ihr. Frettwurst aber konnte nicht recht froh werden angesichts der Trauer, die seinen Herrn erfüllte.

Gerade heute stand Herberts Sinn am wenigsten nach Lustbarkeiten, denn auf sein Gesuch war Antwort eingetroffen und zwar – eine abschlägige! Seine Majestät, hieß es darin, habe sich ausnahmsweise in der Lage gesehen, die Bewilligung hinauszuschieben. Gebhardt möge seinen Entschluß doch noch einmal prüfen; wenn er dann zu keinem anderen Ergebniß komme und sicher sei, den Konsens zur Heirath nicht erbitten zu dürfen, da dieser allerdings nur für eine standesgemäße Ehe in Aussicht gestellt werden könnte, so werde es ihm anheimgegeben, das Gesuch zu wiederholen.

Sonst pflegte man mit jungen Offizieren, die des Dienstes überdrüssig waren, nicht viel Federlesens zu machen. Das Entgegenkommen, das in jener Antwort lag, bewegte Herbert tief, und doch vermochte er seinem Chef, der zweifellos diese Entscheidung bewirkt hatte, nicht dankbar zu sein. Nun war er erst recht in eine schiefe Lage gerathen! Ganz abgesehen davon, daß wohl an die Ertheilung des Konsenses nach wie vor nicht zu denken war, wie ja das Schreiben selbst andeutete – Hildes Brief hatte ihm gar kein Recht gelassen, um den Konsens nachzusuchen! Und so bedeutete die scheinbare Wohlthat für ihn nur eine grausame Verzögerung. Es blieb nichts anderes übrig, als einfach die Bitte um Entlassung zu wiederholen.

Unter solchen peinlichen Erwägungen hatte Herbert sich dem Ausflug anschließen müssen. Er litt unter diesem Zwang, obgleich in der frohen Gesellschaft von der Steifheit des Hoflebens wenig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_111.jpg&oldid=- (Version vom 9.6.2020)