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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

mir ein schreckhafter Gedanke. Dann fuhren wir, selbstverständlich in einer Droschke erster Klasse, eine Stunde durch den Thiergarten. Dem Kutscher sagten wir, wir wären Fremde, ließen uns auch mit ernstem Gesicht die Rousseauinsel, das Denkmal der Königin Luise und den neuen See zeigen. Das Trinkgeld war fürstlich. Nach dem Potsdamer Bahnhof! Schon während der Wagenfahrt hatten die Wolken sich getheilt und die Sonne durchblinzeln lassen. Während wir uns nun in einem „Abschnitt“ erster Klasse – heute konnte alles nur prima sein – in den bequemen Polstersesseln ausstreckten und vergnügt einander anlachten, wurde der Himmel hell und freundlich, und als wir in Potsdam ausstiegen, hatten wir ihn schon ganz blau über uns. Nun wurde in dem Pavillon am Wasser erst einmal lukullisch gefrühstückt und dann eine Equipage für den ganzen Tag bedungen, so wenig miethskutschenmäßig sie sich auftreiben ließ. Darauf bald zu Wagen, bald zu Fuß überall herum – es war eine Wonne bei dem schönen nicht zu heißen Wetter! Mittag in Glienicke, aber nobel, sage ich Dir. Bester französischer Champagner versteht sich von selbst, dagegen kommt doch kein deutscher Schaumwein auf. Die Kellner flogen nur so. Sie hielten mich sicher nicht für meines Mannes Frau und meinen Mann vielleicht für irgend etwas Durchgebranntes. Wir wurden nämlich sehr lustig und spielten aus Uebermuth selbst ein bißchen Komödie. Dann wurde ein Boot genommen und gerudert, der Babelsberger Park durchwandert, nach dem Bahnhof zurückgekehrt. Sollten wir in Berlin ins Opernhaus oder zu Kroll? Wir entschieden uns für Kroll, wo gerade eine sehr theure Italienerin als Gast auftrat, die wir sicher sonst nicht zu hören bekamen. Ersten Rang, Loge! Der Genuß war mäßig, aber man saß doch da unter den Glückskindern dieser Welt und wurde nach Gebühr begafft. Wir essen nachher bei Dressel – ist Dir’s recht, Männchen? – Jawohl. Wir aßen wirklich dort, und vortrefflich. Es war spät geworden. Und nun gehen wir ins Café Bauer – hm?

„Nein, nun gehen wir nach Hause.“

Ich sah ihn überrascht an. „Nach Hause?“

Der Tag sei längst zu Ende, meinte er und zeigte auf die Uhr, deren kleiner Zeiger allerdings bereits der Eins zuwanderte.

„Pedant!“ schalt ich. Ich hatte mich gerade auf diese Nachtschwärmerei gefreut. „Wir haben noch gar kein Abenteuer erlebt – es ist alles so glatt abgegangen.“

„Um so besser,“ erklärte er. „Der Tag war so schön, warum wollen wir jetzt noch etwas aufs Spiel setzen? Und – das Geld ist auch ausgegeben.“

„Nicht möglich!“

„Wollen wir nachrechnen?“

„Ums Himmelswillen! Und es reicht wirklich nicht mehr zu einer Tasse schwarzen Kaffee?“

„Sei verständig, Liebchen!“ wich er aus. „Wir gehören da um diese Zeit nicht hin. Man kennt mich. Ich habe journalistische Gegner. Wer kann vorhersehen –“

„Kurzum, Du willst nicht!“ unterbrach ich, wie ich gestehen muß, etwas mißgelaunt.

„Ich will nicht,“ sagte er sehr ruhig, nicht einmal mit irgendwie scharfer Betonung, aber so sicher, daß ich genau wußte, er würde nicht abzubringen sein.

Was hättest Du an meiner Stelle gethan, Toni? Daß ich mich ärgerte, abgewiesen zu sein, wirst Du erklärlich finden. Man wird immer ärgerlich, wenn man abgewiesen ist – es kommt gar nicht auf den Gegenstand und den Grund an. Der Widerspruch des andern Theils erweckt und stachelt die Lust zu einem Ringkampf. Dazu gehörte bei mir gar nicht viel; nun konnte sich ja doch noch die Gelegenheit zur Liebesprobe ergeben. Es war ganz dumm, jetzt noch auf der Tasse Kaffee zu bestehen und damit den ganzen schönen Tag zu verderben. Aber wenn er bei solcher Kleinigkeit hartnäckig und eigensinnig blieb, konnte er mir doch wirklich trotz allem nicht gut sein. Nach einem so schönen Tage! Und ich war wirklich sehr liebenswürdig gewesen. Er hätte die Unwahrheit sagen müssen, wenn er’s leugnete. Und nun so ein tyrannisches: ich will nicht ...

Soll ich – laß’ ich’s sein? Denke Dich in meine Lage!

Und was that ich? Ich war verständig, wie er’s wünschte, nahm mit einem Blick heitersten Einverständnisses seinen Arm und sagte: „Du hast recht, gehen wir nach Hause!“

Na – – ?




8.

Heute hat es geblitzt und gedonnert.

Es lag so schwül in der Luft schon seit jenem tollen Tage. Die Spannung der Elektricität in den oberen Regionen wirkte stark nach unten, und es bedurfte nur eines Umschlagens des Windes, um ... u. s. w.

Ich spreche nämlich bildlich. Es kam etwas dazwischen – wir sprachen zwei Tage und Nächte lang kein Wort miteinander (die Nächte sind keine Uebertreibung, denn wir schliefen erbärmlich schlecht und hätten zur Unterhaltung vollauf Zeit gehabt) – und dann verlor er die Geduld und sagte mir seine Meinung, meines Erachtens etwas zu deutlich – und dann ... Na ja, dann hat es geblitzt und gedonnert. Und abgezogen sind die Wolken noch lange nicht. Es fragt sich noch immer, ob sie nach rechts oder links abziehen sollen. Du wirst mich verstehen, Toni.

Ach – – – ! Diesen Seufzer kannst Du Dir gar nicht tief genug vorstellen. Und wer hat an alledem Schuld? Die dumme Perfon, die ... Ich meine die Chefin.

Sie feiert nämlich morgen ihren Geburtstag.

Du wirst sagen, dafür könne sie doch nichts, daß sie geboren sei, und wenn man nun einmal geboren ist und leben bleibt, pflegt ja doch in jedem Jahr der Tag wiederzukehren, an welchem man sich mit freudiger Rührung des großen Ereignisses erinnert. Gewissermaßen hast Du recht. Ich gönne der gnädigen Frau auch die Blumengewinde ihrer Dienstboten und die kostbarsten Geschenke ihres Herrn Gemahls und sogar die aufrichtigsten Glückwünsche ihrer Freunde, so viel sie deren hat. Aber ...

„Wir müssen zur Geburtstagsgratulation antreten,“ warf Edwin so hin, als erinnerte er an etwas Selbstverständliches.

„Ich nicht!“ antwortete ich ohne Besinnen.

„Du nicht? Du wirst mich doch nicht allein gehen lassen!“

„Es scheint mir ebensowenig nöthig, daß Du gehst.“

„Aber wir haben doch nicht den mindesten Grund, nicht zu gehen!“

„So?“

Und da gab nun ein Wort das andere, Edwin behauptete, es handle sich um einen bloßen Akt der Höflichkeit. Der Geburtstag sei bekannt. Das ganze Geschäftspersonal betheilige sich durch irgend einen Beweis von Aufmerksamkeit, und das wenigste sei, daß man einen Besuch abstatte. Es werde das gar nicht anders erwartet.

Das war’s eben, was mir daran mißfiel. Es war auf eine Huldigung abgesehen, die nicht freiwillig geleistet wurde, sondern halb und halb befohlen war. „Du gehörst nicht zum Geschäftspersonal,“ sagte ich.

„O doch! Ich werde bezahlt wie die andern“

„Aber Deine Thätigkeit ist eine rein geistige. Als Schriftsteller stehst Du so hoch –“

„Ich gratuliere als Redakteur.“

„In Frack und weißer Binde?“

„Selbstverständlich. Das ist eine bloße Form.“

„So füge Dich ihr, wenn Du nicht den Muth hast, Dich über die Bedienten des Hauses zu stellen! Aber Deine Frau solltest Du doch nicht wünschen, mit zu erniedrigen!“

„Wir verkehren in der Familie. Gerade wenn meine Frau mich begleitet, fällt jeder Schein von Bedientenhaftigkeit fort. Es ist auch für Dich keine Erniedrigung, einer Dame, in deren Haus Du eingeladen gewesen bist, eine Artigkeit zu erweisen, die weiter zu nichts verpflichtet.“

„Es wird ihr nicht einfallen, mir zum Geburtstag zu gratulieren.“

„Du feierst ihn nicht so öffentlich.“

„Es ist eine Anmaßung, wenn man so wenig bedeutet, von sich so viel Aufhebens zu machen.“

„Das geht uns ja nichts an. Und kurz – “

„Kurz?“

„Wir gehen.“

„Ich nicht.“

„Das ist in diesem Falle eine beabsichtigte Unart.“

„Mag sie doch wissen, was ich von ihr halte!“

Das war ziemlich getreu unser Wortwechsel. Wir standen nun ungefähr tausend Meilen voneinander, und es war nicht abzusehen, wie und wo wir wieder so nahe zusammentreten könnten, daß wir uns als Eheleute betrachten dürften. That jeder, was

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_162.jpg&oldid=- (Version vom 10.8.2020)