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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Ich hatte keine Ahnung davon, wie es mit uns stand, und nun, mitten aus dem vermeintlichen Reichthum, aus einer glänzenden Lebensstellung, einer großen Laufbahn herausgerissen zu werden, um der Armuth und dem Elend ins Auge zu sehen – Du weißt nicht, was das heißt. Man bot mir dieses und jenes Amt an, beim Post- und Steuerwesen, in irgend einer entfernten Provinz, bot mir, dessen glühender Ehrgeiz von den höchsten Zielen geträumt hatte, Hungerposten, bei denen Geist und Körper in der Tretmühle eines armseligen Daseins zu Grunde gegangen wären. Dafür war ich nicht geschaffen. Ich warf alles hinter mich und verließ Deutschland, um wenigstens den Schein zu retten, daß jener Verkauf und mein Abschied freiwillig gewesen wären.“

Cäcilie ließ langsam die Hände sinken und richtete sich auf. „Und doch hast Du Deine Stellung in der Gesellschaft behauptet? Wir galten für reich in den drei Jahren, die ich mit Dir verlebte, und waren von Glanz und Luxus umgeben!“

Wildenrod hatte keine Antwort auf die bange vorwurfsvolle Frage, er vermied es, dem Blicke seiner Schwester zu begegnen. „Laß das, Cäcilie!“ sagte er dann, „Es war ein heißes wildes Ringen um diese Stellung, die ich um keinen Preis aufgeben wollte, und es ist da manches geschehen, was besser unterblieben wäre. Allein ich hatte keine Wahl. In dem Kampfe ums Dasein heißt es siegen oder untergehen. Gleichviel!“ er athmete tief auf. „Jetzt ist das überwunden, Du bist Erichs Braut und ich – habe Dir etwas Freudiges mitzutheilen.“

Er kam nicht dazu, diese Mittheilung auszusprechen, denn an der Thür des Salons ließ sich ein leises Klopfen hören, und gleich darauf fragte Erichs Stimme:

„Darf ich nun endlich eintreten?“

„Erich?“ fuhr Cäcilie auf. „Ich kann ihn nicht sehen – jetzt nicht!“

„Du mußt ihn sprechen,“ flüsterte Oskar leise, aber befehlend. „Soll Dein Benehmen noch mehr auffallen? Nur auf einige Minuten!“

„Ich kann nicht! Sag’ ihm, ich sei krank, ich schlafe, oder was Du sonst willst!“

Sie wollte aufspringen, jedoch ihr Bruder zog sie wieder auf den Sitz nieder, während er im heiteren Tone rief: „Komm nur herein, Erich! Ich habe schon seit einer halben Stunde Audienz bei dem gnädigen Fräulein!“

„Das hörte ich von Nannon!“ sagte Erich, der jetzt den Salon durchschritt und eintrat, in vorwurfsvollem Tone. „Soll mir Deine Thür verschlossen bleiben, Cilly, wenn sie sich für Oskar öffnet? Mein Gott, wie bleich und verstört Du aussiehst! Was ist denn geschehen auf dieser unglückseligen Fahrt? Ich bitte Dich, sprich!“ Er hatte ihre Hand ergriffen und sah ihr angstvoll in das Gesicht. Die kleine Hand bebte in der seinigen, aber es erfolgte keine Antwort.

„Du solltest sie lieber schelten, obgleich ich das schon hinreichend gethan habe,“ sagte Wildenrod, „Weißt Du, wo sie heute morgen gewesen ist? Auf dem Albenstein!“

„Herr des Himmels!“ fuhr Erich entsetzt auf. „Ist das wahr, Cilly?“

„Buchstäblich wahr! Natürlich wurde sie auf dem Rückweg schwindlig, kam halbtot herunter und ist nun krank von der Ueberanstrengung und der ausgestandenen Angst. Sie schämte sich, das Dir und dem Doktor einzugestehen, allein erfahren mußt Du es doch.“

„Cäcilie, wie konntest Du mir das anthun?“ sagte der junge Mann mit schmerzlichem Vorwurf. „Dachtest Du denn gar nicht an meine Angst, an meine Verzweiflung, wenn Dir etwas zustieß? Hätte ich ahnen können, daß es mehr denn Scherz war, als Du damals mir und Egbert – was hast Du denn?“

Cäcilie war bei der Nennung des Namens zusammengezuckt; jetzt rollten ein paar Thränen über ihre Wangen, während sie murmelte: „Verzeih’ mir, Erich – verzeih’ mir!“

Erich hatte seine Braut noch nie weinen sehen, noch nie um Verzeihung bitten hören. Mit überwallender Zärtlichkeit küßte er ihre Hände. „Meine Cilly, mein geliebtes Mädchen, ich schelte Dich ja nicht, ich bitte Dich nur, nie, nie wieder ein solches Wagniß zu unternehmen. Du versprichst mir das, nicht wahr? Und jetzt –“

„Jetzt wollen wir ihr Ruhe gönnen,“ fiel Wildenrod ein. „Du siehst, wie nothwendig das ist. Versuche ein paar Stunden zu schlafen, Cilly, das wird Deine überreizten Nerven beruhigen. Komm, Erich!“

Dieser folgte sichtlich sehr ungern, aber da auch Cäcilie ihn mit fieberhafter Ungeduld zum Gehen drängte, so fügte er sich. Oskar begleitete ihn bis zur Treppe und trat dann in sein eigenes Zimmer. Kaum aber war der Schritt des jungen Mannes draußen verhallt, so kehrte er zu der Schwester zurück.

(Fortsetzung folgt.)




Die erste deutsche Heilstätte für unbemittelte Lungenkranke.

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Die Menschen gewöhnen sich an schwere Prüfungen, und viele ertragen sie in stummer Entsagung als ein unvermeidliches Uebel, bis eine lichte Stunde kommt und ihnen die Erkenntniß bringt, daß jenes unvermeidliche Uebel durch festen Willen, Thatkraft und muthigen Kampf verhütet, ausgerottet werden könne, Die Geschichte einer der schlimmsten Krankheiten, die eine wahre Geißel des Menschengeschlechtes bildet, hat sich bis jetzt in dieser Bahn bewegt. Die Tuberkulose, die am häufigsten in der Form der Lungenschwindsucht auftritt, fordert jahraus jahrein mehr Opfer als blutige Kriege oder die gefürchtete Cholera.

Dem war seit langer langer Zeit so! Man suchte gegen die Schwindsucht anzukämpfen, aber alle Bemühungen waren vergeblich; man konnte ihr keinen Einhalt gebieten; die Volksheilmittel erwiesen sich trügerisch, und in dem Arzneischatz der Aerzte fand man wohl Linderungs-, aber keine Heilmittel gegen diese Seuche, die an dem Mark der Völker zehrt.

Jedoch der lichte Tag einer besseren Einsicht sollte kommen. Ein Theil der hervorragendsten Aerzte legte nicht die Hände in den Schoß, sondern suchte nach Wegen, auf welchen man die Krankheit erfolgreich bekämpfen könnte; denn es war ihrem aufmerksamen Auge nicht entgangen, daß mitunter Fälle von Lungenschwindsucht unter günstigen Umständen von selbst in Heilung übergingen. Freilich, diese Heilungen waren nicht das Werk eines Wunderkrautes oder eines in den Retorten der Chemiker hergestellten Stoffes, sondern die Folge des Zusammenwirkens jener wunderbaren Heilkräfte, welche die Natur überall ausgestreut und auch dem menschlichen Körper als ein werthvolles Pathengeschenk verliehen hat. Man entdeckte, daß reine milde Luft, gute Ernährung, zweckmäßige Pflege den schwachen Körper derart zu stärken vermögen, daß er den Kampf mit der bösen Krankheit aufnehmen und aus ihm schließlich als Sieger hervorgehen konnte. Wie immer, so gelangte man auch jetzt erst auf Umwegen zur vollen Erkenntniß der Wahrheit. Anfangs hieß es, das warme Klima des Südens besitze die heilende Kraft; dann schrieb man sie dem Höhenklima zu und meinte, es gebe eine Höhe, über die hinaus die Schwindsucht nicht hinaufsteigen könne. Spätere Beobachtungen zeigten jedoch, daß das warme Klima wohl für einen Theil der Kranken sich nutzbar erweisen könne und daß ein anderer Theil durch die erregende Bergluft und die natürliche mit dem Gebirgsaufenthalt verbundene Gymnastik gestärkt werde … aber immer klarer mußte sich die Ueberzeugung Bahn brechen, daß keiner dieser Faktoren allein maßgebend und entscheidend sei, daß vielmehr der ganze Apparat einer gesundheitsgemäßen Ernährung und Lebensführung angewandt werden müsse, wenn man das Leiden, das früher als unheilbar galt, heilen wolle.

Wenn wir kurz das einzig richtige, einzig Erfolg versprechende Heilverfahren gegen die Lungenschwindsucht schildern sollen, so müssen wir etwa Folgendes hervorheben:

Der kranken Lunge muß in erster Linie der ausgiebigste Genuß einer möglichst reinen Luft geboten werden; die schwache Lunge muß durch zweckmäßige Eingriffe, durch eine geregelte Athemgymnastik gekräftigt werden; man muß ferner den Körper durch gute Ernährung zu stärken, den Stoffwechsel durch Bewegung im Freien, Geh- und Steigübungen zu fördern, die Thätigkeit der Haut durch Douchen, Abreibungen etc. zu regeln suchen. Diese und andere Maßregeln müssen sorgfältig wochen- und monatelang alltäglich angewandt werden. Das ist aber keine leichte Sache! Auch diese diätetisch-hygieinischen Heilmittel können eine zweischneidige Wirkung haben. Je nach dem Maße der Widerstandsfähigkeit, die dem Körper des Kranken noch innewohnt, können sie nützen oder schaden. Darum ist Vorsicht am Platze. Der Arzt muß den Kranken genau und täglich beobachten und muß ihm sagen: heute darfst du dies thun und jenes mußt du unterlassen. Daraus erhellt aber, daß eine solche Behandlung sich nicht gut im Privatleben durchführen läßt, sondern wenn irgend möglich in einer Heilanstalt geübt werden muß, in welcher der Arzt den Kranken stets unter den Augen hat und in jedem Augenblick ihm beispringen, ihn belehren kann, in einer Heilanstalt, welche selbstverständlich so gelegen und eingerichtet ist, daß die Hauptbedingung, die reine Luft, dem Kranken in ausgiebigstem Maße geboten wird.

In solchen Heilanstalten für Lungenkranke, als deren Vorkämpfer Dr. H. Brehmer in Görbersdorf in Schlesien in dankbarem Andenken zu bewahren ist, wurden auch die schönsten Erfolge erzielt und der falsche Glaube gestürzt, daß die Lungenschwindsucht unheilbar sei. Aus diesen Anstalten kamen Berichte von sicher erzielten Heilungen und sehr wesentlichen Besserungen. Selbst in schwereren Fällen, in welchen die Krankheit schon schlimme Verwüstungen angerichtet hatte, konnte noch ein Stillstand für eine Reihe von Jahren erzielt werden. Und dieser Stillstand bildete nicht etwa nur eine einfache Verlängerung der Lebensdauer unter den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_168.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)