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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Wildenrod hörte schweigend zu, aber sein Blick ruhte unverwandt auf den beiden. Der vertrauliche Ton schien ihn im höchsten Grade zu befremden, und als der Graf sich jetzt verabschiedete, neigte er nur mit kühler Artigkeit den Kopf, sprach einige ebenso kühle Worte und trat dann rasch mit Maja in den Park, während er die Gitterthür hinter sich ins Schloß fallen ließ.

„Sie scheinen mit diesem Herrn sehr genau bekannt zu sein,“ warf er hin, während sie den Weg nach dem Hause einschlugen.

„O gewiß,“ versetzte seine Begleiterin unbefangen. „Graf Viktor war Erichs Jugendgespiele und hat auch mit mir oft genug getollt. Ich freute mich sehr, als ich ihn jetzt nach sechs Jahren wiedersah.“

„So?“ sagte der Freiherr langsam. Er wandte sich um und streifte mit einem eigenthümlichen Blicke die Gestalt des Grafen, der eben zwischen den Bäumen verschwand, während Maja harmlos weiter plauderte.

„Wenn ich mich nur unbemerkt in mein Zimmer schleichen kann – Papa wird böse, wenn er mich sieht!“

„Jawohl, er wird schelten,“ sagte Wildenrod mit Nachdruck, „und ich möchte es auch thun. Ich war in den Park gegangen, um Sie zu suchen, als das Wetter ausbrach, und hörte von dem Gärtner, daß Sie schon seit einer Stunde fort seien, irgendwo im Walde. Wie unvorsichtig! Haben Sie denn gar nicht daran gedacht, daß man sich daheim um Sie sorgt und ängstigt – daß ich mich ängstige?“

Die vorwurfsvolle Frage rief eine helle Röthe in das Gesicht des jungen Mädchens. „O, das war ganz unnöthig. Hier in Odensberg kennt mich jeder Arbeiter und jedes Kind.“

„Gleichviel, Sie dürfen sich nicht wieder ohne Begleitung so weit hinauswagen, Sie versprechen mir das, Maja, nicht wahr? Und zum Pfande, daß Sie Wort halten, erbitte ich mir dies da.“

Er griff plötzlich wie im Scherze nach dem Blüthenzweig, aber Maja sah ihn halb erschrocken, halb unwillig an.

„Meinen Zweig? Nein! Weshalb soll ich ihn fortgeben?“

„Weil ich darum bitte!“

Die Bitte klang wie eine Forderung, und das mochte Majas Trotz wecken. Sie trat mit entschiedener Abwehr einen Schritt zurück.

„Nein, Herr von Wildenrod – ich gebe die Blüthen nicht her.“

Ein Blitz zorniger Ueberraschung schoß aus den Augen des Freiherrn, er hatte nicht geglaubt, daß das „Kind“ eines so entschiedenen Widerstandes fähig sei, wo es seinen Willen galt, und gerade das reizte ihn, diesen Willen durchzusetzen um jeden Preis.

„Legen Sie so großen Werth darauf?“ fragte er mit herbem Spott. „Der Graf schien es auch zu thun. Das Friedenszeichen hat doch nicht irgend eine geheime Bedeutung für Sie beide?“

„Eine Neckerei, nichts weiter! Viktor ist ja doch ein alter Spielkamerad –“

„Und ich bin ein Fremder für Sie! Das wollen Sie doch wohl sagen, Maja? Ich verstehe!“

Die braunen Augen hoben sich bei diesen mit Bitterkeit gesprochenen Worten erschrocken und bittend empor. „O nein, Herr von Wildenrod, das habe ich nicht gemeint – gewiß nicht.“

„Nicht? Und doch sprechen Sie von ‚Viktor‘ und gestatten ihm sofort wieder die einstige Vertraulichkeit, Ich bin und bleibe ihnen ‚Herr von Wildenrod‘. Wie oft hab’ ich Sie schon gebeten, meinen Vornamen auszusprechen nur ein einziges Mal. Ich habe ihn noch nie von Ihren Lippen gehört!“

Maja gab keine Antwort, sie stand regungslos da, mit glühenden Wangen und gesenkten Augen; aber sie fühlte den heißen Blick, der auf ihr ruhte.

„Wird es Ihnen denn so schwer, mir einen Namen zu geben, den der künftige Verwandte doch beanspruchen darf? Ist das wirklich so schwer? Nun, ich will darauf verzichten, wenn andere zugegen sind, aber jetzt sind wir allein, jetzt will und muß ich ihn hören … Maja!“

Noch ein sekundenlanges Zögern, dann kam es leise und bebend von ihren Lippen: „Oskar!“

Da leuchtete es in den düsteren Zügen des Mannes auf wie leidenschaftliches Glück, er machte eine stürmische Bewegung, als wollte er das junge Mädchen, das scheu und zitternd vor ihm stand, an seine Brust ziehen; allein er bezwang sich, nur die kleine bebende Hand schloß er fest in die seinige.

„Endlich! Und nun die andere, die zweite Bitte.“

„Herr von Wildenrod –“

„Den Zweig, Maja, den Ihnen ein anderer gab und den ich deshalb nicht in Ihren Händen lassen will. Ich bitte!“

Maja widerstrebte nicht mehr. Willenlos im Banne dieser Augen und dieser Stimme, reichte sie ihm den Blüthenzweig hin.

„Dank!“ sagte Oskar leise. Es war nur ein einziges Wort, aber es hatte den Klang mühsam verhaltener Zärtlichkeit.

Da erschien Fräulein Friedberg an einem offenen Fenster des Hauses, dem sich die beiden jetzt näherten, und schlug entsetzt die Hände zusammen, als sie ihren Zögling in diesem Aufzug gewahrte.

„Maja, ums Himmels willen, sind Sie wirklich bei diesem Wetter im Freien gewesen? Sie können sich ja auf den Tod erkälten! Wie sehen Sie aus! Rasch, legen Sie den nassen Mantel ab!“

„Ja, dazu möchte ich auch rathen,“ sagte Oskar lächelnd. „Schnell, schnell ins Haus!“

Das junge Mädchen entschlüpfte mit einem flüchtigen Gruße. Wildenrod folgte ihr langsam, im Gartensaal aber blieb er stehen und seine Stirn furchte sich von neuem, als er auf den blüthenschweren Zweig in seiner Hand blickte. Er ahnte zum ersten Male, daß bei seiner Werbung Gefahr im Verzug sein könnte, und doch wußte er, daß er jetzt noch nicht sprechen durfte. Noch stand er nicht fest genug in der Gunst Dernburgs, der seinen Liebling schwerlich ohne weiteres dem so viel älteren Manne hingeben würde, noch war er Majas nicht sicher. Ein zu früh gesprochenes unbesonnenes Wort konnte hier alles verderben. Und gerade jetzt mußte dieser Graf Eckardstein auftauchen, der ohne alles Zaudern die Vertraulichkeit des Jugendgespielen wieder in Anspruch nahm!

Einige Minuten lang stand Wildenrod in finsteres Grübeln versunken, dann aber richtete er sich mit einem Ruck empor, und in seinen Augen flammte wieder das stolze triumphierende Selbstbewußtsein. Gut … galt es den Kamps um Majas Besitz – er scheute ihn nicht! Wie kleinmüthig, an dem Siege zu zweifeln gegen diesen jungen Fant mit seinem glatten Gesicht! Der mochte sich hüten, ihm den Weg zu kreuzen!

Am Fenster ihres Zimmers stand Maja; sie hatte den nassen Mantel noch nicht abgelegt, wußte wohl gar nicht, daß sie ihn noch trug. Sie blickte träumerisch empor zu dem wolkenumlagerten Himmel, und ein leises glückliches Lächeln spielte um ihre Lippen. Vergessen war die Begegnung im Waldhaus, versunken die Gestalt des Jugendgespielen – sie sah nur eins – die tiefen dunklen Augen, den Blick, der sie wie mit einem Zauberbann umspann, sie hörte nur jene verschleierte Stimme, in der die verhaltene Leidenschaft bebte. Es war ein süßer beängstigender Traum, eine Empfindung, von der sie selbst nicht wußte, ob sie Weh oder Glück bedeute.




Es war voller Frühling geworden! Durch Sturm und Kälte, durch Reif und Nebel hatte er sich siegreich durchgekämpft und die Erde überall zu einem neuen sonnigen Leben erweckt.

Durch den grünenden Bergwald stieg ein einsamer Wanderer rüstig bergauf. Es war noch früh am Tage; noch ruhte der Wald in tiefen bläulich dämmernden Schatten, und schwer und feucht lag der Thau auf dem moosigen Boden. Nur vereinzelte Vogelstimmen klangen durch die Morgenstille, und in den hohen Wipfeln rauschte und brauste es, wenn sie sich im Winde neigten.

Egbert Runeck war auf dem Weg nach dem Albenstein, er wollte Wort halten und das Kreuz da oben selbst untersuchen. Jetzt trat er aus dem Walde auf eine kleine hochgelegene Bergwiese hinaus und gerade vor ihm ragte die mächtige Felswand auf. Nackt und steil stieg sie empor aus den dunklen Tannen, die ihren Fuß umsäumten. Der ganze obere Theil war wild zerklüftet und zerrissen, dort wurzelten nur noch einzelne Zwergtannen und verkümmertes Gestrüpp in den Spalten. Vom Gipfel her grüßte weithin sichtbar ein riesiges Kreuz, das Wahrzeichen des Berges.

Die hohe, einsam aufragende Felsklippe spielte eine Hauptrolle in den Sagen der Umgegend. Schon ihr Name klang an die Alben- und Elfenwelt an, die einst in den Bergwäldern ihr geheimnißvolles Wesen getrieben haben sollte und noch immer in dem Aberglauben des Volkes spukte. Der Albenstein barg versunkene Schätze, die, tief in seinem Felsengrund schlummernd, auf Erlösung harrten, und schon mancher hatte den Versuch, sie zu heben, mit dem Tode gebüßt. Nur die allmächtige Springwurzel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_119.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)