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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Atlantischen Ocean ein Gebiet niedrigen Luftdrucks, und so kommt es, daß im Winter in Mitteleuropa Festlandwinde vorherrschen, die uns starke Kälte und klare Tage bringen.

Im Sommer ist die Luftdruckvertheilung gerade entgegengesetzt; unter dem Einfluß der höher steigenden Sonne erwärmt sich das Land rascher als das Meer; ein Luftdruckmaximum liegt alsdann über dem Atlantischen Oecean, ein Minimum ist in Asien zu finden. Nun wird Mitteleuropa von den Winden des Oceans getroffen, und die Zeit, in welcher diese Luftströmungen bei uns die Oberhand gewinnen, bedeutet des Frühlings Einzug.

Man sollte meinen, daß der Frühling, dem scheinbaren Aufsteigen der Sonne am Himmel entsprechend, von Süd nach Nord fortschreiten sollte; denn je mehr wir uns von der Winterzeit entfernen, desto länger werden die Tage, desto mehr Licht und Wärme empfangen die Länder von der Sonne, und die südlicher gelegenen sind dabei im Vorsprung im Vergleich zu den nördlicheren. Die Erfahrung lehrt aber, daß der Frühling in Deutschland nicht von Süd nach Nord, sondern mehr von West nach Ost fortschreitet. Schon die Beobachtung des aufsprießenden Pflanzenlebens lehrt uns das. Reisen wir durch Deutschland Ende April oder Anfang Mai in der Richtung von Nordost nach Südwest, von Königsberg nach Basel, so ziehen wir sozusagen in den Frühling hinein. Die Roßkastanie sei für uns das Wahrzeichen! Im äußersten Norden schwellen erst ihre glänzenden Knospen, dort erwacht erst das Leben; im mittleren Deutschland sind um dieselbe Zeit bereits die ersten Blätter entfaltet und am Oberrhein spenden die Blätter bereits reichlichen Schatten. Ein Wahrzeichen des vollen Frühlings ist auch das Blühen des Flieders (Syringa vulgaris). In dem wärmsten Theile Deutschlands, in den Thälern des Oberrheins, duftet der Flieder schon in der zweiten Hälfte des April, in Nordwest- und Mitteldeutschland in der ersten Hälfte des Mai, während die nordöstlichen Gebiete, Ost- und Westpreußen, Posen, Pommern, Mecklenburg und Schleswig-Holstein erst in der zweiten Hälfte des Mai mit diesem Blüthenflor sich schmücken.

Klarer noch zeigt uns das Thermometer das Vorrücken der Wärme von West nach Ost. Der Winter gilt als gebrochen, wenn die Durchschnittstemperatur der Tage nicht mehr über 0 Grad sinkt, denn alsdann tritt das beständige Thauwetter ein.

Jahrelange Beobachtungen haben nun ergeben, daß im Westen Deutschlands das Thauwetter viel früher als im Osten eintritt, ohne daß die südlichere oder nördlichere Lage eines Ortes dabei ausschlaggebend wäre. So haben das südliche Basel und das im Norden gelegene Hamburg die Durchschnittstemperatur von 0 Grad in der Regel um dieselbe Zeit, etwa um den 1. Februar, obwohl sie nahezu um 7 Breitengrade voneinander entfernt sind. Danzig hat bei normalem Verlauf der Jahreszeiten diese Temperatur erst 11/2 Monat später, und im Memel pflegt das Eis erst in der letzten Woche des März aufzuthauen.

Der Frühling zeigt aber nicht immer den programmmäßigen Verlauf; bald tritt er früher ein, bald verspätet er sich, bald ist er freundlich, warm, bald unwirthlich und kühl. Unser Klima ist eben wetterwendisch, und seine Schwankungen werden vor allem durch die Vertheilung der Luftströmungen auf dem Festlande und dem Meere verursacht; außerdem aber kommen noch andere Erscheinungen zur Geltung, die nicht in der Ferne schweben, sondern an unserm Grund und Boden haften. Einen ungemein großen Einfluß auf das Klima und auch auf die Gestaltung des Frühlings hat der Winterschnee. Es ist noch nicht lange her, daß die Klimatologen die Bedeutung der Schneedecke für die Entstehung der Klimate der Erde erkannten; abgesehen von einigen vorübergehenden Versuchen in früheren Zeiten wurden erst seit dem Jahre 1886 durch Lang in München systematische Beobachtungen der Schneedecke für Bayern organisiert; aber auch aus den allgemeinen, noch lückenhaften Aufzeichnungen früherer Zeiten konnten die Klimatologen, namentlich Woeikoff und Hann, wichtige Schlüsse ziehen.

Auf Grund dieser Arbeiten können wir hervorheben, daß die Schneedecke die Erwärmung der Luft durch die Sonnenstrahlen hindert. Die Luft wird erst warm, wenn der Boden erwärmt worden ist, der Schnee aber wirft einen großen Theil der Sonnenstrahlen zurück und erwärmt sich niemals über 0 Grad; hat er diese Temperatnr erreicht, so beginnt er zu schmelzen und verbraucht dabei ungeheure Mengen Wärme. Mit der Wärme, die genügt, um 1 Kilogramm Schnee von 0 Grad in Wasser von gleichfalls 0 Grad Temperatur zu verwandeln, könnte man die Temperatur von 791/4 Kilogramm Wasser um 1 Grad erhöhen, oder 1 Kilogramm Wasser geradezu heiß machen. So verschluckt die Schneedecke, die sich im Winter angesammelt hat, sowohl die Wärme, welche die Sonne spendet, als die der oceanischen Winde, und man kann wohl behaupten daß, je höher und ausgebreiteter die Schneedecke ist, die Erwärmung der Luft, der Einzug des Frühlings um so später erfolgen wird. Natürlich hat die Schneedecke nur dann größere Bedeutung, wenn sie sich über größere Gebiete der Erde, über ganze Länder erstreckt.

In der That ist auch durch Beobachtungen festgestellt worden, daß auf sehr kalte, aber schneearme Winter sehr warme Frühlingsmonate folgen können, während schneereiche Winter, in denen sich die Schneedecke gut ausbilden konnte, einen kalten Frühling nach sich ziehen. Woeikoff stellte derartige Untersuchungen für Rußland an. Wir heben aus ihnen nur zwei Beispiele hervor:

Der Frühling des Jahres 1848 war der wärmste des Jahrhunderts in Rußland; ihm aber war ein so schneearmer Winter vorangegangen, daß die Erinnerung an ihn sich jahrzehntelang im Landvolke erhielt, und dabei war dieser Winter kalt gewesen. In einer Beobachtungsreihe von 140 Jahren war der Frühling, namentlich der Mai, von 1867 der kälteste in Rußland gewesen. Der Winter 1866 bis 1867 war aber ungewöhnlich schneereich. Genauere Messungen der Schneedecke liegen aus jener Zeit nicht vor, aber die Ueberschwemmungen, die in jenem Jahre stattfanden, lassen auf die Menge des gefallenen Schnees schließen. Damals hatte die Wassehöhe der Wolga bei Astrachan ihren höchsten bekannt gewordenen Stand erreicht, und das Hochwasser war so stark und andauernd, daß der Spiegel des Kaspischeu Meeres sich um 2 Fuß hob.

Wir hatten in diesem Jahre einen strengen Winter und er war auch nicht arm an Schneefällen, die andauernde Kälte des Januar begünstigte die Bildung der Schneedecke, aber Ende Januar trat ein andauerndes Thauwetter ein, und dieses räumte unter dem Schnee so gehörig auf, daß es Hoffnungen auf einen milden Frühling wecken kann. C. Falkenhorst.     



Blätter und Blüthen.



Mentone. (Zu dem Bilde S. 113.) Unter den Genesungsorten der köstlichen Riviera hat Mentone seinen Kolumbus verhältnißmäßig spät gefunden. Es war der französische Arzt Bennet de Malherbe, der in den fünfziger Jahren Klima und Landschaft von diesem Theil der Riviera in so poesievoller und verlockender Weise darstellte, daß sofort eine Völkerwanderung von Engländern nach Mentone begann. Diese erzählten Wunder von dem schönen Fleck Erde, und nun zogen auch die Deutschen dahin. Mancher, der früher seine kranken Lungen nach Montreux oder Meran geflüchtet, kam jetzt nach Mentone, und die Entwicklung des Ortes begann. Mentone ist aber französisch, und so wird es von Deutschen gegenwärtig weniger besucht, nur England ist ihm treu geblieben, und mit Fug und Recht nennt man den Ort eine englische Kolonie. Auch zwei Stunden im Umkreise, auf allen Höhen, in allen Thälern, auf allen Promenaden der Stadt hört man nichts als Englisch sprechen. Kein noch so unscheinbares Motivchen ohne mehrere malende englische Junggräulein und Frauen; kein einziger Hotelgarten ohne einen wohlabgesteckten Lawn-Tennisplatz, und die Gasthöfe dutzendweise mit englischen oder England schmeichelnden Namen: Iles Britanniques, Albion, Londres, Westminster, Prince de Galles, Viktoria, Anglais, Grande-Bretagne, Britannia und wie sie sonst noch heißen mögen!

Dafür kann aber die gute Mutter Natur nichts, sie will alle erfreuen durch die Landschaft, die sie hier um die blaue Fluth her aufgebaut, und aus der Vogelschau dürfen wir diese uns wohl anblicken.

Das Meer bildet von der Punta St. Hospice bei Villefranche an bis zum Kap St. Ampeglio, wo Bordighera, die Palmenstadt, liegt, eine in weitem Bogen verlaufende sanfte Küsteneinbiegung. Der Rand dieser Küste erfährt jedoch wiederum verschiedene Gliederungen durch hervorspringende Landspitzen, mittels deren neue kleinere Golfe gebildet werden. Zwischen Kap St. Hospice und Kap d’Aglio liegt der reizende Busen von Eza, zwischen d’Aglio und Kap Martin der Busen von Monaco, zwischen Kap Martin und Kap della Murtola der mentonesische Busen, und dann folgt der von Ventimiglia, wo die französische Herrlichkeit ein Ende hat.

Der Golf von Mentone erfährt ungefähr in der Mitte eine stark ausgeprägte Unterbrechung durch einen bis ganz dicht ans Meer herantretenden Ausläufer der den Norden abschließenden Berge; er theilt den Golf in eine Westbucht und eine Ostbucht, von denen jede ihre klimatischen Eigenthümlichkeiten und Vorzüge haben soll, über welche Mentoneser Doktoren und Gasthofbesitzer noch heute im Streite liegen. Die alten Mentoneser wählten klugerweise die goldene Mitte und bauten im 8. Jahrhundert ihr Städtlein staffelsörmig den Bergrücken hinan, dessen Spitze vor Zeiten ein Schloß krönte. Jetzt liegt hier der herrliche weithinschauende Camposanto, der Friedhof. Er ist es, der uns, wenn wir vom Westen herüberwandern, mit seinen dunklen Cypressen zuerst ins Auge fällt und unsere Seele, bei aller Pracht des Meeres und des Himmels, beim Prangen der südländischen Rosen, beim üppigen Duft der Orangenbäume, mit einem „Memento mori“ begrüßt. Sentimentale Seelen brechen in den geseufzten Wunsch aus: „Ach, dort muß es sich süß ruhen!“

Ein Achselzucken sei dem lebenslustigeren Wanderer erlaubt: er öffnet lieber die lebendigen Augen, um die Herrlichkeiten, die rings um ihn her sich aufthun mit den Blicken zu fassen. Woldemar Kaden.     

Ein pietätvoller Sohn. Der jüngstverstorbene New-Yorker Millionär Jay Gould, der ein großes Original, ein versteinerter Geldmann war von fast sagenhaftem Geiz, hat in allen Zonen der Erde Nachrufe und Leichenreden erhalten, wie sie sonst kaum den allerberühmtesten, um die Menschheit hochverdienten Männern zutheil werden. Sein Sohn hat nun durch eine Agentur diese litterarischen Totenkränze, welche die Presse Amerikas und Europas seinem Vater gewunden hat, sammeln lassen, und der Erfolg dieser Bemühungen war ein überraschender. Es sind Ausschnitte aus mehr als 12000 kanadischen und nordamerikanischen, 3000 britischen und 5000 deutschen, französischen, holländischen, italienischen, schwedischen, türkischen Blättern gesammelt worden; sie würden aneinandergereiht, einen Streifen von sechs englischen Meilen Länge bilden. Das heißt in der That die Erde mit seinem Ruhm erfüllen – wenn es nur um diesen Ruhm besser stände; denn es ist von Papa Gould nicht viel Rühmens gemacht worden, und es raschelt von sehr vielen welken Blättern in diesem Kranze. †     

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_115.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2020)