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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

verursacht wird, ist klar, und die meisten Viehzüchter sind daher zu dem „close herding“ übergegangen, wo die Thiere unter beständiger Bewachung einer große Zahl von Hirten, sogenannten „Cow-boys“, stehen. Die dritte noch nicht lange zu allgemeinerer Annahme gekommene Weise besteht darin, daß man die Weidegründe mit festen Drahteinzäunungen umgiebt, ein allerdings sehr kostspieliges Verfahren, welches sich aber dadurch bezahlt macht, daß der Verlust an Vieh auf ein Minimun beschränkt wird. Man hat jetzt in diesen sogenannten „Cattle-Ländern“ derartig abgeschlossene Weideplätze, die einen Flächenraum von 250000 bis 300000 Acre einnehmen. Auch hier sind die Herden der Bewachung seitens der „Cow-boys“ unterworfen.

Das Leben dieser Viehhirten, die an Stelle der von der Romantik so oft verherrlichten Lederstrumpffiguren getreten sind, ist überaus rauh und mühsam. Fortwährend im Sattel, haben sie glühende Sonnenhitze wie Sturmwetter zu bestehen und sich mit einfachster Kost und mit noch einfacherem Lager zufrieden zu geben. Kämpfe mit wilden Thieren, Indianern und Viehdieben giebt’s gelegentlich nebenher.

Daß das Aussehen dieser ein solch regelloses Leben führenden Gesellen ein sonderbares, wild romantisches sein muß, ist leicht erklärlich. Den häufig von krausen, langen Locken umgebenen Kopf deckt ein mächtiger, breitrandiger „Sombrero“; der Oberkörper ist mit einem bunten Flanellhemde oder einem perlenbestickten Lederrocke bedeckt, während die Beine in riesigen, stets über und über schmutzigen und mit gewaltigen Radsporen versehenen Stiefeln stecken. Ein um den Leib geschnallter Ledergurt ist mit einem Paar trefflicher Revolver versehen und mit Patronen gespickt.

Wie sich diese Leute aus den verschiedenartigsten Nationen und Elementen zusammensetzen, so findet man unter ihnen auch die verschiedenartigsten Charaktere. Es giebt unter ihnen Menschen, gutmüthig wie ein Kind und sofort bereit, wenn es gilt, jemand aus der Noth zu helfen. Der weitaus größere Prozentsatz der „Cow-boys“ aber ist roh und gewaltthätig, leicht beleidigt und stets geneigt, eine noch so geringfügige Beleidigung sofort, und zwar mit dem Revolver, zu rächen. Aus diesem Abschaum der Menschheit rekrutiert sich vornehmlich das berüchtigte Desperadothum des fernen Westens, welches, was Kaltblütigkeit und Grausamkeit betrifft, unter dem Banditenthum des ganzen Erdballes wohl die erste Stelle einnimmt. Billy the Kid, Wild Bill, Texas Jack, Bloody Enright, Fly Speck Sam, und wie sie alle heißen mögen, sie waren „Cow-boys“, verübten zahllose Schandthaten und hielten zeitweise die Bewohnerschaft ganzer Staaten in Schrecken.

Billy the Kid, von welchem ein begeisterter Biograph wörtlich sägt, daß „sich viele Städte um die Ehre (!) streiten, sein Geburtsort zu sein“, war wohl der verwegenste aller dieser Schurken. Auf standesgemäße Kleidung hielt er viel. Die blaue, knappe Jacke aus feinstem Stoff war über und über mit Goldstickereien versehen, die Nähte der schwarzen, mit scharlachrothem Unterfutter versehenen mexikanischen Beinkleider waren mit kleinen silbernen Schellchen besetzt, der breitrandige „Sombrero“ blitzte von Gold und edlen Steinen und war mit einer Goldschnur von Daumendicke umgeben. An den Füßen klirrten schwere silberne Sporen, während ein herrlicher Karabiner sowie ein paar goldausgelegte Revolver und Bowiemesser die Bewaffnung ausmachten. So ritt dieser Bandit, auf dessen Kopf die Behörden einen Preis von 1000 Dollar ausgeschrieben hatten, umgeben von seinen Getreuen, im Jahre 1881 in das Städtchen Lincoln ein und lieferte der Bevölkerung sowie den zur Hilfe herbeieilenden Truppen ein regelrechtes, drei Tage lang andauerndes Gefecht, in dessen Verlauf über dreißig Menschen erschossen und viele verwundet wurden.

Ein Zufluchtsort und Sammelpunkt derartiger Raubgesellen war jahrelang Dodge-City, welches wir auf unserer Fahrt durch Kansas berühren. Infolge der unzähligen Schießereien und Morde, die hier vorkamen, erlangte der Ort eine geradezu traurige Berühmtheit, doch ist es jetzt mit der Sicherheit des Lebens daselbst weitaus besser bestellt. Diese Besserung ist vornehmlich dem Eingreifen der „Vigilanzkomitees“ zuzuschreiben, welche sich allerorten in den Grenzstädtchen bilden, sobald die besser gesinnten Elemente sich gegenüber den Grenzstrolchen und Rowdies stark genug fühlen. Es setzt nun manche. blutigen Kämpfe zwischen dem geheimen Fembunde und dem Verbrecherthum, die in der Regel mit Vertreibung und Vernichtung des Räubergesindels endigen. Daß aber die Anhänger des Komitees ihr Leben in die Schanze schlagen müssen, das beweist eben die Geschichte von Dodge-City, wo seit der Zeit der Gründung des Ortes im August 1872 bis Herbst 1883 über dreißig Beamte und Bürger erschossen wurden, welche geregelte Zustände schaffen wollten.

Eigenthümlich ist die Art, wie die von derartigen Vigilanzkomitees vollzogenen Lynchhinrichtungen mitunter bekannt gegeben werden. So brachte ein Blatt folgende Mittheilung:

„Der in unserer Stadt nicht besonders vortheilhaft bekannte Mr. Jim Moore unternahm kürzlich eine Reise, um Pferde zu holen, die nicht ihm gehörten. Er kam aber nicht wieder zurück, da er plötzlich nicht mehr imstande war, mit seinen Füßen den Erdboden zu erreichen. Wir sahen ihn zuletzt unter einer Telegraphenstange stehen und in seiner unmittelbarsten Nähe einige unserer hervorragendsten Bürger, die alle angelegentlichst an einem Seile zogen.“

Echt westlichen Ursprungs ist auch „das Lied vom Pferdedieb“:

„Er fand einen Strick und hob ihn auf,
Ging still von hinnen dann,
Zufällig war am andern End’
Ein Roß gebunden dran.

Sie fanden den Baum und banden den Strick
An einen der grünen Aest’,
Zufällig war das andere End’
An seinem Halse fest.“

Es dürfte immerhin noch einige Jahre dauern, bevor in den westlichen Distrikten des Staates ganz regelrechte geordnete Verhältnisse geschaffen sind, fanden wir doch während unserer Reise auf allen Bahnstationen einen Preis von 15000 Dollar auf die Ergreifung einer Bande ausgeschrieben, die Tags zuvor den die Strecke passierenden Eisenbahnzug angefallen und vollständig ausgeplündert hatten. Der nach uns folgende Zug wurde von einer Bande „Cow-boys“ beschossen.

Ziemlich rauh ist das Leben in den kleinen westlichen Grenzstädtchen immer noch. Taghell sind des Nachts die Wirthschaften, Schnapshöhlen, Tingeltangel und Spielhäuser erleuchtet, in denen fragwürdige Gestalten ihre Zusammenkünfte halten. Da wird gespielt, getrunken und getanzt und gesungen. Mitunter auch verstummt der Lärm für einen Augenblick, heftige Stimmen werden laut – ein Schuß kracht – noch einer – und nach einer Weile wird ein blutüberströmter Leichnam über die Straße getragen. Solche Scenen kommen in diesen westlichen Städtchen nicht selten vor, sind doch noch genug von jenen wilden Burschen mit den seltsamen Spitznamen zu finden, denen nichts daran liegt, wenn sie auch „in ihren Stiefeln“ sterben.

Je weiter wir übrigens nach Osten vordringen, desto mehr bemerken wir, daß das Land Fühlung mit der Gesittung gewinnt. Freundlicher, einladender werden die Ansiedlungen, die Dörfer, die Städte. An Stelle der Holzbauten treten große Backsteinhäuser, das sicherste Zeichen, daß die Bevölkerung bereits seßhafter und weniger wanderlustig geworden. Auch Baumpflanzungen sehen wir und Gartenanlagen; wohlbestellte Felder erscheinen, kurz, die Umwandlung ist eine so eingreifende, daß der ursprüngliche Prairiecharakter oft nicht mehr zu erkennen ist. Die Linie, wo Himmel und Erde zusammenfließen, zeigt sich hier und da von kleinen Gehölzen, von Kirchthürmen und Häuserumrissen unterbrochen, und namentlich stoßen wir bei den Orten Great Bend, Newton und Florence auf Ansiedlungen, die in musterhafter Weise bewirthschaftet werden, und wir sehen Farmhäuser hinter den grünen Büschen hervorleuchten, die den sehnsüchtigen Wunsch in uns erregen, sie zu besitzen.

Die Eigenthümer dieser lachenden Kolonien sind Mennoniten, die, um mit ihren Satzungen und Anschauungen nicht in Widerspruch zu gerathen, bei Einführung der allgemeinen Wehrpflicht ihre heimathlichen Fluren in Rußland, Polen und Preußen aufgaben, den Wanderstab ergriffen und namentlich gegen das Jahr 1873 in großen Scharen nach Kansas kamen. Hier gründeten sie stattliche Niederlassungen, wie Gnadenau, Hoffnungsthal, Blumenfeld etc. Ihre Farmen umfaßten um das Jahr 1885

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_155.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2020)