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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Graf“, da Dernburg es sonst meist bei dem Vornamen bewenden ließ. Der Blick des jungen Mannes richtete sich unwillkürlich auf Wildenrod, als ahnte er irgend einen feindseligen Einfluß von dieser Seite.

Bei der Jugend pflegen solche Verstimmungen indes nicht lange vorzuhalten. Maja brachte mit ihrem lustigen Geplauder bald wieder ein Gespräch in Gang, bei dem sich nur Erich zerstreut und einsilbig zeigte. Er ließ sich aber doch von seiner Schwester und Viktor nach dem Treibhaus ziehen, um die neu aufgeblühten Orchideen anzusehen.

Auf der Terrasse herrschte einige Minuten lang Schweigen, dann sagte der Freiherr mit gedämpfter Stimme: „Es sollte mir leid thun, wenn mein Bericht dem jungen Grafen in Ihren Augen geschadet hätte, allein wie die Verhältnisse liegen, hielt ich mich verpflichtet, zu reden.“

Dernburg nickte. „Gewiß, ich danke Ihnen dafür. Doch pflege ich auf bloßes Gesellschaftsgeschwätz hin niemand zu verurtheilen, ich werde zu erfahren wissen, was an dieser Sache Wahrheit ist.“

„Thun Sie das,“ sagte Wildenrod mit ruhiger Zuversicht. „Was übrigens Majas allzugroße Jugend betrifft, so heirathen die Töchter in unseren Kreisen oft schon in diesen Jahren, und wenn ihre Neigung wirklich einem Manne entgegenkommt –“

„Der Jagd auf die reiche Erbin macht, um seine Verhältnisse zu ordnen,“ fiel Dernburg mit einer Bitterkeit ein, die verrieth, daß jener Bericht seine Wirkung dennoch gethan hatte. „Vor einem solchen Schicksal will ich mein Kind bewahren.“

„Das wird nicht leicht sein. Es müßte denn ein Bewerber auftreten, der frei und unabhängig dasteht und selbst reich genug ist, um über den Verdacht des Eigennutzes erhaben zu sein. Alle andern werden mit Ihren Millionen rechnen.“

„Nicht alle!“ erwiderte Dernburg mit Nachdruck. „Ich kenne einen, der arm ist und nichts besitzt als seinen Kopf – der Kopf ist freilich etwas werth und verbürgt ihm die Zukunft. Dem würde der Weg zu Unabhängigkeit und Reichthum gezeigt, er brauchte nur die Hand auszustrecken, aber es würde das Opfer einer Ueberzeugung von ihm gefordert, und er ging den Weg nicht.“

Oskar stutzte. „Von wem sprechen Sie?“

„Von Egbert Runeck! Befremdet Sie das so sehr? Ich habe längst eingesehen, daß Erich allein Odensberg dereinst nicht leiten kann, dazu gehört ein Mann meines Schlags, und das ist Egbert – er ist nicht umsonst in meiner Schule aufgewachsen. Aber da haben sie ihn in Berlin so fest in ihre sozialdemokratischen Netze verstrickt, daß ich fast daran verzweifle, ihn wieder daraus zu lösen.“

„Haben Sie das wirklich versucht, trotzdem Sie wußten –?“

„Ja, trotzdem ich alles wußte, denn ich bin überzeugt, daß ihm eines Tages die Augen aufgehen werden – wenn es dann nur nicht zu spät ist für uns beide.“

Wildenrods Lippen preßten sich fest zusammen als wollten sie eine heftige Entgegnung verschließen, endlich sagte er langsam: „Herr Dernburg, ich verstehe Sie zum ersten Male nicht.“

„Mag sein, aber Sie können es mir immerhin zutrauen, daß ich nicht mit eigener Hand die Brandfackel in mein Odensberg werfen werde. Wenn Egbert bei seinem Kopfe bleibt, so ist es zwischen mir und ihm zu Ende. Indessen – er wird es nicht thun. Der braucht freie Bahn im Leben, der will empor um jeden Preis, will kämpfen; aber auch aufbauen und schaffen und schließlich Herr sein über das, was er geschaffen hat. Solche Naturen beugen sich auf die Dauer nicht dem Joche einer Partei, die blinden Gehorsam fordert, die keine Persönlichkeit, kein mächtiges Aufstreben des Einzelnen gelten läßt. Ich fürchte nur, er kommt erst zur Besinnung, wenn er sich sein Glück verschüttet hat.“

Der Freiherr mußte bereits sehr fest in der Gunst seines künftigen Verwandten stehen, daß dieser zu ihm von Dingen sprach, die er nicht einmal mit seinem Sohne erörterte, aber Oskar schien von diesem Beweis des Vertrauens nicht eben freudig berührt zu sein. Auf seiner Stirn stand eine drohende Wolke, und mit mühsam beherrschter Stimme sagte er: „Sie überschätzen Ihren Günstling, wie mich dünkt. Aber gleichviel – Sie schienen da etwas anzudeuten –“ er brach ab.

„Was denn, Herr von Wildenrod?“

„Ich thue wohl besser, es nicht auszusprechen, da es eine Unmöglichkeit in sich schließt.“

„Warum?“ fragte Dernburg gereizt. „Etwa weil Egbert der Sohn eines Hüttenarbeiters ist? Die Eltern sind tot, aber auch wenn sie noch am Leben wären – ich stehe über solchen Vorurtheilen.“

Wildenrod schwieg, er sah den Sprechenden nicht an, sondern blickte nach den Werken hinüber. Es war etwas Unheimliches in seinem Gesichte.

„Sie sind in dem Punkte anderer Meinung, ich sehe es,“ hob Dernburg wieder an. „In Ihnen regt sich der Aristokrat, dem so etwas unerhört erscheint. Ich denke anders darüber. Ich habe Erich auf eigene Verantwortung wählen lassen, für das Glück meiner Tochter habe ich einzustehen. Meine kleine Maja“ – die Stimme des sonst so strengen Mannes wurde weich – „sie ist mir spät geschenkt worden, aber sie ist der Sonnenschein meines Lebens. Wie oft habe ich mir in schweren Stunden aus ihren klaren Augen, ihrem hellen Kinderlachen Muth geholt! Sie soll nicht die Beute der Berechnung, des Eigennutzes werden, sie soll geliebt und glücklich sein – und bis jetzt kenne ich nur einen, in dessen Hände ich ihre Zukunft ohne Sorge legen könnte, denn ich bin überzeugt, daß er sie liebt. Der rechnet nicht, er hat es mir bewiesen!“

Auf dem Gesicht des Freiherrn lag eine eigenthümliche Blässe. War es Zorn oder Scham, was bei den letzten Worten in seinem Innern aufzuckte? Jedenfalls blieb ihm die Antwort erspart, denn ein Diener trat heran und meldete, der Direktor sei im Arbeitszimmer und wünsche den Herrn zu sprechen.

„Am Sonntag? Das muß etwas Wichtiges sein!“ sagte Dernburg, indem er sich zum Gehen wandte. „Aber noch eins, Herr von Wildenrod – was wir soeben erörterten, bleibt unter uns! Betrachten Sie es als Vertrauenssache!“

Er trat ins Haus und Oskar blieb allein zurück. Mit verschränkten Armen lehnte er an der Brüstung der Terrasse, in düstere Gedanken versunken.

Das war eine Gefahr, die er nicht geahnt, mit der er nie gerechnet hatte, dagegen verblich das Auftauchen des Grafen Eckardstein, das ihm eben noch so gefahrdrohend erschienen war, zu einem bloßen Schatten. Dernburg setzte offenbar eine Neigung voraus zwischen seiner Tochter und diesem Runeck! Um die Lippen Wildenrods spielte ein höhnisches überlegenes Lächeln. Er wußte es doch besser, wem Majas Liebe galt, er fühlte sich auch diesem neuen Gegner gewachsen! Und nun kein Zögern und kein Besinnen mehr, es galt, zu handeln! Oskar richtete sich entschlossen auf; es war nicht das erste Mal in seinem Leben, daß er va banque spielte, und hier war der Gewinn eine Zukunft, die ihm alles verhieß. –

*      *      *

Am Ende der ausgedehnten Parkanlagen von Odensberg, da wo sie an den Bergwald grenzten, lag der „Rosensee“, ein kleines Gewässer, von flüsterndem Schilf und Riedgras umsäumt; eine mächtige Buche streckte ihre Aeste mit dem jungen lichtgrünen Laube darüber hin und dichtes blühendes Gebüsch umschloß es von allen Seiten.

Auf einer Bank unter der Buche saß Maja, die Hände voll Blumen, die sie auf dem Wege hierher gepflückt hatte und nun ordnen wollte. Aber es kam nicht dazu, denn neben ihr saß Oskar von Wildenrod, der „zufällig“ denselben Ort aufgesucht hatte und sie mit seiner Unterhaltungsgabe so zu fesseln wußte, daß sie die Blumen und alles andere darüber vergaß.

Er sprach von seinen Reisen im Norden und Süden. Es gab kaum ein Land in Europa, das er nicht kannte, und er war ein meisterhafter Erzähler. Seine Schilderungen gestalteten sich zu farbenreichen Bildern, in denen Landschaften, Menschen und Ereignisse lebendig vor den Zuhörer hintraten. Maja lauschte denn auch mit athemloser Theilnahme – das alles klang so fremdartig, so märchenhaft für sie, deren Gesichtskreis bisher die Familie gewesen war.

„Was haben Sie alles gesehen und erlebt!“ rief sie bewundernd. „Das ist ja eine ganz andere Welt, aus der Sie zu uns nach Odensberg gekommen sind!“

„Eine andere, ja, aber keine bessere,“ sagte Wildenrod ernst. „Es hat wohl etwas Blendendes und Berauschendes – dies Leben in der schrankenlosen Freiheit, mit dem ewigen Wechsel und der Fülle von Eindrücken, und auch mich hat es einst geblendet. Doch das ist längst vorbei. Es kommt ein Tag, wo man aus dem Rausche erwacht, wo man fühlt, wie hohl und leer und nichtig das alles ist, wo man sich allein findet mitten in dem Menschengewoge und in der ersehnten Freiheit – ganz allein!“

„Aber Sie haben doch Ihre Schwester!“ warf Maja vorwurfsvoll ein.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_151.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)