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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

der Königin! Wie konnte ein Prinz aus dem Hause Rohan, ein Großalmosenier von Frankreich glauben, die Königin würde mit ‚Marie Antoinette von Frankreich‘ zeichnen? Jedes Kind weiß, daß die Königinnen nur mit ihrem Taufnamen unterschreiben!“ Und indem er ihm zugleich einen vom Kardinal geschriebenen Brief an den Juwelier Böhmer vorwies, verlangte er noch einmal entschieden Aufklärung des Räthsels.

Jetzt wurde dem Kardinal schwül. Er erbleichte und mußte sich gegen den Tisch stützen.

„Sire, ich bin zu erregt, um mich vor Eurer Majestät gebührend zu verantworten,“ bat er mit unsicherer Stimme.

„Hier in meinem Kabinett finden Sie Papier, Tinte und Feder. Schreiben Sie auf, was Sie mir zu sagen haben!“

Der Kardinal that, wie ihm geheißen. Nach einer Viertelstunde kehrte er zurück mit seiner Rechtfertigungsschrift. Aber sie war so unklar und nichtssagend, daß sie einem Geständniß seiner Schuld gleichkam.

In Wahrheit hatte er sich von der intriganten Lamotte einreden lassen, die Königin Marie Antoinette würde um den Preis dieses von ihr heiß begehrten Halsbandes selbst für eine Liebschaft zu haben sein, hatte er sich durch das Gaukelspiel eines nächtlichen Stelldicheins, bei welchem irgend ein Frauenzimmer die Rolle der Königin spielte, vollends betölpeln lassen, den Ankauf des verhängnißvollen Schmuckes zu unternehmen.

Und so geschah denn, was wir wissen. Der König entließ den Frevler, der sich erkühnt hatte, die weibliche Ehre der Königin aufs gröblichste zu beschimpfen, mit der kurzen Bemerkung:

„Sie werden bei dem Heraustreten aus diesem Kabinett verhaftet werden!“

So berichtet die Hofdame der Königin Marie Antoinette, Madame Campan, der wir in den Hauptzügen gefolgt sind. Es kann hier nicht unsere Absicht sein, die ganze, oft erzählte Geschichte von dem berüchtigten Halsbandprozeß noch einmal zu erzählen. Aber erinnern mußten wir an diesen aufregenden Morgen im Schlosse zu Versailles, denn von ihm führt eine gerade Linie sich folgerichtig aneinander kettender Ereignisse zu jenen anderen Morgenstunden, denen des 6. Oktober 1789, die wohl die fürchterlichsten waren, welche das schicksalsreiche Schloß zu Versailles gesehen hat.

Wenn wir Heutigen, die wir den ganzen Verlauf des blutigen Geschichtsdramas der französischen Revolution übersehen, die Anfänge der Bewegung betrachten, so müssen wir uns wundern, wie königstreu die ersten Wortführer der Umwälzung noch waren.

Die berühmte Brandschrift des Abbé Sièyes „Was ist der dritte Stand?“, die mit düsterer Fackelgluth das Elend und die Verworfenheit des alten Privilegienstaats beleuchtet, sie macht Halt vor der Person des Königs. „Das Volk hat sich gewöhnt, wenn es murrt, den Monarchen zu trennen von den Bewegern der Gewalt,“ führt der streitbare Abbé aus. „Es hat den König immer als einen Menschen betrachtet, der so gewiß betrogen wird und inmitten eines rührigen und allmächtigen Hofes so wehrlos dasteht, daß es nie daran gedacht hat, ihm all das Unheil zuzuschreiben, das in seinem Namen geschehen ist. Einzig die Aristokratie ist es, die gegen die Vernunft, das Recht, das Volk und den König streitet.“ Die Wähler von Limoux schreiben in dem „Cahier“, in dem Wunsch- und Beschwerdeheft, das sie im Frühjahr 1789 ihren Abgeordneten zur Nationalversammlung nach Versailles mitgaben: „Sire, seit Jahrhunderten schmachten die Gemeinen Ihres Reiches unter Mißbräuchen jeder Art. Seit lange waren unserer Könige und unsere Interessen die dieselben sind, vollständig getrennt. Ein Hoffnungsstrahl beginnt uns über dem Haupt zu leuchten, aber er wird bald verschwinden, unser Glück wird nur einen Augenblick währen, und wir werden zurücktauchen in die Finsterniß des Elends, wenn Ew. Majestät nicht, im Einklang mit der Nation, das Uebel ausrottet mit der Wurzel.“ Der dritte Stand von Paris knüpft um dieselbe Zeit an das Verlangen nach Schleifung der Bastille noch den Vorschlag, inmitten des durch ihre Niederlegung gelassenen freien Platzes eine Säule von einfach edler Bauart zur errichten mit der Inschrift: „Ludwig XVI., dem Wiederhersteller der öffentlichen Freiheit.“ Und als die neugewählten Abgeordneten mit dem gesamten Hofe an der Spitze in feierlichem Aufzuge von der Versailler Notredamekirche zur Kirche des Heiligen Ludwig sich bewegten, da begrüßte nach dem Zeugniß der Frau von Staël den König ein lautes Hochrufen der ungeheuren Menschenmassen.

Nicht so seine Gemahlin.

Die Königin fand keinen Willkomm. Ja, sie wäre glücklich gewesen, wenn sie nur mit Stillschweigen aufgenommen worden wäre, aber Gassenweiber schleuderten ihr einen Ruf zu, der ihr das Blut in den Adern erstarren machte: „Hoch der Herzog von Orleans!“ Das war ihr grimmigster Feind, der rührigste ihrer Lästerer.

Ja, die unglückliche Marie Antoinette war nie beliebt gewesen in ihrer neuen Heimath, und als der Haß zum Throne kroch, da war sie sein erstes Opfer. In jenen ersten Gährungen der Revolution trat der Keim zum 16. Oktober 1793, dem Tage, da Marie Antoinette unter dem wüthenden Jubel des Janhagels ihr Haupt auf den Block legte, deutlicher zu Tage als der zum 21. Januar desselben Jahres, da Ludwig Capet der Blutgier der Schreckensmänner zum Opfer fiel.

Der erste schwere Schlag, welcher der Königin enthüllte, wie wenig sie und ihre Ehre dem Volke galten, stand in engstem Zusammenhange mit jenem Auftritt am Morgen des 15. August, den wir oben erzählt haben. Das Pariser Parlament verhandelte im Mai 1786 den Prozeß des gefangenen Kardinals Rohan, und sofort zeigte sich, daß Hof, Adel, Klerus und Volk wie ein Mann Partei ergriff gegen die „Oesterreicherin“ und für den Kardinal. Am 31. Mai erfolgte das Urtheil des Gerichtshofes. Mit einer Mehrheit von fünf Stimmen beschloß er die ehrenvolle Freisprechung des Kardinals; und nicht bloß das, Paris nahm diese Freisprechung mit einem Jubel auf, den der Graf Mirabeau geradezu als „Delirium“ bezeichnet. Marie Antoinette war tief erschüttert über diesen Ausgang. Unter einem Strom von Thränen klagte sie ihrer Kammerfrau Madame Campan: „Kommen Sie, beweinen Sie Ihre beschimpfte Königin, die das Opfer der Ränke und der Ungerechtigkeit geworden ist!“

Und doch, so ganz unschuldig war die Königin nicht an diesem Ende des Prozesses. Sie hatte zu viel gethan, die Vorurtheile, die man ihr entgegenbrachte, durch eigene Unbesonnenheit zu verstärken. Sie war äußerst unvorsichtig in der Wahl ihrer Günstlinge, ihre vertrauteste Umgebung bestand aus Persönlichkeiten, deren Ruf sehr tief stand; und als ihr Beichtvater Vermond ihr einmal darüber Vorhalte machte und meinte, sie beobachte nicht einmal mehr die Vorsicht, wenigstens mit einigen Frauen von tadellosem Rufe Verbindung zu erhalten, da besann sie sich lächelnd, und es fiel ihr in der That nur die einzige Prinzeß Lamballe ein, die auf diesen Ehrentitel Anspruch machen konnte. Am allerwenigsten verzieh man ihr die Schwäche für die Herzogin Polignac, an die sie Unsummen verschleuderte zu einer Zeit, da der französische Staat unaufhaltsam und offenkundig dem Bankerott entgegenschritt. Haltlos, naiv unverständig in der Zeit ihres Glücks, hat Marie Antoinette erst unter den Leiden der Revolution jene Seelengröße sich erstritten, die ihre letzten Stunden verklärt.

Kann man sich wundern, daß auch im weiteren Verlauf der Ereignisse die Königin der erste Zielpunkt der revolutionären Leidenschaft blieb, daß man sie verantwortlich machte für alles Böse, was geschah oder auch nur geglaubt wurde! Sie war die „Madame Defizit“, als nach dem Zusammenbruch des Systems Calonne die Finanznoth Frankreichs greller als je zu Tage trat. Die Volkswuth gegen die Königin war so heftig, daß der König ihr verbot, sich in Paris zu zeigen.

Und als die Revolution des dritten Standes überging in eine Revolution des vierten Standes, als die Weiber des Palais Royal und die Banditen aus ganz Frankreich Paris beherrschten und die Politik machten, da war es wiederum die Königin, nicht der König, die mit den schmeichelhaftesten Ausgeburten einer gänzlich scham- und zügellosen Lästerwuth bedacht wurde. Der junge Camille Desmoulins, gewiß kein zimperlicher Herr, war in den Julitagen des Jahres 1789 Zeuge einer Scene im Palais Royal, wie ein vierjähriges Kind auf den Schultern eines Packträgers wohl zwanzigmal die Runde um den Garten machte und dabei fortwährend die ihm eingetrichterten Worte schrie: „Beschluß des französischen Volks – die Polignac verbannt auf 100 Meilen von Paris – Conde idem – Conti idem – d’Artois idem – die Königin ...“ Was hier folgte, war selbst dem jungen Camille zu stark, denn er wagte es in dem Briefe an seinen Vater, wo er diese Geschichte erzählt, nicht zu wiederholen.

An der Königin endlich gedachte das Gesindel des 5. und 6. Oktober seine Wuth auszulassen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_130.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2020)