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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

In Paris herrschte Hunger und Anarchie. Da warf irgend jemand den Gedanken in die Massen des Palais Royal: Nach Versailles! Welche Intriguen sonst noch mitgespielt haben mögen, wird wohl nie aufgeklärt werden. Genug, am Morgen des 5. Oktober setzte sich ein Haufe von Dirnen, Fischweibern, Hökerinnen und als Weiber verkleideten Strolchen unter dem Oberbefehl des Bastillekämpfers Maillard nach Versailles in Bewegung. Eine kleine Abordnung erhält Zutritt in die Nationalversammlung; aber die Weiber drängen in Masse nach, füllen die Galerien, den Saal; sie setzen sich zu den Abgeordneten auf die Bänke, verhöhnen den Präsidenten, und als diesem endlich die Sache zu toll wird und er seinen Sitz verläßt, setzt sich ungeniert eines der Weiber darauf. Auf einer Galerie führt ein Fischweib das Regiment. Hundert andere brüllen oder schweigen auf ihr Kommando, während sie die Abgeordneten zur Rede stellt oder abkanzelt. „Wer spricht denn da unten? Das Plappermaul soll schweigen! Was geht uns das an – es handelt sich um Brot!“ Da ein Dekret über die Beschaffung von Lebensmitteln bereits erlassen ist, so verlangen die Führer mehr. Man soll die Taxe des Brotes auf 6 Sous (24 Pfennig) für 4 Pfund setzen und die des Fleisches auf 6 Sous für das Pfund. „Wir sind keine Kinder mehr, mit denen man spielt: wir haben unsere Fäuste, thut, was wir verlangen!“ Auch das Regiment Flandern, das zum Schutze des Königs herangezogen war, soll wieder entlassen werden – „das sind nur tausend Menschen mehr zum Füttern, die uns das Brot vor dem Mund wegessen“

So ging es eine gute Weile fort. Währenddem hat ein anderer Haufe sich an das Flandrische Regiment gemacht, das auf dem Platze vor dem Schlosse steht. Die Mädchen des Palais Royal machen ihre Verführungskünste geltend, und noch vor Abend ist das Regiment werthlos geworden.

Und immer noch wächst der Wirrwarr und die Leidenschaft der Menge. Eine förmliche Tollheit hat sie ergriffen. Schon unterwegs ist der Ruf gefallen: „Wir bringen euch den Kopf der Königin auf einer Pike.“ „Tod der Königin“, läuft auch jetzt durch die Reihen des Gesindels, und mit der Wollust der Mordgier malen sich die erhitzten Köpfe aus, wie sie der Verhaßten das Herz aus dem Leibe reißen wollen.

Endlich, gegen Mitternacht, trifft Lafayette mit der Pariser Nationalgarde in Versailles ein. Aber auch sie ist unzuverlässig. Noch eben hat sie in Paris ihre Führer vergewaltigt. Die Versailler Nationalgarde ihrerseits hat das Schloß umstellt und jeden Ausgang gesperrt. Aber Lafayette steht für die Treue seiner Pariser Nationalgarde, und der König vertraut ihr die Außenposten des Schlosses an. Alle Wachen haben strengen Befehl, nicht zu schießen. Der König will es

So brach der 6. Oktober an.

Es war morgens um 4½ Uhr. Eine kurze Ruhe hielt die Bewohner des Schlosses umfangen. Da hörten die Kammerfrauen der Königin, die sich im Vorzimmer ihres Schlafgemachs befanden, Schüsse und furchtbares Geschrei Sofort trat die eine bei der Königin ein, sie zu wecken, die andere – es war die Schwester der Madame Campan, der wir einen ausführlichen Bericht über diese Vorgänge verdanken – eilte weg in der Richtung, aus welcher der Lärm kam. Sie öffnete die Thür zum großen „Saal der Garden“ und da sah sie auch schon einen Mann der Leibwache, der blutüberströmt mit seinem Gewehr die Thür gegen eine wüthend andringende Menge zu sperren suchte. Er drehte sich um und schrie: „Madame, retten Sie die Königin, man will sie ermorden.“ Die Kammerfrau schloß augenblicklich die Thür hinter dem Opfer seiner Pflicht, stieß den großen Riegel vor, ebenso im folgenden Zimmer, und als sie am Schlafkabinett der Königin war, rief sie hinein: „Stehen Sie auf, Madame! Zum Ankleiden ist keine Zeit, retten Sie sich zum König!“ Die erschrockene Fürstin sprang empor, ließ sich rasch die nothwendigsten Kleidungsstücke überwerfen und flüchtete zum König. Dort in dem Saale des Ieuk de biezf sammelte sich allmählich die königliche Familie, der König, die Königin, das Töchterchen, das damals elf Jahre alt war, und der achtjährige Dauphin, nebst dem Gefolge. Sie erwarteten nichts anderes als den Tod. Entsetzt starrten sie hinab aus den Platz, wo die Mordgesellen tobten.

Da, im Augenblick der höchsten Noth, erschien Lafayette mit seinen Grenadieren. Es gelang ihm, das Schloß von dem Gesindel zu säubern und zu retten, was noch zu retten war. Dann trat er auf den Balkon hinaus und parlamentierte mit der Menge. „Der König nach Paris!“ war die Bedingung der Kapitulation. Und jetzt spielte Lafayette ein gewagtes Spiel. Er vermochte die Königin, mit ihm auf den Balkon zu treten. Dort versuchte er zu sprechen, aber er konnte sich nicht verständlich machen. Da beugte er sich nieder und küßte ehrfurchtsvoll die Hand der Königin. Die Menge, ganz überrumpelt von diesem Schritt, schrie: „Es lebe der General, es lebe die Königin!“ Der Umschlag war ein jäher und vollständiger. Ganz gerührt fragte der König den General: „Was können Sie jetzt für meine Garden thun?“ Und abermals spielte Lafayette dem Volke eine Komödie vor. Er ließ einen Gardisten kommen, trat mit ihm hinaus aus den Balkon umarmte den Mann und heftete ihm seine Kokarde an. Er kannte seine Leute. Drunten brüllten sie: „Es leben die Gardes du Corps!“ Der Friede war gemacht.

Um zwei Uhr nachmittags trat dann der König die Reise nach Paris an. In der Mitte die königliche Familie und etwa hundert Abgeordnete in Wagen, dann Artillerie, Weiber rittlings aus den Kanonen, dann ein paar Lastwagen voll Mehl. Rings umher die Garden des Königs, jeder hinter sich auf dem Pferde einen Nationalgardisten – dann die Nationalgarde von Paris, endlich Weiber, Pikenmänner, zu Fuß, zu Pferd, auf Wagen oder Karren. Vorn an der Spitze aber eine Bande, die an zwei langen Stangen die abgeschnittenen Köpfe zweier bei dem Ueberfall des Schlosses gemordeter Leibgardisten trug.

Man zieht durch Sèvres. Da liegt am Wege ein Barbierladen. Ein teuflischer Gedanke durchzuckt die Unmenschen an der Spitze. Sie holen den Barbier herbei und zwingen ihn, die beiden Köpfe säuberlich zu pudern und zu frisieren. Und unter solchem Zeichen zog Ludwig XVI. in Paris ein.


Blätter und Blüthen


Vorsicht! Es erscheint neuerdings in Dresden ein belletristisches Blatt letzten Ranges, welches sich „Kleine Gartenlaube“ nennt (Redaktion und Verlag von A. E. Pohlan in Dresden). Dasselbe steht natürlich in keinerlei Beziehung zur „Gartenlaube“, scheint es indessen auf eine Irreführung des Publikums abgesehen zu haben. Darauf deuten nicht bloß Titel und Kopfzeichnung des Blattes, sondern vor allem auch der Autorname H. W. Heimburg, der über dem Roman „Die Blume des Glücks“ auf der ersten Seite des Prospektes steht. Es bedarf keines Beweises, daß unsere W. Heimburg mit diesem oder dieser H. W. Heimburg nicht das Geringste zu thun hat, daß die gefeierte und allbeliebte Schriftstellerin W. Heimburg ausschließlich der „Gartenlaube“ ihre Kraft widmet und weit davon entfernt ist, zu einer so fragwürdigen Erscheinung wie der „Kleinen Gartenlaube“ auch nur eine Zeile beizusteuern.




Winterleben im Spreewald. (Zu dem Bilde S. 120 und 121.) Einige Wegstunden hinter der Tuchmacherstadt Kottbus tritt die Spree in eine etwa 9 Meilen lange und 1 bis 1½ Meilen breite, vollständig flache Niederung ein, die sich auf ihrer ganzen Ausdehnung nur um einige Meter senkt. Die Spree, bis dahin ein fröhlich fließendes Gewässer, befindet sich plötzlich in der größten Verlegenheit: es fehlt ihr an einer bestimmten Flußrinne, und so bleibt ihr denn nichts anderes übrig, als sich ziel- und planlos in Hunderte von Armen, „Blotas“, wie der Spreewaldwende sagt, zu zersplittern. Man spricht von 300 Spreearmen, und wenn man so gefällig sein will, beim Zählen einige Feld- und Wiesengräben mit in Betracht zu ziehen, so ist an dieser Zahl auch nichts zu mäkeln. Erst am Ende der Niederung findet sich der Fluß wieder zusammen, windet sich der Reichshauptstadt zu, um hier seine größte Lebensaufgabe zu erfüllen – ohne ihn würde ja kein Berliner mit Spreewasser getauft werden können.

Zwischen jenen Hunderten von Spreearmen nun breitet sich ein humusreiches fruchtbares Schwemmland aus und bildet Tausende von flachen Inseln, die sogenannten „Kaupen“. Wenn diese „Kaupen“ nicht mit malerischen Bauernhäusern besät sind, so leuchten sie im tiefsten Wiesengrün

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_131.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)